Donnerstag, 25. April 2024

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Miet Warlop
Kontrastprogramm mit Gips

Normalerweise sind ihre Theaterstücke bunt, schrill und ziemlich komisch. Seit fünf Jahren tourt die Belgierin Miet Warlop mit ihren surrealen Performances durch Europa. Doch statt eines Happenings mit spritzender Farbe, Schaumfontänen und Dartpfeilen wird es jetzt auf der Bühne des Hebbel-am-Ufer in Berlin recht farblos.

Von Oliver Kranz | 01.04.2015
    Ein Raum wie ein Gruselkabinett. Masken, die in der Luft zu schweben scheinen, bewegen sich im Rhythmus eines gespenstischen Atemgeräuschs. Doch statt eines Monsters taucht Miet Warlop aus der Dunkelheit auf - eine zierliche Frau, die sich ihr Haar wie einen Vorhang ins Gesicht fallen lässt:
    "Ich wollte etwas anderes machen als bei "Mystery Magnet". Da ich beim letzten Mal acht Akteure auf der Bühne hatte, die mit Farbe nur so um sich spritzten, zeige ich diesmal ein Solo in schwarz-weiß mit schweren Gipsskulpturen."
    Rein äußerlich ist die Produktion ein Kontrastprogramm zur überdrehten, quietschbunten Vorgängershow. Aber da sind auch Gemeinsamkeiten. Wie bei "Mystery Magnet" gibt es auch diesmal keine nachvollziehbare Handlung. Wichtig, sind die Objekte, die auf der Bühne zu sehen sind.
    Eine Steinkugel fällt auf eine ovale Skulptur, deren Außenhaut wie eine Eierschale zerbricht. Es kommt eine weiche wulstige Substanz zum Vorschein, die Miet Warlop mit der Leber antiker Opfertiere vergleicht:
    "Es war eine Inspiration für mich, als ich erfuhr, dass man früher einfach die Leber eines Schafs aufschnitt, um die Zukunft vorauszusagen. Die Prophezeiung war auch mit Selbstreflektion verbunden. Am Apollotempel in Delphi stand geschrieben "Erkenne dich selbst"."
    Warlop zeigt auf der Bühne Aktionen
    Auf der Theaterbühne fehlt dieser Satz. Die Performerin reißt die wulstige Substanz in Stücke und tanzt weiter zur nächsten Szene. Sie rührt Gips an und tunkt ein großes Tuch hinein. Danach schmiert sie die weiße Paste auf ihr nacktes Bein.
    "Die Show ist eine Spurensuche: Wo kommen wir her? Wie bilden Skulpturen unseren Körper ab? Welche Technik benutzten klassische Künstler und wie arbeiten wir heute? Ist es möglich, das Leben einfach einzufrieren und als Skulptur abzubilden? Neben den Bildern, die ich zeige, ist mir wichtig, dass es auf der Bühne echte Aktionen gibt."
    Miet Warlop meint Aktionen, die wirklich anstrengend sind. Sie schleppt Gipsabdrücke ihrer Beine auf die Bühne und hält sie sich an den Körper. Der Gips-Minirock, den sie trägt, ist so schwer, dass sie unter dem Gewicht fast zusammenbricht. Sie legt sich auf den Boden und rollt über die Bühne.
    "In dem Augenblick, in dem man auf der Bühne einen Gegenstand anders benutzt als im realen Leben, wird er fürs Publikum interessant. Der Minirock ist so schwer, dass sich die Zuschauer vielleicht fragen, warum ich ihn auf der Bühne überhaupt anziehe. Warum schmeiße ich ihn nicht einfach weg? Warum schleppen wir im Leben so viele Probleme mit uns herum? In diesem Sinn verstehe ich die Szene."
    Alte Spiellust immer noch spürbar
    Das Publikum kann natürlich auch andere Assoziationen haben. Miet Warlop erzählt keine Geschichte, sondern stellt Bilder nebeneinander. Sie hat Kunst studiert und kam nur zur Bühne, weil sie für ihre Abschlussarbeit an der Kunstakademie Gent mit einem Theaterpreis ausgezeichnet wurde.
    "Ich wollte eine Installation mit toten Materialien machen - ein Environment, das die Besucher betreten konnten. Ich habe es immer wieder auf- und abgebaut und merkte, was ich da mache, ist eigentlich keine Installation. Das muss sich bewegen. Auf einmal war das Timing wichtig: Wann bewegt man etwas und wie? Die Haltung des Performers ist dabei sehr wichtig. Sie kann die Bedeutung komplett verändern."
    Seit fünf Jahren tourt Miet Warlop mit ihren surrealen Performances durch halb Europa. Bei ihr werden Menschen Dinge und Dinge Menschen. Tische stöckeln auf Highheels über die Bühne, Trockenhauben singen im Chor, Menschen schlüpfen in Kostüme, die wie überdimensionale Wollknäuel aussehen. Die neue Produktion wirkt für Miet Warlops Verhältnisse ungewöhnlich düster. Unter der strengen Form, kann man aber immer noch die alte Spiellust spüren.