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Migranten in der Politik
Angekommen, um mitzubestimmen

Migranten und Migrantenkinder haben es in der Politik auffällig schwer: Sie haben kaum Netzwerke, sind häufig auf Migrationsthemen abonniert. Und seit einigen Jahren stockt die Integration, auch weil die Flüchtlingsdebatte die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt.

Von Katharina Hamberger | 12.09.2018
    Serap Güler, Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, aufgenommen am 30.06.2017 in der Staatskanzlei in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen). Foto: Rolf Vennenbernd/dpa | Verwendung weltweit
    Abonniert auf Integrationsthemen: Serap Güler (CDU), Staatssekretärin in der nordrhein-westfälischen Landesregierung (dpa / Rolf Vennenbernd)
    Der Gendarmenmarkt in Berlin. Touristen laufen über den Platz. In der Mitte steht ein Denkmal von Friedrich Schiller. Am Zaun, der die Statue des Dichters umgibt, lehnt Michael Groys - er hat den Ort als Treffpunkt vorgeschlagen, arbeitet gleich in der Nähe.
    "Ich bin 27 Jahre alt, komme ursprünglich aus der Ostukraine, lebe in Deutschland seit '98, seit 20 Jahren, also hab einen Migrationshintergrund, und bin hier als jüdischer Flüchtling über ein Kontingent eingewandert."
    "Ich bin seit fast zehn Jahren Mitglied der SPD und war dort an unterschiedlichen Stellen in der Verantwortung, auf der innerparteilichen kommunalen Ebene."
    Unter anderem sitzt Groys als Bürgerdeputierter in Bezirksausschüssen des Berliner Stadtteils Charlottenburg-Wilmersdorf. In der Berliner SPD scheint er gut vernetzt zu sein, leitete das Büro eines Mitglieds des Berliner Abgeordnetenhauses, war im Wahlkampfteam des früheren Kulturstaatssekretärs Tim Renner. Eben einer von vielen, der sich politisch engagiert. Dass er eine Einwanderungsgeschichte hat, macht ihn dennoch in der deutschen Politik zu etwas Besonderem.
    Denn Deutschland soll zwar nun ein Einwanderungsgesetz bekommen. Die entsprechenden Eckpunkte, mitausgearbeitet vom CSU-geführten Innenministerium, sollen demnächst vom Kabinett verabschiedet werden. Das Gesetz wird in großen Teilen der Versuch sein, längst bestehende Regeln zur Förderung der Fachkräfte-Einwanderung zusammenzufassen: Migrationsgeschichten sollen Aufstiegsgeschichten werden.
    In der Politik unterrepräsentiert
    Doch ausgerechnet in der Politik gibt es bislang nur wenige Menschen mit Migrationsgeschichte. Dabei machen sie mittlerweile fast ein Viertel der Bevölkerung aus: 19,3 Millionen Menschen in Deutschland hatten 2017 laut Mikrozensus einen Migrationshintergrund. Das heißt, er oder sie ist selbst eingewandert oder hat mindesten einen Elternteil, der nicht in Deutschland geboren ist. Rund 51 Prozent von ihnen sind deutsche Staatsbürger - und natürlich wollen sie entsprechend auch mitgestalten:
    "Ich würde sagen, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund schon sehr in der Mitte der Gesellschaft aufgewachsen sind. Also wir sind jetzt nicht - in Anführungszeichen - irgendwelche Randgruppen oder so, sondern wir gehen ganz normal zur Schule, wir gehen ganz normal zur Arbeit, uns beschäftigen alltägliche Dinge. Und ich denke mir, warum soll man darüber hinweg nicht auch ein bisschen nachdenken."
    Sagt Merve Gül. Die 26-jährige Juristin aus Stuttgart engagiert sich seit dem Bundestagswahlkampf 2013 in der CDU. Ihre Eltern kamen aus der Türkei. Zur CDU ist Gül gegangen, weil sie zeigen wollte, dass Menschen wie sie bei mehr Themen als nur der Integration ihren Beitrag leisten können.
    Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt (l) sowie Merve Gül posieren am 08.01.2016 in Berlin während des Neujahrsempfangs im Schloß Bellevue. Die Mannheimerin engagiert sich im _Zahnräder Netzwerk_, einer Kommunikationsplattform für junge Muslime. Foto: Soeren Stache/dpa | Verwendung weltweit
    Aus der Mitte der Gesellschaft: Merve Gül (CDU) im Jahr 2016 auf dem Neujahrsempfang des damaligen Bundespräsidenten Gauck (Soeren Stache / dpa)
    Dass die Migranten und Migrantenkinder jetzt mitbestimmen wollen, ist für den Soziologen Aladin El-Mafaalani ein Zeichen für eine offene Gesellschaft: Er zieht daraus den Schluss, dass gelungene Integration eben auch Konflikte, notwendige Konflikte verursacht: "Das Integrationsparadox" heißt deshalb sein jüngstes Buch. El-Mafaalani sagt:
    "Das muss jetzt nicht lauter werden, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Kontroversen kommt, die ist jetzt höher als in Zeiten, wo eine kleine, geschlossene Tischgesellschaft gemeinsam da saß, die sich relativ ähnlich war, und die sozusagen alles unter sich ausgemacht haben, während alle anderen Gruppen am Katzentisch saßen oder eben auf dem Boden."
    Dennoch: Der Anteil der Menschen mit einer Migrationsgeschichte in der Politik ist nach wie vor gering. Im Bundestag gehören laut dem Mediendienst Integration von den 709 Abgeordneten gerade einmal 58 dazu. Am geringsten ist der Anteil mit 2,9 Prozent bei der Union, am höchsten bei der Linkspartei mit 18,8 Prozent. Im Kabinett kann nur die Justizministerin Katarina Barley, SPD, einen Vater aus Großbritannien vorweisen. Einwanderungsgeschichten, die über die EU hinausweisen, sind bis in die Ebene der Staatssekretäre nicht zu finden.
    "Mich hat erschüttert, dass die Bundesregierung es quasi nicht mehr für notwendig erachtet hat, bei der Postenvergabe auch darauf zu schauen, dass irgendjemand, welcher Posten auch immer, dann auch dieses Merkmal irgendwie repräsentiert."
    Sagt die Sozialdemokratin Aydan Özoguz. Ihre Eltern kamen einst aus Istanbul, Özoguz war in der vergangenen Legislaturperiode Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.
    Dabei haben sich die Partizipationsmöglichkeiten für Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den vergangenen Jahren durchaus weiterentwickelt, meint Devrimsel Deniz Nergiz. Die Wissenschaftlerin hat ihre Doktorarbeit zu Parlamentariern mit Migrationshintergrund geschrieben.
    "Ich glaube nicht, dass es jetzt immer noch so schwer ist wie in den 90er Jahren. Als Cem Özdemir und Leyla Onur zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurden, war das natürlich eine Sensation, auch für die Herkunftsländer. Aber mittlerweile gehört das dazu, dass auch die Parteien das anerkennen und ihre Listen dann schon mit diesem Auge dann auch noch mal betrachten, dass sie Menschen mit Migrationshintergrund schon in ihren Listen haben."
    Union in der Kohl-Ära: "Kein Einwanderungsland"
    Bis Anfang der 90er Jahre wäre das undenkbar gewesen. So verkündete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1989 in einer Regierungserklärung:
    "Wir sind kein Einwanderungsland, und wir können es auch nicht werden."
    Mit dieser Einschätzung war der Christdemokrat nicht alleine. Und das, obwohl in Deutschland bereits viele von sogenannten Gastarbeitern vor allem aus der Türkei, aber auch aus Spanien und Italien lebten - und bleiben wollten, wie sich der der frühere SPD-Chef Franz Müntefering erinnert.
    "Gibt auch ein schönes Wort von Max Frisch: Sie bestellten Gastarbeiter, siehe da, es kamen Menschen."
