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Millionenstrafe wegen Bücher-Schiebung

Die Schulbuchabteilung des Verlags Macmillan muss rund 13 Millionen Euro Strafe wegen Schmiergeldzahlungen in Afrika zahlen. Globale Großkonzerne bestimmten den lukrativen Schulbuchmarkt im englischsprachigen Afrika beinahe nach Belieben, betont Buchmarkt-Experte Holger Ehling. Afrikanische Verlage hätten demgegenüber weitgehend ihre Geschäftsgrundlage verloren.

Holger Ehling im Gespräch | 26.07.2011
    Burkhard Müller-Ullrich: Aus London kommt eine Wirtschaftsnachricht, die zunächst sonderbar und nebensächlich anmutet. Der Verlag Macmillan muss umgerechnet knapp 13 Millionen Euro Strafe zahlen, Strafe für einen Deal in Afrika, bei dem es um Schulbücher ging, Strafe für einen unsauberen Deal, denn wie der Londoner High Court festgestellt hat, waren Schmiergelder im Spiel. - Frage an den Buchmarkt-Experten Holger Ehling: An wen muss Macmillan das Geld zahlen und warum?

    Holger Ehling: Macmillan Education muss das Geld zurückzahlen an die Weltbank und andere, die geschädigt worden sind oder potenziell geschädigt worden wären, falls die Vergabe dieses Schulbuchauftrages im Südsudan durch Korruption an Macmillan gegangen wäre.

    Müller-Ullrich: Was steckt dahinter? Das heißt, kann man von dem auf andere Fälle der Korruption schließen?

    Ehling: Wenn ich jetzt sagen würde, dass man das als gängige Praxis bezeichnen kann, dann wäre das justiziabel. Also werde ich das in dieser Form nicht ausdrücken. Aber jeder, der sich mit dem Vergabewesen von Großaufträgen beschäftigt, zumal in Afrika und anderen Weltregionen, der weiß, dass dort nicht immer alles hasenrein zugeht. Hier ist nun mal ein Fall aufgeflogen, wo einer der ganz, ganz Großen im Schulbuchgeschäft weltweit beteiligt war. Macmillan, genauso wie der Weltmarktführer Pearson Education, beherrscht immer noch den Schulbuchmarkt im englischsprachigen Afrika beinahe nach Belieben. Das hat besonders deshalb Konsequenzen für das afrikanische Verlegen, weil der Schulbuchmarkt für rund 90 Prozent aller Bücher steht, die in Afrika verlegt werden.

    Müller-Ullrich: Das heißt, andere literarische Bücher, die, sagen wir mal, jetzt von afrikanischen Schriftstellern verfasst werden, wie kommen die in Afrika auf den Markt?

    Ehling: Die kommen so gut wie gar nicht auf den Markt. Wenn sie auf den Markt kommen, dann meistens im Selbstverlag. Die afrikanischen Verlage, die in den 60er-, 70er- bis Mitte der 80er-Jahren tatsächlich noch engagiert Literatur verlegt haben, haben weitgehend ihre Geschäftsgrundlage verloren, dadurch, dass das lukrative Schulbuchgeschäft abgewandert ist von ihnen in die Hand von globalen Riesen.

    Müller-Ullrich: Aber noch mal zurückgefragt zu den Schriftstellern. Wir hatten ja immerhin auch einen afrikanischen Literaturnobelpreisträger, Wole Soyinka, wir hatten eine ganze Reihe von Schriftstellern, die auch bei uns bekannt geworden sind. Was ist mit denen?

    Ehling: Ja, tatsächlich! Wir hatten Wole Soyinka, wir hatten Ngugi wa Thiong'o aus Kenia, wir haben den Friedenspreisträger Chinua Achebe, Ahmadou Kourouma und viele, viele andere. Das sind Autoren, die in den 60er-, 70er-Jahren bekannt geworden sind, die verlegt worden sind in ihrer Heimat, die aber dann auch verlegt worden sind außerhalb Afrikas und zu Weltruhm gekommen sind und tatsächlich ihren Platz in der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts gefunden haben. Diese Entwicklung ist praktisch abgeschnitten. Man hört kaum noch auf junge afrikanische Stimmen, und wer denn als afrikanischer Autor reüssieren will, dem bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass er Gehör findet in Paris, in London oder in den USA.

    Müller-Ullrich: Sie sprachen vom englischsprachigen Afrika. Wie ist es mit dem französischsprachigen?

    Ehling: Das französischsprachige Afrika ist ähnlich strukturiert. Allerdings ist es dort so, dass die französische Entwicklungsorganisation Organisation de la Francophonie, die staatlich geführt ist, immer gerne bereitsteht, wenn im Senegal, Kamerun, Mali oder so gesagt wird, wir brauchen neue Schulbücher. Dann kommen die gerne frankofrei und gratis aus Paris in die jeweiligen afrikanischen Orte gewandert.

    Müller-Ullrich: Und wo steht Deutschland? Holtzbrinck steckt ja hinter Macmillan?

    Ehling: Deutschland ist in dieser Form nicht beteiligt. Holtzbrinck als weltweit agierender Verlagskonzern ist über Macmillan einer der ganz großen Spieler im internationalen Schulbuchmarkt und ist dort in Afrika, aber auch über Macmillan in den USA, in Lateinamerika zum Beispiel, sehr, sehr stark vertreten.

    Müller-Ullrich: Dieses Ausbluten der kulturellen Eigenaktivität, diese Ausdünnung des Marktes, die Sie jetzt beschrieben haben, wie kam es dazu?

    Ehling: Es kam einfach dazu, dass Verlegen oder dass das Einwerben von Büchern oder das Bezahlen von Büchern für den Ausbildungsgebrauch immer schon die Grundlage des Buchmarktes in afrikanischen Ländern war, und es kam dazu, dass Weltbank und andere Geldgeber für diesen Markt, für den Ankauf von Schulbüchern, dazu übergegangen sind zu sagen, es ist uns egal, ob die Bücher einheimisch produziert werden oder ob sie anderswo produziert werden, Hauptsache es ist billig. Man hat aufs Geld geschaut und dadurch einen ganzen Sektor ausgetrocknet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.