Dienstag, 16. April 2024

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Mick Hucknall im Corsogespräch
"Ich war früher ein krankes Individuum"

Auf dem neuen Simply Red-Album "Big Love" geht es vor allem um Familie und natürlich Liebe. Das liegt an den Veränderungen im Privatleben von Sänger Mick Hucknall. Im Corsogespräch blickte er auf seine Karriere zurück, erzählte vom Glück, ein Vater zu sein, und was er mit Lachsen im Rhein zu tun hat.

Mick Hucknall im Gespräch mit Eric Leimann | 01.06.2015
    Mick Hucknall, Sänger der Band Simply Red.
    Mick Hucknall, Sänger der Band Simply Red. (Imago / Future Image)
    Eric Leimann: Wenn Sie auf 30 Jahre Simply Red zurückblicken: Was war das Beste daran und was das Schlechteste?
    Mick Hucknall: Wenn ich an diese 30 Jahre zurückdenke, fällt mir vor allem auf, wie konstant diese Karriere war. Wir hatten viele Höhepunkte und kaum Krisen. Ich meine, welche Band schafft schon mit ihrer ersten Single den weltweiten Durchbruch? "Money's Too Tight Too Mention" hat uns überall die Türen aufgeschlossen. Man kann diesen Wahnsinn erst verstehen, wenn man weiß, wie ich vorher gelebt hatte. Ich war nach der Uni vier Jahre arbeitslos, lebte von Sozialhilfe, von 25 Pfund die Woche. Und dann - innerhalb weniger Monate - hatten wir Simply Red zusammengestellt und waren sofort erfolgreich damit. Das war schon außergewöhnlich.
    Leimann: Und wie war das mit dem Tiefpunkt der Karriere?
    Hucknall: Da muss ich jetzt wirklich schwer überlegen. Ich bin in Manchester geboren. Meine Idole als Kind waren die Beatles, also die Uridee einer Band. In Westeuropa gibt es unter den Menschen, auch den Journalisten, diese Idealvorstellung, jene romantische Verklärung des Band-Konzeptes. Ich glaube, am meisten schmerzte auch mich - vor allem am Anfang - dass wir nie eine richtige Band waren. Dabei ist die Band als kreatives Gefüge eigentlich nur für einen eher kleinen Teil großartiger Popmusik verantwortlich. Schaut man sich die Geschichte von Rhythm'n'Blues, Jazz oder Reggae an, findet man nur sehr wenige Bands, die in die Geschichte eingingen. Meistens war es doch eine kreative Person wie zum Beispiel Miles Davies, den ich sehr bewundere - der eben immer wieder tolle Bands zusammengestellt hat. Ich mit meiner Sozialisation fand die Idee, in einer Band zu spielen, aber immer sehr romantisch. Eine Gruppe, in der man alles gemeinsam macht und entscheidet - toll! Ich wollte bei den Beatles sein, fand aber keinen John, keinen Paul. Noch nicht mal einen George oder Ringo. Ich musste durch einen Prozess der Selbstfindung gehen, bis ich erkannte, dass ich mein Ideal der Band aufgeben musste.
    "Die Zeit war reif für diesen Song"
    Leimann: Kommen wir ruhig noch mal auf Ihre erste Single "Money's Too Tight To Mention" zurück - 1985 - ein Riesenhit. Wissen Sie heute, warum die Welt ausgerechnet auf dieses Lied, diesen Sound gewartet hat?
    Hucknall: Sie sagen es richtig: Die Zeit war reif für diesen Song. Sie war es nämlich nicht, als das Original von den Valentine Brothers herauskam. Ich habe dieses Lied 1981 als DJ gespielt. Ein Hit war das Original aber nie. Ich glaube, der Song war Platz 42 in den Charts. Als wir unsere Version herausbrachten, wurde sie zu Hymne gegen die Thatcher-Regierung. Es geht darin um Armut und Überlebenskampf. Das Stück traf die Situation meiner Leute im Norden Englands zu einhundert Prozent. Dazu kam, dass die Menschen irgendwie von meiner Stimme fasziniert waren. Ich erinnere mich, dass alle bei meiner Plattenfirma in Amerika dachten, ich wäre ein Mädchen. Die waren völlig geschockt, als ich zum ersten Mal bei denen aus dem Flugzeug stieg. Statt einer schwarzen Frau kam da so ein keltischer Rothaariger die Treppe am Flughafen herunter. Das war schon komisch, wissen Sie.
    Leimann: Ihre Stimme gehört zu denen mit dem höchsten Wiedererkennungswert im Pop. Fanden Sie diese Stimme selbst auch schon immer besonders?
    Hucknall: Ich war nicht von Beginn an so überzeugt von mir. Aber: Warner hatte mit mir einen weltweiten Plattenvertrag gemacht. Mein erster Song war ein Hit. Mein erstes Album verkaufte sich eine Million Mal innerhalb der ersten Monate. Man musste nicht Albert Einstein sein, um auf die Idee zu kommen, dass ich irgendetwas hatte.
    Leimann: Aber bevor Sie diesen Erfolg hatten, was dachten Sie da über Ihre Stimme?
    Hucknall: Nun, es gab Leute, die mich managen wollten. Es gibt dir ein gutes Gefühl, wenn andere Menschen glauben, dass du etwas Besonderes bist. Dieser Glaube an mich hat aber auch dazu geführt, dass ich sehr ernsthaft an mir und meiner Musik gearbeitet habe. Aber das hat alles einen Riesenspaß gemacht, es war eine tolle Erfahrung.
    "Das Problem bestand darin, dass wir keine besonders guten Musiker waren"
