Dienstag, 23. April 2024

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Michael Vassiliadis hofft auf Klarheit beim Kraftwerksbau

Im Zuge der Energiewende seien zunächst einmal Gesetze erlassen worden. Es fehle aber ein "Masterplan" für die konkrete Umsetzung, kritisiert der Vorsitzende der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis. Jetzt müsse ein "konkretes Management" folgen, das für langfristig sichere Rahmenbedingungen sorge.

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Jürgen Liminski | 02.05.2012
    Jürgen Liminski: Es war ein öffentlicher Schulterschluss. Der FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner und der ehemalige Sozialdemokrat und Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen Wolfgang Clement stellten gemeinsam ein Thesenpapier zur Industriepolitik vor, und es war viel Ironie der Geschichte zu spüren. Ausgerechnet der Mann, der Hannelore Kraft entdeckt, gefördert und zur Ministerin gemacht hatte, kritisierte gestern scharf die Politik der Nachfolgerin. Nordrhein-Westfalen brauche eine vernunftgeleitete Industriepolitik, in der die Wirtschaft Partner und nicht Gegner der Politik sein müsse. Zudem sprach sich das sozial-liberale Duo für den Bau neuer Kraftwerke aus. Auf diese Weise solle die Energieversorgung sichergestellt werden.

    Zu diesem Thema treffen heute Abend im Kanzleramt Vertreter der Energiewirtschaft und der Wissenschaft zusammen, um mit der Politik (in diesem Fall der Kanzlerin selbst) die Zukunft des Kraftwerkbaus zu beraten, sprich die Stromversorgung, die Bilanz der Energiewende, die Strompreisentwicklung und so weiter. Das Thema wird uns noch einige Zeit begleiten. Die Volontäre des Deutschlandfunks sind derzeit auf Reisen durch Deutschland und spüren in Gesprächen mit Politikern, Managern und Betroffenen dem Thema Energiewende nach. Eine kleine Kostprobe:

    O-Töne: "Gerade jetzt in der Energiewende müsste man fördern." – "Dass wir im letzten Jahr die erneuerbaren Energien auf Platz zwei der Stromerzeugungsquellen in Deutschland gebracht haben und die Förderkosten dafür sind praktisch gleich geblieben, das ist, glaube ich, ein ganz, ganz wichtiger Erfolg." – "Dass man versucht, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu killen, das ist der Hammer. Das ist so bescheuert und es ist durch nichts zu rechtfertigen." – "Gut, wenn es so extrem kommt, wie es hier vorgeschlagen wurde, dann befürchte ich, müssen wir die Firma schließen." – "Es ist einiges angestoßen worden, die Planungen für neue Netze, die Gesetzgebung im deutschen Recht." – "Das geht komplett am kleinen Bürger vorbei!"

    Liminski: Eine Collage zum Thema Energiewende, zu dem wir ab morgen um 07:50 Uhr bis Samstag Reportagen senden. Im Schatten der großen Töne bleibt meist die Haltung der Gewerkschaften, aber sie ist auch zugegen heute Abend beim Energiegipfel im Kanzleramt, und zwar in Gestalt des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Vassiliadis.

    Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Vassiliadis, fühlen Sie sich einsam, oder gar auf verloren Posten in der Runde der großen Energieversorger?

    Vassiliadis: Na ja, einsam nicht. Zunächst einmal ist es ja so, dass die Energieversorger, aber auch ein wirklich innovatives Netzwerk von Industrien bemüht ist, diese Energiewende auf den Weg zu bringen. Dafür brauchen natürlich sowohl die Energieerzeuger als auch die Chemieindustrie, die Glasindustrie, die Kunststoffindustrie, die allesamt in der Entwicklung erneuerbarer Energien auf dem Weg sind, klare Rahmenbedingungen, und deshalb hoffe ich, dass diese Runde – es gab ja schon viele – Klarheit schafft für Kraftwerksbau, für den Pfad, den die Bundesregierung und die Politik insgesamt in dieser Energiewende gehen will.

    Liminski: Wie sieht denn Ihre Zwischenbilanz der Energiewende aus?

    Vassiliadis: Zunächst einmal müssen wir ja unterscheiden, was Ziel und Wunsch ist und was konkret umgesetzt worden ist. Konkret umgesetzt worden sind erst mal in einer rasanten Geschwindigkeit Gesetze und seitdem streitet sich natürlich ein bisschen das politische Spektrum darüber, wer die Hebamme dieser Energiewende ist. In der Zwischenzeit ist allerdings konkret bei der Frage, hat man einen Masterplan, wie wir dieses anspruchsvolle Projekt denn wirklich umsetzen wollen, nicht sehr viel getan worden. Auf der einen Seite haben wir konkret die Abschaltung von acht Kernkraftwerken und den Plan, die weiteren bis 2022 abzuschalten. Das ist leistbar, wenn man jetzt handelt. Aber gerade in dem Bereich der Erneuerung des Kraftwerksparkes auch konventioneller Energieerzeuger, die wir brauchen, bis wir den Zeitraum erreicht haben, der ja noch unbestimmt ist, bis zu einer nennenswerten oder umfassenden Energieversorgung aus erneuerbaren Energien, da ist eine große Zurückhaltung. Neue Gaskraftwerke, neue Kohlekraftwerke gibt es nicht.

