Donnerstag, 18. April 2024

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Graphic Novels über Syrien
Zwei gegensätzliche Bilder eines Landes

Der gefährliche Alltag in einem kleinen geheimen Krankenhaus an der syrisch-türkischen Grenze: Hamid Sulaiman zeichnet in "Freedom Hospital" ein düsteres Bild von Syrien. Blassrosa hingegen erscheint das Land in Riad Sattoufs drittem Band seiner Kindheitsanthologie "Der Araber von morgen". In beiden Werken steckt Wahrheit.

Von Martina Wehlte-Höschele | 18.12.2017
    Ein syrisches Kind in einem Flüchtlingslager bei Raqqa zieht eine Kiste hinter sich her.
    Syrien: Ein Land zwischen Kriegsszenarien und Hoffnung (AFP)
    Noch nie hat ein Comic-Zeichner in deutschen Medien jeglicher Couleur so breite Aufmerksamkeit gefunden wie der Syrer Hamid Sulaiman mit seiner Graphic Novel "Freedom Hospital". Er erzählt darin vom gefährlichen Alltag in einem kleinen geheimen Krankenhaus an der syrisch-türkischen Grenze, wo im Bürgerkrieg verletzte Gegner des Assad-Regimes behandelt werden, die in einem öffentlichen Krankenhaus verhaftet würden: ein Oppositioneller aus der frühen Demonstranten-Bewegung, Muslimbrüder, Mitglieder der Freien Syrischen Armee, ein Deserteur. Die Ausnahmesituation des Krieges hat sie zu einer Zwangsgemeinschaft im Untergrund gemacht: moderate und streng konservative Sunniten, einen Alawiten, einen Kurden, einen Christen und einen Agnostiker.
    Eine Bildcombo zeigt das Buchcover von "Freedom Hospital" von Hamid Sulaiman vor dem Foto eines Chirurgen in einem syrischen Krankenhaus.
    In "Freedom Hospital" beschreibt Hamid Sulaiman den gefährlichen Alltag in einem geheimen Krankenhaus an der syrisch-türkischen Grenze (Verlag Hanser Berlin/ Imago / EST&OST)
    Die zentrale Figur ist Yasmin, eine junge Syrerin, die nach ihrem Pharmazie-Studium, statt in den USA zu promovieren, in ihrem Elternhaus das konspirative Freedom Hospital einrichtet und mit zwei Ärzten betreibt - unter Einsatz ihres Lebens und ganz im Sinne ethischer Verantwortlichkeit nach dem hippokratischen Eid. Sie handelt pragmatisch, wie es der Überlebenskampf erfordert, und ohne aufzugeben. Obwohl sie dazu einigen Grund hätte: von dem Dutzend Menschen, mit denen sie die Bombenangriffe auf ihre Kleinstadt, deren Übernahme durch Dschihadisten und die feindlichen Suchaktionen durchsteht, fallen die einen im Bombenhagel, werden andere geköpft, muss sie unter martialischen Bedingungen dem einen das Bein, einem anderen den Arm amputieren und sieht sich am Ende noch einem Verräter gegenüber.
    Kriegsende, aber kein wirklicher Frieden
    Yasmin ist eine starke Frau, entschlossen und mutig. Zwar hofft sie auf den Sturz des Assad-Regimes und auf mehr Freiheit, doch als Idealistin hat Hamid Sulaiman sie nicht entworfen; ebenso wenig wie er seine Akteure in "Freedom Hospital" zur kosmopolitischen Gruppe weichgespült hat. Diese Menschen hat einzig ihre humanitäre Notlage zusammengeführt und die Vorstellung, sie könnten irgendwann in harmonischer Gemeinschaft zusammenleben, scheint pure Illusion. So wäre die nüchterne Erwartung, dass es lediglich irgendwann ein Kriegsende, aber keinen wirklichen Frieden geben wird.