    Leimann: Ich habe gelesen, dass Sie vor Simply Red sieben Jahre in einer Punkband waren. Danach hat sich Ihre Musik ja sehr gewandelt. Stimmt das mit der Punkband überhaupt?
    Hucknall: Wir fingen als Punkband an, entwickelten uns dann aber zu einer wirklich schlechten Rhythm'n'Blues-Band. Wir waren sehr jung. Die Band hieß "The Frantic Elevators". Mit meinem Bandpartner Neil Moss war ich bei den ersten Konzerten der Sex Pistols und der Buzzcocks in Manchester. Wir liebten vor allem die Buzzcocks. Diese Konzerte waren der Grund, warum ich 1976 meine ersten Songs schrieb und eine Band gründete. "Holding Back The Years", was später ein Nummer-eins-Hit in den USA war, stammt aus dieser Zeit. Das Problem bestand darin, dass wir keine besonders guten Musiker waren. Dazu war "Holding Back The Years" unser einziger guter Song. Durch das Management, das ich damals hatte, haben wir dann eine neue Band zusammengestellt und nannten das Ganze Simply Red.
    Leimann: Sie machen seit vielen Jahren auch erstaunliche andere Dinge neben der eigenen Musik. In den 90ern gründeten Sie ein Label für alte Reggae-Musik, sie führen ein Weingut auf Sizilien und sind sogar eine Art Bauunternehmer.
    Hucknall: Viele Dinge, die ich neben der Musik mache, sind weniger unternehmerisch als philanthropisch gedacht. Mein Großvater war Ire, meine Großmutter Schottin. Mein Vater ist in Cumbria aufgewachsen, dem nordwestlichsten Teil Englands. Zu dieser Gegend fühle ich eine besonders enge Verbindung, weshalb ich mich dort zum Beispiel in einem Umweltprojekt engagiere. Ich hatte die Chance, dort einen Fluss zu kaufen, in dem Lachse schwimmen. Ich wollte die Population dieser Lachse erhöhen. Die Zahl der Lachse hat sich verdoppelt, seit wir uns um den Fluss kümmern. Wir sorgen auch dafür, dass die Fangnetze im Nordatlantik verschwinden. Die Folge davon könnte sein, dass sich demnächst wieder Lachse im deutschen Rhein ansiedeln, weil die auf ihrer Route bisher immer von den irischen Netzen abgefangen wurden. Wenn Sie also demnächst Lachse im Rhein sehen, denken Sie an mich.
    "Ich bin jetzt nur noch von Frauen umgeben"
    Leimann: Sie sind auch Vater mittlerweile, Ihre Tochter ist sieben oder acht Jahre alt. Wie hat das Ihr Leben verändert?
    Hucknall: Das bringt mich nun dazu, über mein neues Album zu sprechen, "Big Love" heißt es und darauf geht es um diese Veränderung - und um diese Art der Liebe. Die meisten Songs handeln von Familie. Wie man mit dem Verlust der Eltern umgeht. Das Lied "Dad" habe ich meinem Vater gewidmet. Es geht aber auch darum, eine neue Familie zu bekommen. In meinem Fall war Familie etwas, das ich zuvor nicht kannte. Ich bin ohne Mutter und Großeltern aufgewachsen. Mein Vater war alles, was ich hatte. Er zog mich alleine groß, was mich zu einem besonderen Menschen gemacht hat. Ich wusste nicht, was Familie ist. Jetzt bin ich mit einer Frau verheiratet, habe eine Tochter und sogar unser Hund ist weiblich. Ich bin jetzt nur noch von Frauen umgeben. Für mich ist das alles unglaublich. Ich musste viel lernen - vor allem, mich selbst anzuvertrauen. Ich kannte nur die Erfahrung, von einer Frau - meiner Mutter - verlassen zu werden. Deshalb hatte ich mein Leben lang Probleme, mich in die Abhängigkeit anderer Menschen zu begeben und mich ihnen anzuvertrauen.
    Leimann: Hat die Tatsache, dass Ihre Mutter Sie verlassen hat, auch Ihre Karriere beeinflusst? Also auch die Art, wie sie sich in der Musik ausdrücken?
    Hucknall: Wie sollte es anders sein? Andere Menschen haben sich an Vater, Mutter und Geschwistern abgearbeitet. Ich habe mich daran abgearbeitet, dass es außer meinem Vater keine Familie für mich gab.
    Leimann: Also waren schon Ihre ersten Songs davon motiviert, dass Ihnen etwas fehlte? War es dieses Gefühl, ganz tief in Ihnen drin?
    Hucknall: Es ist so, dass ich heute wieder bei den Themen von vor 30 Jahren gelandet bin. Der Song "Holding Back The Years" erzählt von meinem Vater - und meiner Mutter, die unser Zuhause verlassen hat. Nun schreibe ich über meinen Vater, der 2009 gestorben ist. Und über meine neue Familie, im Song "Big Love". Das ist meine "Story". Ich habe etwas gefunden, das ich niemals zu finden geglaubt hätte. Es hört sich an wie ein Klischee, aber hey - das Leben ist ein Klischee. Wenn man zynisch sein will, ist alles in unserem Leben ein verdammtes Klischee. Es macht aber keinen Sinn, zynisch auf die Welt oder das Leben zu blicken. Zynismus erschafft nichts außer Unglück. Zynismus ist eine Form des Hasses. Letztendlich hasst man sich selbst, weil man es sich nicht erlaubt, die Liebe in sein Leben zu lassen. Und braucht Hilfe, um anders leben zu können. Das alles war eine wunderbare Erfahrung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.