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Minsker Ukraine-Abkommen
"Eine andere Autorität dahinter"

Eine neue Minsker Vereinbarung über ein Ende der Kämpfe in der Ukraine hat nach Ansicht des Russlandbeauftragten der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), mehr politisches Gewicht. Auch Moskau habe zunehmendes Interesse, sich an solche Vereinbarungen künftig zu halten - und die Sanktionsspirale zu beenden.

12.02.2015
    Porträt von Gernot Erler
    Der SPD-Politiker Gernot Erler ist Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit (dpa / Patrick Seeger)
    Bei dem Treffen sei ganz offensichtlich der schlimmste Fall vermieden worden, sagte Erler, "nämlich dass die Staats- und Regierungschefs irgendwann sagen, wir können uns nicht einigen, wir fahren nach Hause".
    Das Abkommen sei eine Kopie des Minsker Friedensabkommens vom 5. September 2014. Das Dokument sei jedoch nur von den Unterhändlern der Ukraine-Kontaktgruppe unterzeichnet worden, sagte Erler. "Jetzt werden wir vielleicht etwas haben, was so ähnlich klingt wie einige Punkte von Minsk I, aber es wird eine andere Autorität dahinter stecken, nämlich die Unterschrift von den vier Staats- und Regierungschefs" der Ukraine, von Russland, Frankreich und Deutschland. "Das enthält eine Hoffnung, nämlich dass es nicht das gleiche Schicksal gibt für Minsk II wie für Minsk I, nämlich das auf dem Papier alles das steht, was man braucht, und hinterher nichts umgesetzt wird."
    Dieses Minsk-II-Abkommen habe ein anderes politisches Gewicht, sagte Erler. Jetzt "muss natürlich jeder, der die Verantwortung trägt, erklären, wenn es nicht umgesetzt wird, wieso er als Staats- und Regierungschef das nicht erreichen kann." Der Russlandbeauftragte sagte, bei Moskau sei ein zunehmend starkes Interesse zu erkennen, die Sanktionsspirale zu beenden und abzubauen.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir sind jetzt auch verbunden mit Gernot Erler, SPD, er ist der Koordinator der Bundesregierung für die Beziehungen zu Russland. Guten Morgen, Herr Erler!
    Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Wir reden heute Morgen zumindest mal über Hoffnung, mal etwas anderes in diesem Ukraine-Konflikt. Wie deuten Sie das, was Sie da aus Minsk hören im Augenblick?
    Erler: Na ja, auf jeden Fall ist ein Worst Case, ein schlimmster Fall vermieden worden, nämlich dass die Staats- und Regierungschefs irgendwann sagen, wir können uns nicht einigen, wir fahren wieder nach Hause. Das wird es ganz offensichtlich nicht geben, nach mehr als zwölf Stunden Verhandlungen vor Ort – es ist ja schon 9:20 Uhr, also, das ist eine lange Nacht gewesen –, und offenbar stehen wir davor, dass ein Dokument unterzeichnet wird von allen Vieren. Und das ist doch dann ein sogenanntes Minsk II im Vergleich zu Minsk I vom 5. September letzten Jahres, was die Unterschriften nur der Unterhändler der Kontaktgruppe enthielt. Jetzt werden wir vielleicht etwas haben, was so ähnlich klingt wie einige Punkte von Minsk I, aber es wird eine andere Autorität dahinterstecken, nämlich die Unterschrift von den vier Staats- und Regierungschefs. Und das enthält eine Hoffnung, nämlich dass das nicht das gleiche Schicksal für Minsk II gibt wie für Minsk I, nämlich dass auf dem Papier alles das steht, was man braucht, und hinterher nichts davon umgesetzt wird.
    Klein: Also, Sie sagen, das wäre der entscheidende Unterschied, die Autorität und das Gewicht derjenigen, die das jetzt unterzeichnen?
    Erler: Genau. Das ist der entscheidende Unterschied. Und das ist dann auch ein Ergebnis, mit dem man hinterher politisch arbeiten kann. Denn dann muss natürlich jeder, der die Verantwortung trägt, dann erklären, wenn es nicht umgesetzt wird, wieso er als Staats- und Regierungschef das nicht erreichen kann.