    Der Syrienkrieg ist ein trauriges Dauerthema in der Berichterstattung und so erklärt es sich, dass Hamid Sulaimans "Freedom Hospital" ein unvergleichlich breites Interesse in den Medien fand. Noch bevor im Herbst 2016 die französische Ausgabe und schon im Januar 2017 im Hanser Verlag die deutsche Ausgabe erschien, zeigte die Berliner Galerie Crone eine Auswahl aus seinen über tausend schwarz-weißen, holzschnittartigen Blättern in expressiver Bildsprache. Nur schemenhaft hebt sich die Trümmerlandschaft einer zerstörten Stadt vom nachtschwarzen Grund ab, sieht man die Silhouette eines Mannes mit hilflos ausgebreiteten Armen, der seine Verzweiflung und Wut in Sprechblasen herausschreit. Die bräuchte man eigentlich nicht, so wirkungsmächtig sind die Bilder, in ihrer Konzentration auf das wesentliche Motiv auch erschütternder als You-Tube-Videos, die gelegentlich als Vorlage benutzt wurden.
    Der Schock über das Dargestellte ging in den Medien leider allgemein auf Kosten einer Würdigung des Erzählbaus, der Bildsprache und der Aussageintention des Autors, dessen Blick sich nicht nur auf den puren Überlebenskampf richtet, sondern auf die ganz menschliche Suche nach Glück jenseits aller Ideologie. Wer wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf den Kriegsterror in der Geschichte blickt, übersieht, dass hier mit einem geradezu trotzigen Dennoch drei Liebesgeschichten zu einem Happyend geführt werden. Sie sind dezent angelegt und im Erzählverlauf stringent entwickelt, als lebensbejahende Variante zu Leid und Tod. Das entspricht der Rezeptur jedes Bestsellerromans oder Blockbusters, doch das Irritierende ist, dass diese Romanzen keinen besonderen Stellenwert haben, der den Leser das Buch einigermaßen beruhigt schließen ließe. Ebenso wenig, wie sich ein Ende des Kriegsinfernos andeutet, sich Gut und Böse, Schuld und Unschuld klar unterscheiden lassen.
    Aus dem selben Holz geschnitzt wie Hafiz al-Assad
    Hamid Sulaimans Zeichenstil ist kontrastreich, von einer ausdrucksstarken Vereinfachung der Form und dadurch einer Konzentration der Bildaussage auf die Dramatik des Geschehens. Ganz anders Riad Sattouf mit seiner auf fünf Bände angelegten autobiographischen Reihe "Der Araber von morgen" gelungen. In seinem sympathisch karikierenden Zeichenstil, in der Situationskomik mit emotionalen Ausbrüchen seiner Figuren und in deren wohlwollender Typisierung unterscheidet es sich vollkommen von "Freedom Hospital". Gefährliche politische Spannungen oder Kriege im Nahen Osten spielen im gerade erschienenen dritten Band seiner Kindheitsanthologie zu den Jahren 1985 bis 1987 keine Rolle.
    Riad Sattouf erhält am 1.2.2015 beim wichtigsten französischen Comic-Festival in Angoulême für "Der Araber von morgen" den Preis für das Album des Jahres.
    Der Autor Riad Sattouf: Beim französischen Comic-Festival in Angoulême wurde er mit dem Preis für das Album des Jahres für "Der Araber von morgen" ausgezeichnet (AFP / Pierre Duffour)
    Blond gelockt schreitet der inzwischen siebenjährige Riad im weißen Thawb über die erste Buchseite. Seine Eltern hatten sich in ihrer Studienzeit Anfang der 1970er Jahre in Paris kennengelernt, wo Riad 1978 auch zur Welt kam. Der Vater stammt aus einem kleinen Dorf bei Homs, in das er mit einem Doktortitel in Zeitgeschichte sowie mit seiner bretonischen Frau und den Söhnen Riad und Yahyah wieder zurückgekehrt ist. Die sunnitische Großfamilie lebt nach der islamischen Werteordnung und Tradition, in die sich Vater Abdel-Razak nolens volens fügt, obwohl er sich seiner analphabetischen Verwandtschaft überlegen weiß und sich aus demselben Holz geschnitzt fühlt wie der mächtige Hafiz al-Assad.