    Noch Anfang der 80er Jahre wollten Helmut Kohl und Franz Josef Strauß jedoch die Zahl der Ausländer in Deutschland um die Hälfte reduzieren.
    "Das war schon ein Streit, der sich über die Jahrzehnte hingezogen hat und der auch verschärft worden ist. Lange ist das ja abgelehnt worden, diese Begrifflichkeit des Einwanderungslandes, des Zuwanderungslandes überhaupt."
    Als Rot-Grün 1998 an die Macht kam, wurde Müntefering 1999 Bundesgeschäftsführer der SPD und später deren Generalsekretär. Der rot-grüne Versuch, das Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern und die doppelte Staatsbürgerschaft möglich zu machen, stieß bei der Union auf Widerstand und heizte die Debatte "Einwanderungsland ja oder nein" an.
    "Ich erinnere mich an Landtagswahlen in Hessen und anderswo, wo man Karten unterschreiben konnte für die Rückführung, für das Rausschmeißen, ganz platt gesagt, der Leute, die hier sind."
    Erst Mitte der Nullerjahre vollzog dann die Union einen Wandel. Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth erzählte im Deutschlandfunk vor ein paar Jahren von immensen Entwicklungsprozessen in ihrer Partei, der CDU. 2004, im Zuge der Debatte um das Zuwanderungsrecht, sei es dann doch dazu gekommen…
    "… zu sagen, ja, wir sind ein Einwanderungsland, und es gilt, dieses Einwanderungsland zu gestalten. Zunächst allerdings mit der Haltung: Ein Einwanderungsland ohne neue Einwanderung."
    Der Grünen-Politiker Cem Özdemir im Januar 2018
    Eines der ersten Migrantenkinder im Bundestag: Grünen-Politiker Cem Özdemir (imago stock&people)
    Die ersten Kinder von Einwanderern saßen damals schon, seit 1994, im Bundestag. Einer von Ihnen: der Grüne Cem Özdemir.
    "Dass es mal unter der Union einen Schritt in Richtung doppelte Staatsbürgerschaft geben wird, das hätte ich mir jetzt auch nicht zwingend erträumen lassen. Wir in der Opposition - und die in der Regierung führen das ein, während, als wir in der Regierung waren, haben die uns das Staatsangehörigkeitsrecht kurz und klein geschlagen. Oder dass jetzt unter einem CSU-Innenminister das von mir bereits 1994 geforderte und vorgeschlagene Einwanderungsgesetz, wenn auch jetzt in homöopathischen Dosen, eingeführt wird, hätte ich mir auch nie erträumen lassen, wenn Sie mich 1994 danach gefragt hätten."
    Trotzdem kamen seitdem nur wenige Menschen mit Migrationshintergrund im Bundestag nach. Ist das Bekenntnis zum Einwanderungsland eben doch nur ein leeres Bekenntnis? Nicht unbedingt, meint Soziologe El-Mafaalani.
    "Der Trend deutet ganz klar in eine Richtung. Und jetzt sieht man, durch zum Beispiel, durch #metwo - mit w -, dass selbst ohne Repräsentanz in der Politik und in den höchsten Positionen der deutschen Institutionen, dass man sich Gehör verschafft hat, und das kann nur dann passieren, wenn diese Menschen bestens integriert sind und eben hochkompetent."
    Grundsätzlich wollen die meisten Parteien die gesellschaftlichen Verhältnisse auch wiederspiegeln - zumal sie, vor allem die Volksparteien, in Zukunft auch auf diesen Teil der Bevölkerung angewiesen sein werden, um zu überleben. Darauf hatte etwa der frühere Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, unablässig hingewiesen: Die Partei müsse jünger, bunter und weiblicher werden, um neue Mitglieder werben.
    "Aber auf der anderen Seite wurde da sehr wenig getan, und wird da auch sehr wenig getan. Es haben kaum Parteien eine Politik oder Strategien dazu, dass sie auch Leute bekommen."
    Quote für mehr Migranten in der Politik?
