Hambacher Forst 2018

Kampf um die Kohle

43:50 Minuten
06.09.2018: Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Ein Umweltaktivist auf einem Baumhaus im Hambacher Forst hält einen Stuhl aus dem Fenster. Die Polizei und der Energiekonzern RWE führen die Räumungsarbeiten im Hambacher Forst fort
Ein Umweltaktivist auf einem Baumhaus im Hambacher Forst © Christophe Gateau/dpa
Von Manfred Götzke · 21.09.2018
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Der Hambacher Forst bei Köln ist zum Symbol für den Kampf um die Braunkohle geworden: auf der einen Seite ein mächtiger Energiekonzern, auf der anderen Seite Umweltaktivisten, die den Wald vor den Sägen schützen wollen. Zeit, um über die Protestkultur in Deutschland zu sprechen.
Nach dem tödlichen Absturz eines Journalisten haben Polizei und RWE die Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst unterbrochen. Nordrhein-Westfalens Innenminister forderte die Baumbesetzer auf, ihre Häuser freiwillig zu räumen. Doch dieser Aufforderung werden sie wohl kaum nachkommen. Denn den Aktivisten, die sich Nor, Stamm oder Beppo nennen, geht es um mehr, als um 300 Hektar Wald. Sie kämpfen im Hambacher Forst gegen Umweltzerstörung, für Klimagerechtigkeit, letztlich aber vor allem auch für ein Gesellschaftssystem jenseits kapitalistischer Logik.
"Es ist unser Lebensraum"
Barrikade im Hambacher Forst
Barrikade im Hambacher Forst© Deutschlandradio / Manfred Götzke
"Ich habe hier gemerkt, dass ich mit meiner Anwesenheit Großes bewirken kann. Da hat sich das Leben sinnvoll angefühlt", sagt Nor. Sie ist Anfang 20 und lebt schon seit mehreren Jahren im Wald. Das Miteinander sei ein viel Besseres und Angenehmeres als in der Stadt. "Wir können hier Missstände aufzeigen und sagen nicht nur, scheiße, dass die Pole abschmelzen, aber ich fahr trotzdem weiter Auto, fliege zweimal im Jahr nach Mallorca und kaufe Billigfleisch, sondern versuche aktiv, etwas zu ändern. Das fühlt sich sehr gut an."
Keine einheitliche Masse
Wie weit die Aktivisten in ihrem Widerstand gehen, entscheidet jede und jeder in der anarchistischen Bewegung selbst. Sie seien keine einheitliche Masse, betonen sie immer wieder. Es gebe ganz unterschiedliche Aktionsformen. "Am wichtigsten ist, hier präsent zu sein, dass ich jederzeit auf dem Baum sein kann. Denn solange wir präsent sind - Menschenleben geht zum Glück noch vor – können sie den Baum nicht fällen", sagt Baumbesetzerin Nor.
Keyenberg: Das letzte Dorf vor dem Baggerloch
Norbert Winzen aus Keyenberg
Norbert Winzen aus Keyenberg© Deutschlandradio / Manfred Götzke
Während im Hambacher Forst mittlerweile über 150 Umweltaktivisten aus ganz Europa den Wald verteidigen, sind die Proteste in den Dörfern am Rande der Tagebaue im rheinischen Braunkohlerevier schon vor Jahren fast verstummt. In Keyenberg bei Erkelenz zum Beispiel. Es ist das letzte noch bewohnte Dorf vor dem Baggerloch. Norbert Winzen ist einer der wenigen, die sich noch gegen das Wegbaggern ihrer Heimat zur Wehr setzen.
Eine emotionale Achterbahn
Braunkohletagebau
Braunkohletagebau© Deutschlandradio / Manfred Götzke
Er lebt mit seiner Großfamilie auf einem Hof, 500 Meter hinter dem Baggerloch. "Wir werden vertrieben von einer Technologie, die nachweislich keine Zukunft hat, es geht nur noch um Jahre, nicht umsonst tagt ja gerade die Kohlekommission. Das ist emotional, ne Achterbahn." Die Menschen in Keyenberg wohnen seit Generationen im Ort, sagt Winzen. "Die sind völlig erschöpft. Sie wollen einfach ihren Frieden haben." Der Hambacher Forst habe dagegen einen großen Vorteil: "Der wurde immer wieder aufgefrischt mit neuen Leuten."
Keine neue Ära des Protests
Läuten die Waldbesetzung, Demonstrationen zum Thema Seenotrettung, aber auch Proteste von rechts eine neue Ära des Widerstands ein? Nicht wirklich, sagt der Berliner Protestforscher Simon Teune. Das Level des Protests war in den letzten 30 Jahren immer gleich hoch und das sei auch heute nicht höher. Nur dass viele Proteste auch durch die sozialen Medien mehr Aufmerksamkeit erfahren. Und der Vorwurf, die Millennials, also die um das Jahr 2000 Geborenen, seien besonders unpolitisch, wird nicht erst im Hambacher Wald widerlegt.
"Der Vorwurf der unpolitischen Jugend war schon immer falsch - und er trifft auch heute nicht zu."
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