    Klein: Wir hatten ja so ein bisschen die Hoffnung, Herr Erler, dass Sie möglicherweise von Ihrem Außenminister, der ja auch dort war oder auch noch ist, vielleicht eine SMS bekommen haben oder einen Tweed und uns ein wenig weiterhelfen können. Aber Sie haben den gleichen Informationsstand wie alle Journalisten, die hier auf Nachrichtenagenturen schauen?
    Erler: Also, es wäre ja schön, wenn der Außenminister die Zeit hätte, aber der ist auch immer wieder mit einbezogen worden, die Außenminister haben mehrfach eine Rolle in diesem Marathon, diesen Nachtverhandlungen gespielt. Und insofern kann ich da leider nicht mit solchen persönlichen Informationen dienen.
    Auf eine politische Lösung setzen
    Klein: Ja, aber Sie können uns vielleicht sagen, welche Rolle die gespielt haben. Denn Frank-Walter Steinmeier hat ja auch eine geplante Reise nach Südamerika, nach Lateinamerika zunächst einmal verschoben. Wie wichtig ist denn das Gewicht von Außenministern wie Lawrow oder Steinmeier, wenn schon die Staats- und Regierungschefs eigentlich zusammensitzen?
    Erler: Na ja, ich meine, das ist natürlich klar, dass die Außenminister sich mit der Materie noch viel mehr als die Staats- und Regierungschefs beschäftigt haben. Die haben sich ja alleine schon viermal in Berlin unter sich getroffen und haben die Materie beraten, das letzte Mal am 21. Januar. Auch da war es ja so, dass man eine Verabredung getroffen hat, auch da war es ja so, dass wieder verabredet worden ist, sich zurückzuziehen von dieser Line of Control, dieser Grenzlinie. Und leider ist da hinterher auch nichts passiert. Also, das ist praktisch die Zwischenstufe, diese Gespräche der Außenminister, zwischen dem, was wir Kontaktgruppe nennen, und dem, was jetzt in Minsk passiert ist.
    Klein: Wir bewegen uns im Augenblick noch auf etwas dünnem Eis oder schwankendem Boden, was die Informationslage angeht, denn wir haben in der Tat noch keine Details über dieses neue Abkommen. Aber haben Sie bereits einen Eindruck, da man eben zumindest mal zwölf Stunden zusammengesessen hat und willens ist, ein Dokument zu unterzeichnen, wessen Einfluss das eigentlich zu verdanken ist?
    Erler: Na ja, also, ich meine, ganz entscheidend ist gewesen, dass von Europa das Signal ausgegangen ist, wir setzen auf eine politische Lösung, wir sehen überhaupt keine andere Alternative. Und ganz entscheidend ist gewesen, dass das auch Konsens geblieben ist, immerhin Konsens von 28 Staaten, und dass in letzter Zeit ja auch noch ein lebhafter Gesprächskanal mit den Vereinigten Staaten da war, mit der Reise auch der Bundeskanzlerin nach Washington, wo man sich auch am Ende darauf verständigt hat, dass man hier gemeinsam auf einer Position bleiben muss, auch wenn wir natürlich im Hintergrund diese Debatten über Waffenlieferungen hatten. Sowohl in Europa und noch viel stärker in den Vereinigten Staaten ist es, glaube ich, geschuldet der Einigkeit in der europäischen Politik, dass der Druck jetzt so groß war, dass es zu diesem Staats-und-Regierungschefs-Treffen gekommen ist.
    Moskau hat Interesse an einer Beendigung der Sanktionen
    Klein: Stichwort Gesprächskanal mit den Vereinigten Staaten: Viele Beobachter sind sich ja eigentlich einig darin, dass nicht nur das, sondern eben auch gerade die von Ihnen angesprochene Debatte um Waffenlieferungen, die Tatsache, dass viele Ukraine- und Osteuropa-Experten in Washington eben genau das empfohlen haben, das da doch im Hintergrund eine Art zumindest virtueller Drohkulisse aufgebaut hat, die möglicherweise die Gesprächsbereitschaft in Moskau erhöht hat?
