Freitag, 29. März 2024

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Michael Finnissy:''Etched bright with sunlight''

Der Brite Michael Finnissy, Jahrgang 1946, pflegt eine Doppelidentität als Komponist und Pianist. Da liegt es nahe, dass Klaviermusik in seinem umfangreichen Schaffen breiten Raum einnimmt. Immer wieder sucht Finnissy Anknüpfungspunkte in der Tradition, was sich auch in eigenwilligen Transkriptionen, etwa von Choralvorspielen Bachs und Strauß-Walzern, niederschlägt. Vor allem aber beruft er sich auf Charles Ives, auf dessen programmatische Ausrichtung und Vielfältigkeit mit Rückgriffen auf Volkstümliches. Finnissys breites musikalisches Spektrum spiegelt auch die jüngst veröffentlichte CD ''Etched bright with sunlight'' prägnant wider. Sie bietet einen Querschnitt durch sein Klavierschaffen der letzten 30 Jahre und enthält ganz unterschiedliche Kompositionen. Und unter den, wie Finnissy sich ausdrückt, ''sensiblen und autorisierten Fingern'' des Pianisten Nicolas Hodges entfalten die meisten davon brillante Wirkung. * Musikbeispiel: Michael Finnissy - ''Snowdrift'' Ein Ausschnitt aus ''Snowdrift'' von 1972. Das Faszinierende und zugleich latent Bedrohliche der ''Schneewehe'' fängt Hodges subtil ein: mit quirligem, ungemein leichtem und glitzerndem Anschlag, der aber ebenso rasch in harsche Intensität überspringen kann. In ''Poor Stuff'' komponierte Finnissy, angeregt von der sozialkritischen ''Beggar's Opera'', ein suggestives Zeitbild des 19. Jahrhunderts. Hodges widmet sich dem kurzen Stück mit technischer Perfektion und großem Einfühlungsvermögen. Während die rechte Hand eine sentimentale Ballade anstimmt, steuert die linke dramatisch-expressive Einwürfe bei, die an Maschinengeräusche und Industrialisierung gemahnen sollen. * Musikbeispiel: Michael Finnissy - ''Poor Stuff'' Zu epischer Breite schwang sich Finnissy in seiner ''History of Photography in Sound'' auf. Der Abschluss dieses elfteiligen Werks, das eine Gesamtlänge von fünfeinhalb Stunden hat, ist zugleich das Titelstück der CD: ''Etched bright with sunlight'' (''hell radiert mit Sonnenlicht''). Auch hier fließen verfremdete Zitate und mannigfaltige außermusikalische Assoziationen ein, die Finnissy in Gratwanderung zwischen konkreter Abbildung und Abstraktion gleichsam aufsaugt und seinem komplexen musikalischen Kosmos anverwandelt. Und es spricht für Nicolas Hodges, dass er in diesem Kosmos nie die Orientierung verliert. * Musikbeispiel: Michael Finnissy - aus: ''Etched bright with sunlight''

Egbert Hiller | 21.04.2003