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Miguel Ángel Hernández
Konventionell erzählt und vorhersehbar

Wenn ein Kunsttheoretiker einen Roman schreibt, dann will er entweder seine Begabung als Schriftsteller unter Beweis stellen oder eine Botschaft übermitteln. Miguel Ángel Hernández wollte beides. Sein Roman "Fluchtversuch" überzeugt jedoch weniger als literarisches Debüt, denn als Diskussionsbeitrag über politische Aktionskunst, wie sie Santiago Sierra betreibt.

Von Eva Pfister | 19.11.2014
    Denn kein anderer ist mit Jacobo Montes gemeint, um den es im Buch geht. Nicht zufällig lassen sich beide Namen mit Jakob Berg übersetzen.
    Der Autor, Dozent für zeitgenössische Kunst an der Universität Murcia, stellt unbequeme Fragen. Die Recherchen und Vorbereitungen von sozial engagierten Werken bringen die Künstler in Kontakt zu sozial Schwachen oder zu Migranten. Das Kunstprojekt macht deren Probleme auch sichtbar, - aber was, wenn die Aktion oder die Ausstellung vorbei ist? Haben dann neben den Künstlern auch die Betroffenen etwas davon? Die Obdachlosen, von denen Porträts in Galerien hängen zum Beispiel? Oder die Flüchtlinge, die in einem Ausstellungsprojekt mitwirkten?
    Der Ich-Erzähler im Roman "Fluchtversuch" ist Marcos, ein eifriger Student der Kunstwissenschaft. Er wird angeheuert, um dem weltberühmten Künstler Jacobo Montes zu assistieren, der in Murcia ein Projekt über die Situation der illegalen Einwanderer plant. Montes ist berühmt für Grenzüberschreitungen. Er vollführte schmerzhafte Performances am eigenen Leib oder ließ Tagelöhner in lebensgefährlichen Situationen ausharren.
    Zwischen Faszination und Abscheu
    Marcos liegt vor Ehrfurcht beinahe auf den Knien, als er beginnt, für den großen Künstler die Lebenswelt der Migranten zu erkunden. Er lernt die Callshops kennen, die oft exotisch eingerichtet sind und den jeweiligen Gruppen ein Heimatgefühl vermitteln. Er zeichnet ihre Position auf einem Stadtplan ein und findet heraus, dass sie in einem Kreis um die Innenstadt liegen, der ungefähr der Lage der früheren arabischen Stadtmauer entspricht. Er erkundet den "Arbeitsstrich" am Stadtrand, wo die Migranten als Tagelöhner auf Kunden warten. Dort lernt er Omar aus Mali kennen, der sofort bereit ist, am Kunstprojekt mitzumachen. Das sieht schließlich so aus, dass Omar für einen Lohn von 6000 Euro eine Woche lang in eine Kiste gesperrt werden soll. Ohne Pausen, ohne Essen. Ob Omar dieses Experiment überlebt hat, erfahren die Leser nicht, denn Marcos steigt aus dem Projekt aus. Seine Bewunderung für den großen Künstler kippt in Ablehnung um: Wie kann aus der Misshandlung eines Migranten ein "sozialkritisches" Kunstwerk hervorgehen?
    Ähnlich wie sein junger Protagonist scheint der Autor zwischen Faszination und Abscheu zu schwanken: Er zeichnet einerseits den Superstar als egozentrischen Monomanen, der sich kaum für die Probleme seiner menschlichen Kunstobjekte interessiert, sondern in seinen Werken die brutale Ausbeutung einfach reproduziert. Andererseits führt Hernández die Leser mit langen kunsttheoretischen Abhandlungen in das Werk von Performancekünstlern ein, die mit Schmerz und Körperverletzung arbeiten und damit Reaktionen des Publikums provozieren, - und er weckt so auch das Verständnis dafür.
    Konventionell erzählt und vorhersehbar
    Die theoretischen Passagen sind das Interessanteste in "Fluchtversuch". Etwas lahmer kommt die Satire daher, mit der Hernández den Kunstbetrieb karikiert: hier die unangreifbaren Genies mit den Kuratoren und Kritikern als Komplizen - dort die naiven Konsumenten, die so kritik- wie ratlos vor den Werken stehen. Am schwächsten ist der Roman als Geschichte des Studenten Marcos. Er ist ein blasser dicklicher Junge, dessen Kreativität sich in seinen sexuellen Fantasien erschöpft. Er masturbiert jede Nacht, während er sich an die realen Mädchen nicht herantraut, sondern hilflos für seine Professorin schwärmt, die ihn natürlich problemlos um den Finger wickelt. Das ist alles sehr konventionell erzählt und ziemlich vorhersehbar. Während man bis zum Ende nicht weiß, ob man Jacobo Montes nun für einen genialen Künstler oder einen Kriminellen halten soll. Oder ob das Kriterium der Moral in der Kunst wirklich fehl am Platz ist.
    Miguel Ángel Hernández: Fluchtversuch. Roman. Aus dem Spanischen von Jannike Marie Haar und Carsten Regling. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014. 256 Seiten. Englische Broschur. 16,90 Euro