Mikrokosmos

Alternativ, libertär, scharfzüngig

43:06 Minuten
Die Kulturzeitschrift Ajoblanco liegt an einem Kiosk aus.
Die Leser gestalten mit: durch Spenden und Diskussionen mit der "Ajoblanco"-Redaktion © Deutschlandradio / Rilo Chmielorz
Von Rilo Chmielorz · 16.02.2018
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Keine Werbung, erfrischendes Layout, Wortspiele auf dem Cover: Bei der Kulturzeitschrift "Ajoblanco" aus Barcelona ist vieles anders als bei anderen Zeitschriften. Nicht nur die Themen und die Organisation der Arbeit in der Redaktion. Auch die Leser werden auf ungewöhnliche Art eingebunden.
Rilo Chmielorz ist nach Barcelona gereist und besuchte "Ajoblanco" - eine alternative Kulturzeitschrift, gleichzeitig ein libertäres Projekt, das auch Veranstaltungen umfasst.
Seit Juni 2017 erscheint "Ajoblanco" wieder - nach einem langen Dornröschenschlaf, denn dieses libertär-anarchische Unternehmen hat eine Geschichte, die bereits 1974 begann. Zu einer Zeit, als es in Bundesrepublik vergleichbare Zeitschriften wie "Twen" und die antiautoritäre "Underground" schon nicht mehr gab.
Am Zeitungskiosk liegt der "Ajo" wie eine kleine Oase in der spanischen Medienlandschaft für sieben Euro. Keine Werbung. "Ajoblanco" gehört den Lesern. Nicht nur kaufen, sondern mitgestalten - durch regelmäßige Treffen mit der Redaktion ebenso wie durch Spenden.
Wortspiele und 70er-Jahre-Stil
"Ajoblanco"- weißer Knoblauch - heißt in der spanischen Küche heißt auch eine eiskalte, erfrischend- scharfe Sommer-Suppe. Scharfzüngig und erfrischend kommt auch dieses über 100 Seiten starke Magazin daher - der Schriftzug von Coca Cola geklaut, farbig, aber nicht auf Hochglanzbögen, sondern auf preiswertem Rollen-Offset.
Auf dem Titel von Nummer eins: "Re-volvemos", ein Wortspiel: das sowohl "Rückkehr" als auch "Revolte" mitschwingen lässt - auf weißem Grund in rot-schwarzer Schrift. Und ein briefmarkengroßes Schwarz-Weiß-Foto: eine Demo aus den 70er-Jahren, eine Fahne mit Peace-Zeichen ist deutlich zu erkennen. Der Rest: viel weiße Fläche.
Kein Wort zum katalanischen Konflikt
Der Aufmacher von Heft zwei: ein Farbfoto, auf dem die Silhouette eines Menschen in unzähligen Projektionen von Selfies verschwindet. "Atrapados en la Red" ist das Motto dieser Ausgabe - "gefangen im Netz". Außerdem: Umwelt, politischer Aktivismus, Kunst, Sexualität, Feminismus, Anti-Psychiatrie. Alles ist drin. Fast alles - über den katalanischen Konflikt kein Wort. Von Pepe Ribas, dem Erfinder des "Ajo", erfährt Rilo Chmielorz, dass sich der spanischsprachige "Ajo" bewusst aus den Auseinandersetzungen um die katalanische Unabhängigkeit heraushält: Dem in der Tradition der anarchistischen, gewerkschaftsnahen Zeitschriften der 1920er-Jahre stehenden "Ajo" sind Themen wie Gemeinwohl, Kultur für alle, Solidarität, essenziell.
Pepe Ribas, der Erfinder von Ajoblanco
Pepe Ribas, der Erfinder von Ajoblanco© Deutschlandradio / Rilo Chmielorz
Der zweite Gründungsvater neben Pepe Ribas ist Fernando Mir - wie Ribas schon im Rentenalter. Zusammen mit Carolina Espinoza, einer Journalistin um die vierzig, die ursprünglich aus Chile kommt, bilden sie das Herausgeber-Triumvirat, das ohne einen Cent Gehalt für den "Ajo" arbeitet.
Dann gibt es Alvaro García-Nieto und Miguel Castejón, zwei junge Journalisten, Mitte zwanzig - dazu eine Sekretärin und eine Organisatorin von Veranstaltungen.
Seminare und Ausstellungen
Innerhalb der Redaktion arbeiten Jung und Alt zusammen in libertären Strukturen - eine Direktion gibt es hier nicht. Das gemeinsame Projekt "Ajoblanco" steht im Zentrum. Das bedeutet "work in progress" und manchmal auch Chaos.
Sitz des "Ajo" ist ein Ladenlokal im Zentrum der Stadt. Dazu gehören zwei Ausstellungsräume und ein großer Seminarraum.
Workshop in der Redaktion der Zeitschrift Ajoblanco, die in Barcelona erscheint.
Die Workshops inspirieren beide Seiten: Macher und Leser© Deutschlandradio / Rilo Chmielorz
Ganz im libertären Geist der Zeitschrift, die den unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum sucht, wird in den Ausstellungsräumen eine kleine Alternative zur kostspieligen Kulturindustrie vorgestellt. Die Ausstellung heißt "Meninas Cartoneras" - "Prinzessinnen aus Pappkarton". Das ist auch der Name eines alternativen Verlages. Handgebundene Bücher mit bunten Titeln aus Karton baumeln an dünnen Nylonfäden an den Wänden: Collagen, Gemaltes, Siebdruck, Zeichnungen - jedes Buch hat sein eigenes Gesicht und birgt Geschichten von bekannten und unbekannten Autoren aus Spanien und Lateinamerika.
Carolina Espinoza, die "Ajo"-Redakteurin, leitet einen Workshop über "alternative Buch-Produktion" und stellt das Konzept der Karton-Verlage vor. Unter den Workshop-Teilnehmerinnen gibt es auch alte Fans vom "Ajo", die dem freiheitlichen Geist nachspüren und gerne hier mitmachen.
Carolina Espinoza, Ajoblanco-Redakteurin
Carolina Espinoza aus Chile, Mitherausgeberin von "Ajoblanco"© Deutschlandradio / Rilo Chmielorz
Wiederbelebung zur rechten Zeit?
Mitten im krisengebeutelten Barcelona empfangen die Macher ihre Leser zu beiderseitiger Inspiration. Es gibt nicht nur Ausstellungen, sondern auch Diskussionen und Seminare. Und das alles kurz vor den Neuwahlen in Katalonien, wo kein Tag vergeht ohne Demo für oder gegen den "proces" der "independentistas". Ist "Ajoblanco" deswegen jetzt wieder aufgetaucht? Auf der ersten Seite von "Ajoblanco 02" springt dem Leser ein Statement der Aktivistin Debbie Bookchin zum Thema Wahlen entgegen:
"Die Wahlurne ist das Medium, mit dem der Staat den politischen Körper in einem eisernen Käfig hält - befriedet, manipuliert und gezwungen zu Kompromissen, die immer ärger werden."
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