    Dies sagt Soziologin Nergiz. Ein Mittel, um solche Defizite schnell zu beheben, kann eine Quote sein. Hier scheiden sich allerdings die Geister. Auf jeden Fall brauche es eine Quote - genau wie die Frauenquote, sagt Christdemokratin Merve Gül:
    "Und man braucht sie halt genau deswegen, weil es einfach nicht sein kann, dass sich alte Säcke irgendwie absichern, und die ersten drei Listenplätze von alten, weißen Männern gefüllt werden, noch nicht mal, machen wir die ersten zehn oder die ersten zwanzig. Und ganz weit unten sind dann die Frauen oder sind dann irgendwie Leute, die Migrationshintergrund haben oder sonst irgendwas."
    Die meisten Migranten würden eine Quote hingegen eher ablehnen, weil sie diese als zusätzliche Last wahrnähmen, widerspricht Nergiz und verweist auf ihre empirische Studie. Sozialdemokrat Groys hält sie auch für schwierig umsetzbar. Er spricht stattdessen von "Empowerment", zu Deutsch: das Übertragen von Verantwortung.
    "Ich kenne das aus meiner russisch-sprachigen Community: Man ist in der Küche der beste Politiker - aber halt rauszugehen, mitzumachen, abends zu sitzen, da fehlt das halt sehr vielen. Ich glaube, da muss auch viel mehr von beiden Seiten passieren. Das ist nicht so eine Einbahnstraße."
    Worauf es ankommt ist laut Nergiz vor allem die Möglichkeit, auf der kleinsten, der kommunalen Ebene einzusteigen: Hier werden die Netzwerke gebildet, erste politische Erfahrungen gemacht. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte kämen bislang noch als Quereinsteiger in die Politik, würden eher berufen, als sich die Posten selbst und in Netzwerken zu erkämpfen - das zeige, dass die Politik noch nicht so weit sei, meint Nergiz.
    "Auch in der kommunalen Politik schon früh seinen Platz gefunden zu haben, ist sehr wichtig, um später in die Landespolitik oder in die Bundespolitik zu kommen."
    Aydan Özoguz auf dem SPD-Parteitag in Berlin im Dezember 2017. (Photo by Emmanuele Contini/NurPhoto) | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
    Über Umwege in die Politik: Aydan Özoguz (picture alliance / NurPhoto / Emmanuele Contini)
    Diesen Platz hat Merve Gül gefunden. Die 26-jährige kontaktierte nach ihrem Eintritt 2013 in die CDU direkt den Kreisvorsitzenden - damals in Mannheim - und traf sich mit ihm auf einen Kaffee.
    "Dann wurden einem die Leute vor Ort vorgestellt, dann gab's so einen Rundgang, dass man irgendwie Leute kennengelernt hat, die vielleicht zu einem passen oder nicht zu einem passen. Dann wurde ich auch ruckzuck bei der nächsten Wahl in den Vorstand vom Ortsverband gewählt. Die Leute waren super nett."
    Erste schwierige Erfahrungen hat sie dann erst einige Ebenen höher gemacht:
    "Und dann kommst du halt auf den Parteitag, auf den Bundesparteitag der CDU - und ich glaube die Erfahrung hat auch so ziemlich jeder gemacht – und man wird dann irgendwie verwechselt mit der Bedienung oder mit dem Catering-Service oder so."
    Der Grüne Cem Özdemir erzählt aus seiner Anfangszeit von einem Treffen mit einem CSU-Staatssekretär in Bonn:
    "Der Staatssekretär sagt: Herr Özdemir, Sie müssen mal Ihren Landsleuten erklären... Und dann sag ich: Sie sind mein Landsmann, erklären Sie es mir: Was soll ich Ihnen erklären? Und dann guckte er so dumm aus der Wäsche, hat erstmal realisiert: Wir teilen dieselbe Staatsbürgerschaft."
    Abonniert auf Migrationsthemen
    Solche Erfahrungen eint die Generation von Groys und Gül mit der von Özdemir und Özoguz. So wehrt sich Gül dagegen, immer wieder bei bestimmten Themen angesprochen zu werden.
