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Millionenstadt in Rebellenhand

Die Hauptstadt Goma im Osten des Kongos ist seit Kurzem in der Hand von Rebellen. Der UN-Sicherheitsrat, die USA und andere Staaten haben den sofortigen Rückzug dieser Bewegung M23 gefordert. Doch in der Bevölkerung trauen sich nicht viele, etwas Kritisches über die Rebellen zu sagen.

Von Simone Schlindwein | 24.11.2012
    Langsam kehrt am Tag nach den heftigen Gefechten zwischen Regierungsarmee und M23-Rebellen das Leben wieder in die sonst so geschäftige Millionenstadt zurück. Läden eröffnen wieder, Autos und Motorräder fahren wieder, nachdem tagelang die Tankstellen geschlossen waren. Frauen bieten auf dem Markt wieder Obst und Gemüse an. Das Rote Kreuz birgt die Leichen toter Regierungssoldaten und Zivilisten von den Straßen. Die Rebellen sammeln Munition und Waffen ein, die die Regierungssoldaten zurückgelassen haben.

    Im zentralen Fußballstadion lassen sich die Rebellen feiern. Die Rebellenkommandeure halten ihre ersten Ansprachen. Via Radiosender haben sie alle Soldaten der Regierungsarmee und Polizisten, die nicht geflohen sind, ins Stadion beordert. Tausende Menschen versammeln sich dort. Im Gleichschritt paradieren die Soldaten und Polizisten vor den Rebellenkommandeuren, legen ihre Waffen ab. Armeekommandeur Oberstleutnant Eric Makenzi salutiert vor den M23-Kommandeuren, seinen neuen Vorgesetzten.

    "Wir sind geblieben, weil wir nicht fliehen wollten. Wir müssen überlaufen, wir haben keine Wahl."

    Auch immer mehr Einwohner Gomas kommen angelaufen, um den Reden der M23-Rebellen zuzuhören. Blaize Ciza steht zwischen den Soldaten und Polizisten und hört aufmerksam zu. Der 40-jährige Mann will unbedingt erfahren, was die Rebellen jetzt vorhaben. Er findet das Leben unter den neuen Herrschern gar nicht schlimm, sagt er.

    "Für uns hat sich nicht so viel verändert. Außer dass sie mehr Sicherheit garantieren als die Armee. Sie plündern uns nicht oder erschießen uns gar. Ich finde es gut, dass sie eine Ideologie und Vision haben, den Kongo ändern zu wollen. Sie sagen, dass sie Präsident Kabila aus dem Amt werfen und mit der Korruption Schluss machen wollen. Nun, sie sind ja erst am Anfang. Ob das alles letztlich auch eintrifft, das kann man jetzt noch nicht sagen."

    Nicht Viele in Goma, trauen sich, etwas Kritisches über die Rebellen zu sagen. Da der Staat im Ostkongo ohnehin kaum präsent ist, ändert sich für die Menschen in Goma unter der Rebellenherrschaft praktisch nur wenig – im Gegenteil, die meisten Einwohner begrüßen, dass sich die Rebellen disziplinierter verhalten als die Regierungssoldaten.

    Im größten Flüchtlingslager am Stadtrand von Goma packen einige Vertriebene ihre Habseligkeiten zusammen, um sich auf den Heimweg zu machen. Seitdem der Krieg im Mai ausbrach, wurden in der Provinz Nordkiwu rund 300.000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Knapp 50.000 hausten hier in diesem Lager monatelang unter furchtbaren Bedingungen. Espere Pakanie musste vor vier Monaten aus seinem Heimatdorf vor den Gefechten fliehen. Jetzt liegt sein Heim im Rebellengebiet und es scheint friedlich zu sein. Er würde gerne nach Hause gehen, sagt er.

    "Es gibt hier nichts zu Essen, wir verhungern hier regelrecht. Die meisten von uns haben keine Zelte, schlafen unter freiem Himmel. Es gibt auch keine Polizisten mehr um uns zu beschützen, sie sind geflohen. Einige Menschen gehen jetzt zurück in ihre Heimatdörfer. Aber weil wir so hungrig sind, können wir nicht zu Fuß gehen. Ich würde dort nie ankommen. Es ist weit, wir brauchen zwei Tage dorthin."

    Die Frontlinie bewegt sich derzeit täglich von Goma weg. Die Rebellen erobern in alle Richtungen täglich neue Kleinstädte und Gebiete. Die Regierungsarmee befindet sich immer mehr auf dem Rückzug. Am Donnerstag versuchte die Armee die Kleinstadt Sake, 26 Kilometer westlich von Goma, zurückzuerobern. Als die ersten Schüsse fallen, fliehen die Menschen aus Sake. Mehrere Tausend Menschen, Kinder, Frauen, Männer rennen in Richtung Goma davon. Timothee Mashamba ist einer der wenigen Einwohner, die nicht geflohen sind. Am nächsten Tag berichtet er, was passiert ist.

    "Sie sind von dort von den Hügeln herunter gekommen. Die Armee gemeinsam mit einer lokalen Miliz. Sie haben von 11 bis 18 Uhr gekämpft. Meine Kinder sind mit meinen Nachbarn davongelaufen, ich weiß nicht, wo sie sind. Sie sind nicht zurückgekehrt. Dann haben sich die Soldaten und die Milizen zurückgezogen. Jetzt kontrolliert die M23 Sake. Sie haben nach den Kämpfen Nahrungsmittel von uns verlangt und Ziegen gestohlen. Aber es ist besser als unter der Befehlsgewalt der Armee. Die Soldaten haben uns noch ausgeplündert als sie sich zum ersten Mal hier zurückgezogen haben. Wenn sie sich die Rebellen gut verhalten, bin ich glücklicher mit ihnen."

    Von Beginn des Krieges, als die Tutsioffiziere im Mai aus der Regierungsarmee desertierten und die M23-Bewegung gründeten, haben die Kommandeure auf Verhandlungen mit der Regierung gepocht. Doch Präsident Joseph Kabila hat sich stets geweigert. Mit den Eroberungen der Rebellen im Ostkongo muss er vielleicht einlenken.