    Schon im ersten Band – noch in Paris -hat er sich in jugendlicher Selbstüberschätzung als idealen panarabischen Staatslenker mit der Vision vom modernen Araber gesehen, der unter seiner, Abdel-Razaks, Präsidentschaft zur Abkehr von jeglicher Frömmelei, zu Bildung und dem Eintritt in die Moderne bekehrt würde. Im zweiten Band dann hat er eine unrühmliche Rolle im Zusammenhang mit einem Ehrenmord an seiner Cousine gespielt. Und er bleibt im Zwiespalt zwischen den familiären Zwängen, der Ignoranz in seinem Heimatdorf und seinem eigenen, erweiterten geistigen Horizont. Sein Akademikerstatus ist beklagenswert, blickt man auf die Risse in der Wand seines erbärmlichen Universitätsbüros in Damaskus und das niederschmetternde Niveau seiner Studenten.
    Eine Bestandsaufnahme der Gegensätzlichkeit zweier Kulturkreise
    Nun hat Riad Sattouf in seiner autobiografischen Satire alle Register des Genres gezogen. Wie der Autor süffisant das arabische Selbstbild überspitzt, so karikiert er als Zeichner das Personal seiner Geschichte indem er Prototypen schafft, deren Charakterzüge, Mentalität und Verhalten sich in Physiognomie, Mimik und Gestik spiegeln. Da ist die spitznasige, blonde Französin, die energisch die Arme in die Hüfte stemmt und ihrem Mann resolut Paroli bietet. Der wiederum bestätigt ganz das Bild des schwarzgelockten Arabers mit exorbitanter Nase und hat eine so lebhafte Körpersprache, dass man seine Worte manchmal gar nicht bräuchte, um zu verstehen, was er meint.
    Es ist eine andere Expressivität als in dem Kriegsszenario von "Freedom Hospital", eine witzig übertreibende, die das starre ländliche Gesellschaftskorsett für den europäischen Leser etwas bekömmlicher macht, weshalb Riad Sattouf auch die Farbe als Ausdrucksträger einbezieht. Die syrischen Alltagsszenen sind in blasses Rosa getaucht, die Ferienaufenthalte in Frankreich in helles Blau. Emotionale Ausbrüche und rohe Gewalt explodieren auf dramatischem Rot. Obgleich der Autor nicht dezidiert gegen den Lebensstil des Nahen Ostens und die syrische Provinz im besonderen Partei ergreift, macht seine Ironie doch den Abstand des Erwachsenen im Unterschied zum Gleichmut der Figur des Jungen Riad deutlich.
    Wie wird nun der Araber von morgen aussehen? Rückgewandt, in seinen religiös-kulturellen Traditionen befangen? Westlich assimiliert und wurzellos? Oder wird eine Symbiose gelingen? Einen Entwicklungsroman hat der Leser nicht in Händen, eher eine Bestandsaufnahme von der Gegensätzlichkeit zweier Kulturkreise. Die beiden Autoren Hamid Sulaiman und Riad Sattouf geben in ihren Graphic Novels jeweils ein Bild von ihrem Heimatland Syrien, das unterschiedlicher nicht sein könnte und sich auf traurige Weise zusammenfügt.
    Riad Sattouf: "Der Araber von morgen. Eine Kindheit im Nahen Osten (1985-1987). Band 3"
    Aus dem Französischen von Andreas Platthaus. Knaus Verlag, München 2017. 152 Seiten, 19,99 Euro.
    Hamid Sulaiman: "Freedom Hospital"
    Aus dem Französischen von Kai Pfeiffer. Hanser Berlin 2017. 288 Seiten, 24 Euro.