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Michael Shannon
Unartikulierte amerikanische Wut

Schauspieler Michael Shannon kommt im Dezember gleich mehrfach ins Kino: ab morgen mit "Elvis & Nixon" und "Salt and Fire" sowie kurz vor Weihnachten mit "Nocturnal Animals". Da sind schweißnasse Hände schon beim Zuschauen programmiert.

Von Hartwig Tegeler | 07.12.2016
    US-Schauspieler Michael Shannon beim Deauville American Film Festival 2015 in Frankreich
    US-Schauspieler Michael Shannon beim Deauville American Film Festival (Etienne Laurent/EPA/dpa)
    Nur diese Großaufnahme, das letzte Bild von "Midnight Special", Mike Nichols Film von 2016: dieses von tiefen Falten durchzogene Gesicht, Augenringe, Mundwinkel ein wenig nach unten, alles unbewegt, fast starr, doch dann die Augen, vor allem die Augen von Michael Shannon.
    Vielleicht versuche ich es mit "Glut". Also, eine Glut, verzehrend, verstörend. Die eine ungeheure Energie verströmt, wenn Michael Shannon spielt. Auch in Filmen, die im Gegensatz zu seinem Spiel schnell vergessen sind. Immer diese "Glut". Gut, ich könnte es auch "Energie" nennen. "Feuer". Aber das sind natürlich am Ende alles hilflose Versuche, sich der Ausstrahlung von Michael Shannon mit Worten irgendwie anzunähern. Aber was heißt schon gerecht werden?
    "Schauspielerei, Schauspielen, das ist so eine seltsame Sache", sagt Michael Shannon. "Manchmal denke ich, ich werde besser, im Vergleich zu vor zehn Jahren. So ungefähr. Aber das ist natürlich so subjektiv. Ich meine, was ist gutes Spiel?"
    1974 geboren in Kentucky. Theater. Erste Rollen in "Und täglich grüßt das Murmeltier" oder dann bei Joel Schumacher im Vietnamfilm "Tigerland". Aber da erinnere ich nur Colin Farrell. Nein, los geht es bei mir, in der Erinnerung und in meiner Faszination gepaart mit Verstörtheit über diesen Michael Shannon, mit "Shotgun Stories" von Jeff Nichols. 2007. Bei Nichols wird Michael Shannon übrigens auch in den darauffolgenden Filmen spielen - "Take Shelter - Ein Sturm zieht auf", in "Mud - Kein Ausweg" und in "Midnight Special".
    Aber zunächst "Shotgun Stories", ein Film, dessen Geschichte allein Glut evoziert. Und Wut. Griechisches Tragödien-Feeling. Drei Brüder ganz tief in der Provinz, weiter trostloser Westen oder Osten oder … Die Söhne des versoffenen Vaters geraten bei dessen Beerdigung mit den Halbbrüdern aus zweiter Ehe aneinander. Es liegt Blutgier in der Luft. Nein, ihr könnt denken, er war ein guter Mann, meint die Figur von Michael Shannon, einer der Söhne, aber das war er nicht:
    "You're all here because you think he was a good man. But he wasn't."
    Glut, Gewalt, Spirale, Kochen. Man muss wohl Amerikaner sein wie Eddie Cockrell von "Variety", um diese Geschichte so überzeugend eine "Schrotladung der unartikulierten amerikanischen Wut" zu nennen bzw. als solche erkennen zu können. Im Mittelpunkt von "Shotgun Stories" steht Michael Shannon. Und wenn eben von "Glut" die Rede war, dann muss auch noch gesagt werden: Er scheint immer zu kochen! Gleich explodiert er. "Unartikulierte amerikanische Wut." Es scheint immer eine Warnung in diesem Ausdruck und diesem Spiel zu liegen.
    "Schauspielen, das ist zum Teil das Mitgefühl für Leute und der Versuch, Dinge aus der Sicht anderer Leute zu sehen", sagt Michael Shannon.
    Gut, das ist, was man mit Sicherheit sagen kann: dass Shannon sich eingräbt in die Charaktere. Und zwar mit wenigen schauspielerischen Mitteln. Lakonisch fast. Ob als Elvis in dieser Satire über zwei Egomanen in "Elvis & Nixon", bei Werner Herzog in "My Son, My Son, What Have Ye Done" oder jetzt in "Salt and Fire". Oder als Mafia-Killer in "The Iceman". Oder im zweiten Film von Modedesigner Tom Ford, in "Nocturnal Animals". Ende Dezember bei uns im Kino. Shannon als Texas Ranger, der Lungenkrebs hat - entsprechend abgemagert sieht er aus, während er sich die nächste Zigarette ansteckt -, also, ein vom Tode Gezeichneter, der den Mord an den beiden Frauen aufklären will. Wer sieht, wie Michael Shannon diesen Mann hier verhört, bekommt schon vom Zuschauen schweißnasse Hände:
    "Was kannst du uns über seine Frau und seine Tochter erzählen. - Ich weiß überhaupt davon überhaupt nichts. Ich habe ihn noch nie gesehen. - Sag mir was über Ray und Turk. - Wen? - Wen? Hörst du schlecht? Bist du schwerhörig, Lou. Ich kenn den nicht. - Du kennst den nicht? - Nein, Sir! - Mmh. Mmmh. Okay."
    Also, noch einmal "Glut", eine, die hier als Drohung gegen andere strahlt. Und mit einem einzigen Blick von Shannon entsteht. Das Jahr 2016 verlängert sich die Filmografie des Schauspielers um sieben Filme. Sieben! Guter Lauf. Vom Blockbuster "Batman v Superman" bis zu "Nocturnal Animals". 42 Jahre ist Michael Shannon jetzt alt. Die Zahl von Abgründen, die er noch aufreißen und in die er uns mit seinen Figuren noch hineinreißen kann: wahrscheinlich noch eine Menge. Ergo: Wir können uns auf zahlreiche weitere fulminante Höllenritte freuen. Und die Frage sei an dieser Stelle nicht mal ansatzweise mit einer Hoffnung auf Antwort verbunden: Wo nimmt der Mann das her?