    "Und ich diskutiere jetzt nicht, weil ich türkischen Migrationshintergrund habe, wie ich die Politik in der Türkei finde. Kann man, wenn man Interesse an der Person hat, klar immer fragen - aber dass ich irgendwie ständig dazu gezwungen werde, in irgendeiner Art und Weise Stellung nehme, das mache ich auf jeden Fall nicht. Und das muss man den Herrschaften auch ganz klar so zeigen."
    Es ist auch immer noch nicht geklärt, dass Menschen mit einer Migrationsgeschichte sich die Themen nach Interesse aussuchen können. So ging Özdemir in den 80ern vor allem wegen typisch grüner Themen in die Politik, die stillgelegte Eisenbahnstrecke im Ort, der Kampf gegen Atomkraft.
    "Ich erinnere mich, als ich dann mal für den Landesvorstand kandidiert habe, hielt ich eine Rede im breitesten Schwäbisch und hab da irgendwie über eiszeitliche Glazialpflanzen, über den Schutz des Wanderfalken geredet, über alles Mögliche, was mich eben damals rumgetrieben hat. Aber kein Schwein wollte irgendetwas von einem Cem Özdemir mit so einem Ötzel-Brötzel-Namen darüber hören. Sondern die wollten alle wissen: Wie ist das mit Migration, wie ist das mit Zusammenleben, wie ist das mit der Türkei, wie ist das da mit den Menschenrechten, und wie ist es da mit den Kurden? Und ich wusste da schon ein bisschen was drüber - aber halt auch nicht mehr als jemand, der Hans oder Detlef oder Gustav oder Josef heißt."
    Erst später hat Özdemir gelernt, das auch für sich zu nutzen. Ein Migrationshintergrund kann auch eine Chance sein, gleichzeitig eben auch eine Hürde: Menschen mit Migrationshintergrund sind für Migrationsthemen zuständig, meist ist es die einzige Chance, überhaupt ein Amt zu bekommen. Das muss sich ändern, meint Merve Gül:
    "Ich meine, wenn eine Aydan Özoguz Ministerin wird, dann wird sie irgendwie nur Ministerin für Integration und jetzt irgendwie nicht Innenministerin oder Arbeitsministerin oder sowas. So, da denkt man sich eben, dann sind das die Anfänge und man nimmt das eben hin. Aber ich würde auch sagen, würde ich jemals ein Amt anstreben, dann wär das sicher nicht irgendwas mit Integration oder sonst irgendwas."
    Ausgebremst vom Dauerbrenner-Thema Flüchtlinge
    Die angesprochene Özoguz will auch genau das denen, die nachkommen, auf den Weg mitgeben: Sie sollen sich bloß nicht nur mit diesen Themen zufrieden geben. Gleichzeitig befürchtet sie aber, dass der Weg dorthin gerade stockt:
    "Naja, ich erlebe, die Diskussion ist weiter als die Realität. Also ja, man will irgendwie, aber wir gehören ja nun irgendwie zu den ersten dann doch, und so richtig voran geht es auch nicht. Ich hab schon den Eindruck, ein bisschen stecken wir zurzeit fest. Ich weiß nicht so ganz genau, woran es liegt, aber es ist schwieriger geworden."
    Serap Güler, CDU-Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, hat dafür eine Erklärung:
    "Weil wir seit 2015 das Thema interkulturelle Öffnung, egal ob jetzt von Institutionen oder von Parteien, oder das Thema Integration wirklich fast ausschließlich nur noch mit Flüchtlingen verbinden. Und dementsprechend glaube ich, dass das nicht nur innerhalb der CDU, sondern gesamtgesellschaftlich eher eine Debatte ist, die nicht mehr so konstruktiv und so progressiv geführt wird, wie es vor 2015 der Fall war."
