Freitag, 19. April 2024

Archiv

Milan Peschel inszeniert in Bochum
Anarchie im Theater

Keine Revolution in "Krähwinkel". Das verschlafene Nest macht nicht mit bei den Umstürzen, der Bürgermeister hält nichts von Aufruhr. Milan Peschel hat die Posse von Johann Nestroy am Bochumer Schauspielhaus inszeniert. Ein Fest für das Ensemble, aber ein Geduldsspiel für die Zuschauer.

Von Ulrike Gondorf | 27.05.2018
    Eine Szene aus Johann Nestroys "Freiheit in Krähwinkel" Am Schauspielhaus Bochum
    Eine Szene aus Johann Nestroys "Freiheit in Krähwinkel" Am Schauspielhaus Bochum (Schauspielhaus Bochum / Thomas Aurin)
    Mann: "Hat sich ein Herr Ultra gemeldet? Untertänigst nein..."
    Dieser Ultra ist ein gefährliches Individuum. Journalist mit polizeiwidrigem Charakter. Und er mischt das verschlafene Krähwinkel gehörig auf, um die selbstherrliche und korrupte Obrigkeit aus dem Amt zu jagen. Schließlich ist Revolution, da werden Barrikaden gebaut, da muss Freiheit sein in Krähwinkel. Auch wenn der Nachtwächter und der Ratsschreiber und der Polizeikommandant natürlich dagegen sind.
    " Ja, macht nur Krawall, bringt die Verwirrung auf´s Höchste. Dann steigen die Aktien der Reaktion"
    Die Handwerkskunst des Schauspielers feiert kleine Triumphe
    So geht’s bei Nestroy, aber der wird in der Bochumer Inszenierung von Milan Peschel schnell bis auf ein paar Versatzstücke der Handlung skelettiert und dann schließlich ganz beiseite gelegt. Statt "Freiheit in Krähwinkel" wird hier nämlich Anarchie im Theater erkämpft. Es lebe der Spaß am Spielen, heißt Ultras Credo. Und dass spielend alles möglich ist, beweist Kristina Peters, die Nestroys Paraderolle mit Verve für eine Frau kapert. Weg mit den Regisseuren, die alles besser wissen wollen, heißt die revolutionäre Parole. Als wäre die Aufführung ein Nachhall auf die Rede, mit der Schauspieler Fabian Hinrichs gerade beim Berliner Theatertreffen die angebliche Entmündigung des Schauspielers durch das Regietheater kritisiert hat. Also nieder mit dem Regietheater, dessen Despoten sich aufführen wie der Bürgermeister in dem Stück.
    "Die Macht! Ich bin die Macht und mache das Recht. Und wer die Macht hat, hat das Recht."
    Die Revolte hat erstmal mitreißenden Schwung und sympathischen Witz. Man schaut dem Ensemble gerne zu, wenn es in einer langen stummen Eröffnungsszene all die Mikroereignisse lebendig werden lässt, die sich in einer stetig wachsenden Warteschlange abspielen. Auch ein paar unsterbliche Clownsnummern sind zu besichtigen: Wie jagt man einen Hut, der jedem Versuch ihn aufzuheben, ein kleines Stück voraus ist? Wie kommt man mit einer langen Biergartenbank durch eine Pendeltür? Da feiert die uralte Handwerkskunst des Schauspielers kleine Triumphe, und das Bochumer Ensemble – jeder in vielen Rollen an diesem Abend - führt sie mit Lust und Können vor.
    "Donnerwetter. Und Sie haben das alles auswendig gelernt".
    Tanz um eigene Befindlichkeiten
    An solchen Extempores hat Nestroy auch schon seinen Spaß gehabt. Er war berühmt für seine schlagfertige Improvisation und stieg ungeniert aus der Handlung aus, um über Tagesaktualität und Theaterrealität zu polemisieren. Aber während er mit seinen spontanen Einlagen die Zensur düpierte und für seine Frechheiten ins Gefängnis gegangen ist, brechen die Bochumer Freiheitskämpfer nicht von der Bühne in die Wirklichkeit aus. Sie kreisen um sich selbst und drehen ihre Pirouetten um die eigenen Befindlichkeiten.
    "Kunst, Kunst"
    Das wird, je länger der Abend dauert – und zwar fast drei Stunden ohne Pause - immer eitler, beliebiger, banaler. Statt einem Stück sieht man eine bunte Kleinkunstrevue, in der jeder seine große Szene bekommt: Hamlet oder Penthesilea, Marquis Posa oder die drei Schwestern. Und immer mehr fehlt ein Regisseur, weil Milan Peschel sich offenbar aus Überzeugung selbst abgeschafft hat. Spielen kann das Bochumer Ensemble in der Tat allein, aber ohne Struktur, Proportion und Timing ist das trotzdem kein Theaterabend. Eher eine endlose Abschiedsparty unter Kollegen. Hier spielen noch einmal Ensemblemitglieder zusammen, die seit vielen Jahren in Bochum arbeiten. Und so sind die sperrhölzernen Wände des Bühnenbilds gepflastert mit Fotos und Logos vergangener Theaterjahre. Mit dem neuen Intendanten Johan Simons beginnt im Herbst das nächste Kapitel. Weil der Niederländer ist, tritt in Krähwinkel auch Frau Antje mit Holländerhut und einem ebensolchen Lied auf. Man muss schon zu dieser ganz besonderen Bochumer Fan-Familie gehören, um das alles erleben zu wollen. Die anderen sind erleichtert, wenn endlich – warum auch immer – das Schlusslied angestimmt wird.