Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Mika Rottenberg im Kunsthaus Bregenz
Frauen in beklemmenden Räumen

Die argentinisch-israelische Künstlerin Mika Rottenberg beschäftigt sich damit, wie Waren produziert werden und Menschen arbeiten. Meist geht es um die unwürdige Arbeitswirklichkeit von Frauen. Rottenberg verbindet Sozialkritik mit Komik und skurrilen Bildern.

Von Christian Gampert | 20.04.2018
    Bregenz am Bodensee, Blick zum Kunsthaus vom Wasser aus
    Bregenz am Bodensee Blick zum Kunsthaus (imago/ CHROMORANGE)
    Vieles ist einfach nur Spielerei bei Mika Rottenberg. Wenn gleich im ersten Video langnasige Männer niesen müssen und dabei, merkwürdiger Geburtsvorgang, mal ein Stück Fleisch und mal einen fetten Dürer-Hasen auf den Schreibtisch spucken, dann ist das ein netter Zaubertrick – die Künstlerin zieht ein Kaninchen aus dem Zylinder. Und doch ist dieser kleine Willkommensgruß auch Programm: bei Mika Rottenberg geschieht immer das Unerwartete, Ungewöhnliche; und das Nicht-miteinander-Vereinbare wird mit Vorbedacht kombiniert: Milch sprudelt nicht aus Eutern, sondern aus Erdlöchern, statt eines Bartes wachsen Wäscheklammern im Gesicht. Die sehr alten Traditionen des Surrealismus und Dadaismus winken da aus den Kulissen. Aber das ist wahrscheinlich gar nicht der Grund, warum Kunsthaus-Direktor Thomas Trummer die Künstlerin für diese Schau engagiert hat.
    "Ich glaube, dass sie etwas mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun hat. Es geht um Arbeitsbedingungen, es geht um Globalisierung, es geht um Kapital. Es geht besonders um Arbeitsbedingungen von Frauen, um Produkt und Warenfetisch."
    Mika Rottenburg lässt ihr Publikum ständig durch düstere Gänge, Tunnel, Schleusen oder Bretterbuden laufen, damit man sieht und fühlt, welch dunkle Mächte im Kapitalismus am Werk sind. Die Frauen in der Ausbeutungsmaschinerie werden allerdings nicht auf moralische Art gezeigt; die Szenen sind meist lustig, schrill und schräg, manchmal auch geheimnisvoll.
    Frauen bei der Arbeit
    Gleich die erste Installation schließt an ländliche Vorarlberger Verhältnisse an: in einer windschief zusammengenagelten Bauern- oder auch Stammeshütte warten Monitore mit skurrilen Filmen, die sich einerseits mit der Milch- und Käseproduktion beschäftigen, andererseits Frauen mit überlanger erotischer Haarpracht zeigen, welche dauernd geschüttelt wird. Das wiederum hat mit einer Werbekampagne für Haarwuchsmittel zu tun – die Bezüge zwischen Landwirtschaft und Erotik, freilaufenden Gänsen und Ziegen und freilaufenden Frauen erschließen sich aber wohl nur feministisch Eingeweihten in voller Konsequenz.
    Ernster wird es, wenn chinesische Arbeiterinnen an langen Tischen Muscheln öffnen und Perlen aus ihrer Behausung lösen. Die extreme Armut der Frauen konterkariert die wertvollen Perlen, die sie sortierend durch die Finger gleiten lassen. Die Sozialdoku wird nun gegengeschnitten mit einer surrealen Küche einen Stock höher, wo eine üppige Blondine mit dem schmutzigen Geschirr aus der Kantine sitzt. In einer Ecke steht eine Schachtel mit Perlen, aus denen nackte Füße wachsen. Auch der Blondine wächst nun eine Pinocchio-Nase.
    "Einen sozialen Surrealismus kann’s eigentlich nicht geben. Aber sie sucht ihn, indem sie tatsächlich reale Verhältnisse, Produktionsbedingungen verkoppelt mit magischen, surrealen, fabelhaften, märchenhaften Erscheinungen."
    Manchmal ist in den Räumen eine wohltuende Stille, in der Regel aber liegt unter Rottenbergs Installationen ein nervender, manchmal auch eruptiv kreischender Sound. Die ausgebeuteten Frauen in den Filmen sind nicht gerade Schönheiten, eher fettleibig und gelangweilt. Aber gerade das verleiht ihnen eine absurde Präsenz. In einer langen Kamerafahrt an chinesischen Spielzeugläden entlang sieht man Verkäuferinnen, die im bunten Plastik quasi verschwinden – man steht völlig entgeistert davor, weil man weiß: diese Plastikmassen werden morgen verkauft und sind übermorgen Müll; und der Mensch versackt in der Materie.
    Gerade die Arbeit "Cosmic Generator", aus der diese Bilder sind, entfaltet in Bregenz eine große Kraft: stoische Aufnahmen des Grenzzauns in der amerikanisch-mexikanischen Wüste werden verbunden mit dem kapitalen Durcheinander beidseits der Grenze – und mit der chinesischen Ess- und Plastikkultur. Ein unterirdisches Röhrensystem verbindet die Jeff-Koons-artige Spielzeugwelt mit der Lotterie der Finanzmärkte – es ist auch ein Röhrensystem kunstimmanenter Anspielungen und Verweise, das Rottenberg da bedient. Die überzeugendste (und neueste) Arbeit allerdings ist nicht bunt, sondern dunkel und sakral: wie in einem antiken Altarraum stehen da lauter Pfannen herum, Stellvertreter weiblicher Arbeit, die rhythmisch erhitzt werden. Der Dampf, der dann aufsteigt, wirkt wie Weihrauch, wie eine überirdische Belohnung. Das ist auch visuell viel besser als die federleichten Plastikmärchen aus der Welt des Kapitals.