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Ordensfrauen retten Wundertier
Der Axolotl heilt

Er ist ein wahres Wundertier: der Axolotl. Heilen kann er. Sich selbst - und auch andere, sagen zumindest die Nonnen in einem beschaulichen mexikanischen Kloster. Sie arbeiten mit Wissenschaftlern aus Mexiko und den USA zusammen, um den mexikanischen Schwanzlurch zu retten.

Von Christina Fee Moebus | 06.08.2018
    Foto eines Dumerils Querzahnmolchs, auch Pátzcuarosee-Querzahnmolch genannt
    Hoffen auf die Heilungskräfte des Superlurchs: Wissenschaftler versuchen dahinter zu kommen, wie Axolotls ihre Gliedmaßen nachwachsen lassen (Deutschlandradio/ Christina Fee Moebus)
    An ihren ersten Axolotl kann sich Schwester Ofelia Morales noch genau erinnern. Corazón - Liebling - hieß der Lurch. Damals, vor 18 Jahren, hat ihn die Dominikanerschwester aus der Kleinstadt Pátzcuaro im Bundesstaat Michoacán in ihre Obhut genommen: scheinbares Dauergrinsen im Gesicht, kleine, tapsige Pfoten, abstehende Kiemenbüschel, die ihm wie Haare vom Kopf stehen. Der Axolotl an sich sieht ein bisschen aus wie von einem anderen Stern. Das Aquarium blubbert. Jeden Tag hat die Nonne Ofelia ihrem Corazón kleine Würmchen gegeben, regelmäßig sein Aquarium sauber gemacht, für ihn gebetet.
    "Es erfüllt mich so sehr zu sehen, dass wir hier so viele Tiere haben, dass sie gesund sind, dass wir ihnen helfen können, wenn sie krank sind, die Tiere sind sehr gesund und sehr schön."
    Schwester Maria (links) und Schwester Ofelia (rechts)
    Zwei Retterinnen des Axolotls: Schwester Maria (links) und Schwester Ofelia (Deutschlandradio/ Christina Fee Moebus)
    Weil es jetzt so viele sind, gibt Schwester Ofelia ihren Amphibienmitbewohnern im Kloster mittlerweile auch keine Namen mehr. Ein ganzer Raum steht voll mit Aquarien. Der angrenzende Flur noch dazu. In jedem Wasserbecken tummelt sich eine Handvoll Axolotl. Etwa 300 haben Ofelia Morales und Ordensschwester Maria del Carmen Pérez herangezüchtet:
    "Es ist uns wichtig, eine Spezies zu halten, die vom Aussterben bedroht ist. Wir wollen zusammenarbeiten, helfen!", sagt Schwester Maria.
    Hoffnung für die Humanmedizin
    Unweit vom Kloster entfernt erstreckt sich ein langer See - einst die natürliche Heimat des Axolotls.
    Das Gewässer ist über die Jahre hinweg verkommen. Überfischung und Massentourismus haben es den Tieren fast unmöglich gemacht, noch in ihren natürlichen Lebenssphären zu hausen. Das hat Forscher aus aller Welt auf den Plan gebracht. Experten aus den USA sind es, die den Schwestern das professionelle Züchten der Axolotl gezeigt haben. Jetzt setzen sie sich zusammen für den Erhalt der Tiere ein, die einen im Namen Gottes, die anderen im Namen der Wissenschaft.
    Ein Axolotl
    Der Axolotl ist in seinem natürlichen Lebensraum durch Überfischung und Massentourismus bedroht (Deutschlandradio/ Christina Fee Moebus)
    Denn der kleine Schwanzlurch - er ist für die Wissenschaft ein wahres Wundertier: Der Axolotl bleibt ein ewiges Kind. Der Gencode macht's. Aus seinem Larvenstadium kommt er nie heraus. Wohlmöglich ein Grund, warum er sich selbst heilen kann. Egal ob Ärmchen oder Beinchen - verliert er Körperteile, dann wachsen sie komplett wieder nach, mitsamt Muskeln, Knochen, und Nervengewebe. Seit Jahrzehnten schon versuchen Forscher, das Geheimnis seiner Fähigkeiten zu entschlüsseln. Anfang des Jahres hat ein Team aus Wien, Heidelberg und Dresden das Erbgut des seltenen Lurchs geknackt. Was das für die Humanmedizin bedeuten kann, weiß der Molekularbiologe Alfredo Cruz - er hat die Studie mit veröffentlicht:
    "So kann man vielleicht auch bei Menschen ein ganzes Organ ersetzen. Oder einen Tumor beseitigen. Wir könnten dann also mittelfristig vielleicht nicht nur Gliedmaßen wieder herstellen, sondern auch Krebs besiegen."
    Göttlicher Namensgeber
    Kein Wunder also, dass auch schon die Azteken vor tausenden Jahren dem Axolotl ihren Respekt gezollt haben. "Axolotl" - das heißt übersetzt so etwas wie Wassergott oder Wassermonster. Denn "Atl", das bedeutet "Wasser" und Xolotl ist der aztekische Gott des Todes, des Blitzes und des Unglücks - er soll vor anderen Göttern in einen See geflohen sein, eben in Form eines Wassertiers wie dem Axolotl. Der kleine Lurch hat sich ein recht großes Image in den letzten Jahrhunderten erarbeitet. Auch wenn man sich heute noch in Pátzcuaro umhört, werden einem immer wieder Abwandlungen der Legende zugetragen. Zum Beispiel von Laura Guzmán. Sie kommt von einer kleinen Insel mitten auf dem See, in dem der Axolotl ursprünglich gehaust hat.
    Detail einer Tafel einer aztekischen Bilderhandschrift des Codex Fejervary-Mayer aus Zentralmexiko. Sie zeigt den Gott Xolotl.
    Der aztekische Gott Xolotl ist Namensgeber für den mexikanischen Schwarzlurch (imago stock&people/ UIG)
    "Auf der Insel sagen sie, dass er ursprünglich eine Frau war, die ihren Freund nicht heiraten wollte. Um ihm zu entfliehen, ist sie ins Wasser gestiegen. Dort hat sie sich dann in einen Axolotl verwandelt und ist dort geblieben."
    Die Nonnen rund um Schwester Ofelia und Maria sind indessen teils selbst zum Kult geworden. Die Klosterfrauen brauen schon seit etwa 100 Jahren einen Sirup - aus Teilen des Axolotls. Gegen Husten soll er helfen. So sind auch die Wissenschaftler auf die Schwestern aufmerksam geworden. Das Rezept für den Trank, das weiß neben den Nonnen wohl nur der liebe Gott. Ausplaudern wollen sie es jedenfalls nicht:
    Ofelia: "No no no ay."
    Die Kräfte des Superlurchs haben ihre Grenzen: Irgendwann geht auch er den Weg alles Irdischen. Selbst in geschützten Räumen wie dem Kloster. Schwester Ofelias erster Axolotl Corazón wurde etwa 17 Jahre alt.