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Minsker Ukraine-Abkommen
"Kein Grund zur Euphorie"

Das zweite Minsker Ukraine-Abkommen ist nach Ansicht des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz lediglich "ein Strohhalm", um die Lage in der Ost-Ukraine zu verbessern. Es sei allein "sehr positiv, dass es diese Gespräche gegeben hat", sagte Kurz im Deutschlandfunk. Er warnte Russland vor neuen Sanktionen.

Sebastian Kurz im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.02.2015
    Sebastian Kurz, seit Ende 2013 Österreichs Außenminister.
    Sebastian Kurz, seit Ende 2013 Österreichs Außenminister. (imago/Eibner Europa)
    "Man kann froh sein, dass es gelungen ist, sich auf eine Vereinbarung gemeinsam festzulegen", sagte Kurz im DLF. Das Abkommen sei "Basis für einen Waffenstillstand, für weitere Verhandlungen über Auswirkungen des Assoziierungsabkommens, über eine potenzielle Freihandelszone". Es gebe aber bislang "keinen Grund zur Euphorie", sagte Kurz. "Auch wenn das manchmal dramatisch klingt und auch wenn das oft keine Freude macht: Wir haben keine andere Alternative als immer wieder einen Anlauf zu starten, eine friedliche Lösung am Verhandlungstisch zustande zu bringen."
    Ein Ende oder gar eine Rücknahme der EU-Sanktionen gegen Russland könne es nur geben, wenn sich die Lage im ukrainischen Kriegsgebiet verbessere. "Es ist sonnenklar, dass ohne Verbesserung der Situation auch keine Aufhebung der Sanktionen erfolgen wird", sagte der Außenminister. "Es ist auch klar, dass, wenn die Situation schlechter wird, wenn sich Putin einen Korridor durchschlagen sollte bis hin zur Krim, dass das natürlich auch nicht ohne Reaktion der Europäischen Union geschehen würde."
    Kurz warnte jedoch vor einer möglichen Eskalation der Krise durch Interventionen des Westens. "Alle Liebäugeleien mit einem Nato-Beitritt, mit Waffenlieferungen" seien Schritte zur weiteren Eskalation der Krise. "Egal wie viel Waffen geliefert würden, Russland würde sich als Atommacht sicher davon nicht beeindrucken lassen."

    Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Sebastian Kurz:
    Christoph Heinemann: Von Wien aus gesehen ist der Westzipfel der Ukraine etwa so weit entfernt wie die östliche Landesgrenze der Schweiz. So viel zur Perspektive. Vor wenigen Minuten haben wir Sebastian Kurz erreicht. Ich habe den österreichischen Außenminister gefragt: Worin unterscheidet sich Minsk II von Minsk I?
    Sebastian Kurz: Na ja, zum einen ist Minsk II noch einmal konkreter und in vielen Bereichen wesentlich detaillierter. Und zum anderen muss man einfach sagen, es ist ein neuerlicher Anlauf, das heißt, es ist seither Zeit vergangen, es ist seither die dramatische Situation eingetreten, dass neuerlich Menschen ums Leben gekommen sind, das Leid im Osten der Ukraine noch größer geworden ist. Und insofern, wenn man daran glaubt, dass es so etwas wie Lernfähigkeit oder Einsicht gibt, dann würde ich sagen, ist Minsk II insofern auch deshalb eine neue Chance, weil es ein weiterer Anlauf ist, insofern eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Situation.
    Heinemann: Und folgt auf Minsk II dann einige Hundert Tote später Minsk III?
    Kurz: Hoffentlich nicht! Es wird am Ende des Tages nur eine politische und keine militärische Lösung für diesen Konflikt geben können. Ich glaube, darüber gibt es Gott sei Dank Einigkeit. Und insofern ist die Lösung am Verhandlungstisch die einzige Chance für diese Krise. Ich hoffe sehr, dass die Vereinbarung, die jetzt in Minsk geschlossen worden ist, eine Basis dafür sein kann, dass es eine positive Entwicklung gibt. Eine Basis für einen Waffenstillstand, für Verhandlungen über Auswirkungen des Assoziierungsabkommens, über eine potenzielle Freihandelszone und vieles mehr. Aber Gewissheit gibt es natürlich nicht. Ich glaube, das Abkommen ist ein Hoffnungsschimmer, aber wir haben keinen Grund zur Euphorie.
    Heinemann: Das setzte ja eine Kurskorrektur in Moskau voraus, das, was Sie eben beschrieben haben. Erkennen Sie die?
    Kurz: Na ja, das ist, glaube ich, einfach noch zu früh, das zu beurteilen. Es ist einmal sehr positiv, dass es diese Gespräche gegeben hat. Ich glaube, wir können alle Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande dankbar sein, dass es ihnen gelungen ist, hier Präsident Putin auch an den Verhandlungstisch zu bekommen. Man kann froh sein, dass es gelungen ist, sich auf eine Vereinbarung gemeinsam festzulegen. Aber aus der Vergangenheit haben wir leider Gottes lernen müssen, dass die Unterschrift allein noch zu wenig ist, dass die Implementierung, die Umsetzung eines Waffenstillstands und anderer vereinbarter Punkte, dass das die wirkliche Herausforderung ist. Insofern, ich glaube, es gibt Grund zur Hoffnung. Wir sind definitiv wieder an einem positiveren Punkt als zu anderen Phasen des Konflikts, aber ganz entscheidend wird es sein, festzustellen, ob am Sonntag der Waffenstillstand wirklich in Kraft tritt, ob das Leid im Osten der Ukraine kleiner wird, ob die schweren Waffen abgezogen werden. Und daran können wir dann festmachen, ob es wirklich Grund zur Hoffnung gibt oder ob wir uns getäuscht haben.
    Heinemann: Herr Kurz, wir wollen uns eben anhören, was Angela Merkel gestern gesagt hat:
    Angela Merkel: Wie sind sehr wohl gewahr, dass es vieler Anstrengungen bedarf, und deshalb halten wir uns auch alle Reaktionsmöglichkeiten offen. Wenn es gut geht, werden wir diesen Prozess erfreut begleiten, wenn es Schwierigkeiten gibt, schließen wir auch weitere Sanktionen nicht aus.
    Heinemann: Weitere Sanktionen - ganz konkret: Sollten die Separatisten diese Vereinbarung nicht einhalten, sollte der Krieg fortgesetzt werden - sollte Russland dann aus dem internationalen Zahlungsverkehr Swift ausgeschlossen werden?
    Kurz: Ich glaube, dass wir von alldem jetzt noch gar nicht unbedingt sprechen sollten.
    Heinemann: Muss man das nicht sogar?
    Kurz: Das muss nicht unbedingt unsere Zielsetzung oder es kann doch nicht unsere Zielsetzung sein, dass es eine negative Entwicklung gibt. Ich glaube, Angela Merkel hat hier gezeigt, dass die Europäische Union entschlossen wäre, wenn es notwendig wäre, aber bitte. Wir leiden alle so sehr unter diesem Konflikt, wir haben mehr als 5.000 Menschen, die ums Leben gekommen sind im Osten der Ukraine, wir haben rund 60 getötete Kinder, wir haben über eine Million Menschen, die auf der Flucht sind.
    Heinemann: Genau. Muss man deshalb nicht ganz konkret drohen?
    Kurz: Es ist ein Strohhalm, der hier vorhanden ist, und insofern sollten wir jetzt mal alle Anstrengungen darauf richten, dass dieser Strohhalm zu einer positiven Entwicklung beiträgt.
    Heinemann: Aber wäre eine konkrete Drohung da nicht hilfreicher?
    Kurz: Es gibt ohnehin die Drohung der Europäischen Union, dass bei einer weiteren Verschlechterung auch weitere Sanktionen folgen. Das ist ganz klar, und das war auch von Anfang an die Politik der Europäischen Union. Die Staats- und Regierungschefs haben zu Beginn der Krise einen Dreistufenplan festgelegt. Dritte Stufe Wirtschaftssanktionen. Dort sind wir mittlerweile angekommen. Es ist sonnenklar, dass ohne Verbesserung der Situation auch keine Aufhebung der Sanktionen folgen wird. Es ist auch klar, dass, wenn die Situation schlechter wird, wenn sich Putin einen Korridor durchschlagen sollte bis hin zur Krim, dass das natürlich auch nicht ohne Reaktion der Europäischen Union geschehen würde. Insofern: Das steht alles ohnehin fest. Aber ich glaube trotzdem: Jetzt gibt es einen Hoffnungsschimmer, den sollten wir versuchen zu nutzen.
    Heinemann: Sie kennen den Begriff Eskalationsdominanz. So nennt man die Fähigkeit, Zeit und Grad der militärischen Verschärfung eines Konfliktes zu bestimmen. Und diese Eskalationsdominanz bestimmt in diesem Konflikt einmal mehr Russland. Wie hegt man eine aggressive Macht ein, die sich um die in Europa geltende Friedensordnung nicht weiter schert?
    Kurz: Vor allem, neben der Notwendigkeit, mit Sanktionen darauf zu reagieren, mit Verhandlungen und weiteren Gesprächen. Ich glaube, dass ganz klar sein muss, dass es hier nur eine Lösung am Verhandlungstisch geben kann. Und insofern halte ich alle Liebäugeleien mit einem NATO-Beitritt, der Forderung von Waffenlieferungen, das halte ich alles für Schritte und Diskussionen, die eigentlich zu einer weiteren Eskalation führen würden. Denn ich glaube, wir müssen uns bewusst sein, egal wie viele Waffen geliefert werden würden, Russland würde sich als Atommacht davon sicherlich nicht beeindrucken lassen. Und insofern haben wir keine Alternative, auch wenn das manchmal dramatisch klingt und auch, wenn das oft keine Freude macht. Aber wir haben keine andere Alternative als immer wieder einen Anlauf zu starten, eine friedliche Lösung am Verhandlungstisch zustande zu bringen. Im Moment sind wir dieser wieder ein Stück weit näher, als es noch vor einer Woche der Fall war, und das ist gut so.
    Heinemann: Erstmals seit langer Zeit sitzen die USA bei einer schweren internationalen Krise nicht mit an diesem Verhandlungstisch. Ist das aus Ihrer Sicht ein Risiko oder eine Chance.
    Kurz: Ich glaube, dass das kein Risiko ist, sondern wir leben als Europäische Union auf diesem Kontinent gemeinsam mit Russland zusammen. Die geografische Situation bringt mit sich, dass wir noch wesentlich stärker von dieser Krise betroffen sind als viele andere Länder dieser Welt, und insofern halte ich es für absolut angebracht, dass die Europäische Union beziehungsweise die starken Länder in der Europäischen Union, die eine wesentliche Rolle spielen. Ich halte es für richtig, dass die OSZE eine ganz entscheidende Rolle spielt als Organisation, die für das friedliche Zusammenleben in Europa auch da sein soll. Und insofern glaube ich, dass es hier durchaus legitim ist, dass hier keine Verhandlungen mit den USA direkt geführt werden. Ich weiß auch nicht, ob das dazu beigetragen hätte, dass wir einer Lösung näher sind.
    Heinemann: Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Kurz: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.