    Erler: Also, das ist schwer einzuschätzen, was hier den meisten Druck ausgeübt hat. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass die bevorstehenden Erweiterungen der Sanktionen und vor allen Dingen auch nicht die Beendigung von Sanktionen Eindruck macht in Moskau, wo ja die Regierung mit einer sehr, sehr großen Schwierigkeit der Wirtschaft, auch mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, die sich weiterhin verschlechtert, konfrontiert ist. Und ich glaube schon zu erkennen, dass in Moskau ein Interesse daran besteht, jetzt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass zunächst einmal die Sanktionen nicht erweitert werden und dass eben in Zukunft – und das ist ja möglich, wenn es jetzt tatsächlich nicht zu einer Erfüllung der Verabredungen kommt – auch zu einer Beendigung der Sanktionen kommt. Dieses Interesse ist eindeutig in Moskau vorhanden.
    Klein: Wir wissen noch nicht genau, ich habe es angesprochen, was jetzt genau drinsteht. Wenn es aber dazu kommt, was Sie ja vermuten, Herr Erler, nämlich eine Art Minsk II, dann können wir uns nur darauf berufen, was in Minsk I sozusagen drinsteht. Ich nenne mal kurz ein paar Punkte, die man dort festgehalten hatte: Beiderseitige Unterbrechung der Anwendung von Waffengewalt, Überprüfung der Waffenruhe durch die OSZE zum Beispiel, lokale Selbstverwaltung in bestimmten Regionen der Donezker und Lugansker Gebiete, ein Monitoring an der russisch-ukrainischen Staatsgrenze, festgehaltene Personen sollten befreit werden, Verbesserung der humanitären Situation und so weiter und so fort. Sagen Sie jetzt, wenn das wieder so festgehalten würde – wir kennen die Details, wie gesagt, noch nicht –, dann ist das Thema Einhaltung vom Tisch, wie Sie erwähnt haben, weil es die hohe Autorität der Staatschefs in der Unterschrift enthalten würde?
    Es muss einen Rückzug von schweren Waffen geben
    Erler: Also, ich erwarte nicht, dass jetzt Punkt für Punkt alles von Minsk I wiederholt wird, und vor allen Dingen wird sich die Aufmerksamkeit eigentlich in der Öffentlichkeit, in der Weltöffentlichkeit, auch und damit die Beurteilung, ob das nun erfolgreich oder nicht ist, auf im Grunde genommen einen Punkt konzentrieren. Das ist die Frage, wird ein Waffenstillstand insofern vereinbart, dass man sich auch auf eine solche Kontaktlinie einigt? Die ist ja verschoben worden seit September letzten Jahres durch den Vormarsch der Separatisten. Das heißt, wie sieht hier der Kompromiss aus? Da kann man ja auch an Herrn Poroschenko und seine Schwierigkeiten denken, das zu Hause dann zu vertreten. Also, hier muss es irgendeine Regelung geben, die ihm auch eine Gesichtswahrung gegenüber der eigenen kritischen Öffentlichkeit ermöglicht. Und dazu muss natürlich auch ein Rückzug von schweren Waffen gehören, weil wir erfahren haben und erlebt haben, dass eben, wenn das nicht passiert, im Grunde genommen jeder einzelne Abschnitt, jedes einzelne Freiwilligenbataillon oder so selber darüber entscheidet, ob der Waffenstillstand gehalten wird oder nicht. Das ist dann unrealistisch. Also, das werden die Punkte sein, auf die man als Erstes guckt, auch wenn es vielleicht, wie man ja hört aus den Kulissen, es wieder mehr als zehn Punkte geben wird, auf die man sich verständigt.
    Klein: Wir werden das Ergebnis abwarten müssen und hoffen darauf in den kommenden Stunden, Herr Erler, und ich vermute, wir werden das Gespräch auch an dieser Stelle hier fortsetzen. Vielen Dank zunächst für Ihre Einschätzung zum Stand der Verhandlungen über die Ukraine-Krise heute Morgen und in der vergangenen Nacht in Minsk! Das war Gernot Erler, der Koordinator für die Beziehungen zu Russland der Bundesregierung. Danke für das Interview!
    Erler: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.