    Liminski: Viele Gesetze, wenig Taten, sagen Sie. Mit welchen Erwartungen gehen Sie denn dann in das Gespräch heute Abend?

    Vassiliadis: Zunächst einmal scheint es ja wohl so, dass die vier großen Energieerzeuger wieder zu Wort kommen. Ich glaube, dass wir die vier großen brauchen. Sie haben in der Zwischenzeit ja auch ihre Strategie und ihre Unternehmenspolitik umgestellt. Sie haben zum Teil noch die Lasten aus dem Kernenergieausstieg zu tragen. Und wir brauchen diese Unternehmen auch als Innovatoren, um die Energiewende umzusetzen. Wir brauchen aber wie gesagt auch ein klares Bekenntnis der Industrie insgesamt, mitzumachen und auch die Innovationen auf den Weg zu bringen, auf die wir dann setzen.
    Von der Politik erwarte ich und insbesondere von der Bundeskanzlerin und dem Bundesumweltminister, dass wir aus dem Impuls der politischen Wende nun ein konkretes Management machen, in dem wir auch offen kommunizieren und transparent machen, wo wir stehen. Wir hatten beispielsweise im Dezember durchaus, obwohl es bestritten wurde, eine Situation, in der unsere Netze instabil waren, in der wir teuren Strom aus dem Ausland gekauft haben. Das kann man mal machen, aber es ist natürlich kein Konzept und wir brauchen dauerhaft auch in Deutschland eine stabile und am Ende auch eine bezahlbare Energieversorgung. Und das Zweite ist: Ich glaube, wir müssen Schluss machen damit, dass wir den Eindruck erwecken, mit dem Abschalten der Kernenergie, für das ich ja bin, ist gleichzeitig sozusagen die erneuerbare Energiezukunft eingeschaltet. Dazwischen brauchen wir klare Technologiepfade, wir brauchen Förderung und wir brauchen vor allen Dingen langfristig sichere Rahmenbedingungen, zum Beispiel beim Emission Trading, beim EEG. All diese Gesetze sind kompliziert, sie sind vor allen Dingen volatil.

    Liminski: Halten Sie denn die Versorgung für gefährdet, wenn nicht schneller investiert wird?

    Vassiliadis: Zumindest ist die Stabilität des Netzes und auch die zur Verfügungstellung von stabilem Strom und Strompreisen, an die wir uns über die letzten Jahrzehnte gewöhnt haben, so nicht mehr selbstverständlich. Wir waren durchaus an Punkten, wo unser Netz instabil war. Ich bin niemand, der jetzt Stromausfälle herbeiredet, oder der in Hiobsbotschaften diskutiert. Allerdings muss man auch Verantwortung zeigen dafür, dass insbesondere die Industrien, die wir haben, hoch empfindliche und hoch leistungsfähige Industrien, einen Stromausfall auch nicht für Sekunden verkraften können. Deswegen darf man kein Spiel mit dem Feuer betreiben und wir brauchen Vorsorge und wir haben beispielsweise bei der Frage der konventionellen Gas-, Kohlekraftwerke Kraftwerke, die sehr, sehr alt sind und die irgendwann vom Netz gehen werden müssen, weil sie keine Betriebsgenehmigung mehr haben, und wir sehen eben keine Neubauten im erforderlichen Umfang, und das ist offensichtlich und das kann man sehen und da erwarte ich schon Antworten.

    Liminski: Die "Wirtschaftswoche" hat Ihren Kollegen IG-Metall-Chef Berthold Huber als mächtigsten Manager in Deutschland betitelt und die Gewerkschaften sitzen in der Tat mit am Tisch mit den Aufsichtsräten. Können Sie dort nicht etwas Dampf machen?

    Vassiliadis: Das tun wir ja. Sie können beobachten, dass viele Unternehmen zunächst einmal überrascht waren und vielleicht auch skeptisch waren, ob die Energiewende und ob dieses große Innovationsprojekt das richtige sei im internationalen Wettbewerb – viele andere Länder gehen andere Wege. Wir haben in den Aufsichtsräten, in den Diskussionen mit den Managern an vielen Stellen – Sie können das in den jetzt in den Hauptversammlungen zu hörenden Berichten auch wahrnehmen – Unternehmensstrategie auf Nachhaltigkeit, auf Energiewende, auf Technologie und Innovation getrimmt. Also es gibt durchaus positive Signale, das ist nicht nur das Werk der Gewerkschaften, aber auch.

    Liminski: Wir verlieren wertvolle Zeit bei der Energiewende, sagt hier im Deutschlandfunk der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie und Energie, Michael Vassiliadis, der heute Abend beim Energiegipfel im Kanzleramt teilnimmt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vassiliadis.

    Vassiliadis: Vielen Dank, Herr Liminski. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.