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Michael Hartmann: "Meisterstück" der Sicherheitsbehörden

Mit den Razzien gegen mehrere Terrorverdächtige haben die deutschen Behörden zum richtigen Zeitpunkt eingegriffen, meint Michael Hartmann, SPD-Obmann im Bundestagsinnenausschuss. Um das internationale Netzwerk des Terrors erfolgreich zu bekämpfen, seien auch internationale Strukturen der Sicherheit notwendig. Sie dürften aber keinesfalls die bürgerlichen Grundrechte verletzen.

Michael Hartmann im Gespräch mit Silvia Engels | 26.06.2013
    Silvia Engels: Zwei Männer mit tunesischen Wurzeln stehen im Verdacht, in Deutschland einen Terroranschlag mit ferngesteuerten Modellflugzeugen geplant zu haben. Gestern durchsuchten Beamte deshalb Wohnungen in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen, auch in Belgien wurde ermittelt. – Am Telefon ist nun der SPD-Obmann im Bundestagsinnenausschuss, Michael Hartmann. Guten Morgen, Herr Hartmann.

    Michael Hartmann: Guten Morgen!

    Engels: Haben Sie aktuelle Informationen zu diesen Vorgängen gestern?

    Hartmann: Nein, wir sind noch nicht umfassend hier informiert im Deutschen Bundestag, haben aber nachher eine Sitzung des Innenausschusses. Dort habe ich beantragt, dass uns das Ministerium berichtet, und heute Nachmittag wird auch das Parlamentarische Kontrollgremium tagen. Da muss das auch Thema sein.

    Engels: Offenbar waren es ja Anschlagspläne in einem sehr frühen Stadium. Wie passt das eigentlich zusammen, dass es einerseits offenbar solche Pläne gibt, andererseits aber keine Festnahmen? Waren die Behörden hier zu schnell?

    Hartmann: Nein! Ich glaube, dass unsere Behörden zu loben sind. Die derzeit ja oft gescholtenen und kritisierten Sicherheitsbehörden haben ein Meisterstück hingelegt, nicht nur länderübergreifend, sondern, ich vermute, auch mit starken Bezügen ins befreundete Ausland. Und der Zeitpunkt war vermutlich der richtige, um mehr Schaden abzuwenden. Das ist immer eine Frage der Polizeitaktik und da sollten Politiker nicht die besten Ratgeber sein wollen, wann man zugreift, wann nicht. Besser zu früh als zu spät.

    Engels: Ist es denn schon eindeutig, dass radikal-islamistische Motive dahinter stehen?

    Hartmann: Es scheint zumindest so zu sein, nach der allgemeinen Nachrichtenlage und auch nach dem, was ich intern erfahren habe, dass die Straftäter durchaus mit dschihadistischem und islamistischem Hintergrund versehen sind.

    Engels: Wie groß ist die Gefahr denn generell, dass sich Terroristen künftig vielleicht in größerem Maße unbemannte Flugobjekte für Anschläge zunutze machen?

    Hartmann: Dass es solche Szenarien gibt, ist schon lange bekannt, und in den Vereinigten Staaten wurden schon Anschlagsplanungen mit demselben Modus Operandi verhindert, sodass unsere Behörden vorgewarnt waren. Ich denke, das ist ein Weg, und es wird viele, viele andere Wege geben, die sich jene, die glauben, andere töten zu dürfen im Namen einer höheren Lehre und höheren Moral, zu eigen machen werden. Man darf nie irgendwas ausschließen.

    Engels: Generell kommen ja auch immer mehr bezahlbare sogenannte Drohnen für die private Überwachung auf den Markt. Entwickelt sich daraus eine neue Anschlagsgefahr?

    Hartmann: Das sind zwei Paar Schuhe, aber beides ist problematisch. Das eine ist, einen Sprengkörper an einem Modellflugzeug anzubinden; das andere ist, dass in der Tat in Baumärkten und anderswo Drohnen feilgeboten werden, mit denen man den Nachbarn oder wen auch immer ausspähen kann. Ich halte beide Entwicklungen wie gesagt für problematisch, aber ich glaube nicht, dass diese kleinen Dinger, mit denen man Leute ausspähen kann, leider noch nicht richtig gesetzlich geregelt und gegebenenfalls unterbunden, dass die auch in der Lage sind, Sprengstoff in beträchtlicher Größe zu transportieren. Das ist eine Frage der Technik. Gehen Sie mal davon aus, dass Terroristen, wenn sie entschlossen sind, zuzuschlagen, immer auch ein Instrument finden, einen Weg finden, um ihre Pläne zu verwirklichen. Das ist das Fatale. Terroristen müssen nur einmal erfolgreich sein, die Polizei immer.

    Engels: Wir haben vor einer halben Stunde mit unserem Sicherheitskorrespondenten gesprochen. Der verwies darauf, dass die Informationen für diese Razzia hoch wahrscheinlich wieder aus Geheimdienstkreisen auch bestückt wurden. Was bedeutet diese Razzia, wo Sie sagen, das scheint ja ein Erfolg gewesen zu sein, im Generalzusammenhang dieser Debatte, die wir derzeit führen über das, was Geheimdienste ausspähen dürfen oder nicht?

    Hartmann: Nun, zweierlei. Erstens: Unsere geheimen Nachrichtendienste hier in Deutschland sind vielleicht nicht so schlecht wie gelegentlich ihr Ruf, denn sie haben vermutlich, wahrscheinlich, mit Gewissheit beigetragen, um diese Tat zu verhindern beziehungsweise die weiteren Planungen zu unterbinden. Und zum Zweiten: Wir müssen immer davon ausgehen, dass es internationale Netzwerke des Terrors gibt, denen auch internationale Strukturen der Sicherheit entgegengestellt werden. Internationale Strukturen der Sicherheit dürfen aber nie so ausgeformt sein, dass sie alle unter einen Generalverdacht stellen oder gar von einem befreundeten Staat im Falle Tempora und Prism deutsche Staatsbürger beliebig ausgespäht werden.