    Cem Özdemir markiert den Punkt der Trendwende eher im Jahr 2010, als Thilo Sarrazin sein erstes Buch veröffentlicht hat. Die Verschärfung der Migrationsdebatte hat dabei viele fruchtlose Komponenten, erläutert Güler am Beispiel der Frage, ob der Islam nun zu Deutschland gehört oder nicht. Rein symbolische Debatten, sagt sie …
    "…die uns integrationspolitisch, vor allem was das Zugehörigkeitsgefühl mit der hiesigen Gesellschaft betrifft, um Jahre zurückwerfen."
    Hinzu komme die Erdogan-Komponente. Viele hier in Deutschland Geborene mit türkischen Wurzeln fühlten sich dem türkischen Präsidenten näher als der deutschen Regierungen. Er und seine Partei werben auch aktiv um diese Zielgruppe:
    "Ich sage oft, dass er ein Vakuum der Anerkennung gefüllt hat, was der deutschen Seite lange nicht gelungen ist, weil es sie auch gar nicht versucht hat, aber wir sind schon in diesem Nachholprozess seit mehreren Jahren. Wir müssen, glaube ich, insgesamt als deutsche Volksparteien oder deutsche Parteien die Menschen viel stärker emotional abholen, was der deutschen Politik nach wie vor nicht so gelingt."
    Einwanderungsgesetz kein integrationspolitisches Allheilmittel
    Welche Bedeutung spielt dabei das Einwanderungsgesetz? Nach dem Zuwanderungsrecht soll es in Deutschland nun erstmals ein einheitliches Fachkräfteeinwanderungsgesetz geben. Die vorliegenden Eckpunkte machen deutlich: Es geht darum, um Fachkräfte im Ausland zu werben - nicht mehr nur für sogenannte Mangelberufe, wo gerade dringend Fachpersonal gebraucht wird, die auch die Chance bekommen sollen, in Deutschland bleiben zu können. Eine ganz andere Zielsetzung als noch bei der Anwerbung der sogenannten Gastarbeiter. Aber die SPD-Politikerin Aydan Özoguz warnt davor, das neue Gesetz falsch zu interpretieren:
    "Es wird immer so eine eigenartige Diskussion geführt, als würde man mit einem solchen Gesetz Einwanderern einen Gefallen tun - also sozusagen einseitig. Dabei geht es ja gerade darum, den Arbeitsmarkt ordentlich zu steuern, zu regeln, es auch Unternehmern leichter zu machen, transparenter zu machen, vernünftige Arbeitskräfte eben auch aus dem Ausland zu holen."
    Auch Christdemokratin Güler warnt davor, die Wirkung des Gesetzes auf den Stand der Integration zu überschätzen. Es würde signalisieren, dass Deutschland sich dazu bekennt, ein Einwanderungsland zu sein, aber…
    "Ich bin nur dagegen, dass wir das Gefühl vermitteln, ein Einwanderungsgesetz würde sämtliche Herausforderungen oder Probleme, die wir haben, lösen. Oder wäre Balsam für so viele Themen, auch integrationspolitisch."
    Ähnlich sieht es auch Sozialdemokrat Michael Groys. Für Groys geht der Weg zur Akzeptanz der Einwanderungsgesellschaft über eine gemeinsame Erzählung:
    "Ich glaube, wir müssen eine Deutschlandstory erzählen, eine Deutschlandstory, bei der jeder und jede teilnehmen kann. Eine Geschichte von Deutschland, wo ein Migrant, der seit zwei Jahren hier ist und aus Syrien eingewandert ist, und einer aus Sachsen an ein gemeinsames Ziel glauben, an ein gemeinsames Wir, bei dem alle mit dabei sein können. Und ich glaube, das fehlt ein bisschen."
    Klar ist: Es gibt keinen Automatismus, es ist kein Selbstläufer, dass in der Politik auch alle gesellschaftlichen Gruppen abgebildet werden. Alle müssen daran arbeiten: Parteien, Politiker, aber auch die Menschen selbst, die denen Mitsprache wichtig ist. Der Soziologe El Mafaalani beschreibt es so:
    "Also, die offene Gesellschaft ist eine Arena. Spielen muss man selbst."