    Engels: Damit sprechen Sie die Debatte an, die derzeit geführt wird, nämlich die Ausspähmöglichkeiten, die wohl auch genutzt wurden durch die USA und britische Geheimdienste. Die Grünen fordern in diesem Zusammenhang die Bundesregierung nun auf, nach Bekanntwerden dieser Programme rechtliche Schritte gegen die USA und Großbritannien zu prüfen. Schließen Sie sich an?

    Hartmann: Nicht sofort, nein, sondern ich erwarte zunächst einmal, dass die Bundesregierung mit einer Stimme spricht. Wir erleben wieder einmal diese peinliche Komödie, dass Frau Leutheusser eigenständig Briefe schreibt und Gespräche führt und dass der Innenminister für den Rest der Bundesregierung oder wen auch immer handelt. Ich glaube, wir reden über ein Thema, das Chefsache sein muss. Es muss durch die Kanzlerin im Europarat geklärt werden, dass wir uns nicht gegenseitig so behandeln innerhalb Europas, als seien wir befeindete oder zumindest sich kritisch beäugende Staaten. Und es muss so sein, dass diese Praxis abgestellt wird, wenn sie Träger von Grundrechten, also Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, trifft. Bisher ist alles lauwarm, es wurden subaltern Briefe geschrieben und Frau Leutheusser geht ihren eigenen Weg. Das ist für mich eine politische Frage und noch keine rechtliche.

    Engels: Aber sehen Sie Anhaltspunkte, dass gegen EU-Recht verstoßen wurde, was die Briten angeht, oder dass man die USA hier bei diesem Thema vor den Internationalen Gerichtshof bringen könnte, wie die Grünen es ansprechen?

    Hartmann: Man sollte alles mit Ziel und Maß verfolgen. Der Skandal ist kein geringer, es geht darum, dass unsere Freiheitsrechte offensichtlich durch geheime Maßnahmen von befreundeten Staaten verletzt wurden, das muss ernstlich zur Sprache gebracht werden. Ich glaube aber, da wir wechselseitig auf Zusammenarbeit angewiesen sind, da diese Staaten nun in der Tat auch vom Terror mehr betroffen waren als wir und vielleicht deshalb da und dort überreagiert haben und da wir tatsächlich auch wollen, dass unsere Freundschaft nicht gefährdet wird, muss zunächst der politische Weg gegangen werden, der aber sehr, sehr hart und deutlich.

    Engels: Hart und deutlich auf der politischen Ebene, auf der anderen Seite möglicherweise rechtliche Schritte. Besteht hier die Gefahr, dass man mit Steinen wirft, aber im Glashaus sitzt? Soll heißen: Verstoßen nicht auch deutsche Geheimdienste gegen Rechtsnormen von ausländischen Staaten, vielleicht auch sogar manchmal befreundeten Staaten?

    Hartmann: Ich bin selbst Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, wo unsere Nachrichtendienste sehr kritisch im regelmäßigen Rhythmus von neuen, dafür aus der Mitte des Plenums gewählten Abgeordneten beäugt werden und befragt werden. Ich habe keinerlei Erkenntnisse, dass unser Bundesnachrichtendienst auch nur annähernd ähnlich agiert. Vielmehr muss der Bundesnachrichtendienst besser werden, um Cyber-Angriffe auf unser Land – die kommen aber übrigens von China und Russland in großem Maße, die derzeit Krokodilstränen weinen um das Agieren der USA -, damit diese stärker erfasst und bekämpft werden können. Maßnahmen wie diese, die sich gegen befreundete Staaten explizit richten oder beliebig Daten erfassen, sind mir nicht bekannt. Es wäre natürlich ein großer Skandal, gäbe es die. Ich habe aber null, null Erkenntnisse, die in diese Richtung weisen.

    Engels: Aber wenn man breite Datenzugriffe möglicherweise auch für deutsche Geheimdienste angehen möchte, dass es etwas besser wird, kann man da ausschließen, dass man auch die Daten von befreundeten Staaten mit erwischt?

    Hartmann: Nein, das kann man nicht ausschließen, und dann muss entsprechend agiert und gehandelt werden. Aber unser Bundesnachrichtendienst geht eben nicht so vor, dass er einfach ein beliebig großes Schleppnetz auswirft und alles mal erfasst, was zu erfassen ist, sondern wir suchen gezielt und professionell, beispielsweise anhand von Zugriffen, ob gegen Waffenexportbestimmungen verstoßen wird, ob Kindeshandel, Kindesmissbrauch vorangetrieben wird von Gaunern oder ob beispielsweise Terror droht oder schwere und schwerste Kriminalität – denken Sie an Drogen – zu bekämpfen ist. Das sind unsere Ansätze und da wird gezielt zugegriffen. Der Bundesnachrichtendienst dürfte etwa 20 Prozent der internationalen Verkehre laut Gesetz unter die Lupe nehmen, er macht das bei weniger als fünf Prozent und auch dort nur sehr gezielt, worüber ich froh bin. Das ist ein Zeichen von Professionalität, die gegen bürgerrechtsfeindliche Beliebigkeit steht. Aber wir müssen unbedingt besser werden, denn auch die Gauner werden besser.

    Engels: Michael Hartmann, SPD-Obmann im Bundestagsinnenausschuss und auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hartmann: Sehr, sehr gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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