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MISEREOR vor 60 Jahren gegründet
Mit christlichem Engagement gegen den Hunger in der Welt

Was können wir gegen globale Ungerechtigkeit tun? Diese Frage beschäftigte die Vollversammlung der deutschen Bischöfe 1958 in Fulda. Der Kölner Kardinal Joseph Frings forderte eine Aktion gegen den Hunger in der Welt und begründete damit am 19. August das katholische Hilfswerk MISEREOR.

Von Matthias Bertsch | 19.08.2018
    Joseph Kardinal Frings, katholischer Theologe und Erzbischof von Köln (1887 – 1978)
    Joseph Kardinal Frings, katholischer Theologe und Erzbischof von Köln und Mitbegründer des Hilfswerks MISEREOR (akg-images / Fritz Eschen)
    "Der Mensch lebt von den Sinnen her: erst seitdem uns durch die Erleichterung des Reisens, durch die neuen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, die fernen Länder nahe gekommen sind, tritt uns ihre Not 'vor die Augen'; Was wir bisher gewußt haben, 'sehen' wir jetzt. Was wir bisher über unserer eigenen Not vergessen haben, tritt jetzt in die Mitte unseres Bewusstseins: in den meisten Ländern dieser Erde herrscht Hunger."
    Die Rede von Joseph Kardinal Frings auf der Vollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda am 19. August 1958 gilt noch heute als die Magna Charta des katholischen Hilfswerkes. Der Erzbischof von Köln sprach vom Ende der Kolonialzeit und dem Erwachen der farbigen Völker - und von der Gefahr des Bolschewismus. Doch Frings rief nicht zum Kampf gegen den Kommunismus auf, sondern zur Barmherzigkeit mit den Armen.
    Der Name "MISEREOR" verwies auf die Speisung der 4.000 im Markus-Evangelium: "Misereor super turbam: "Ich habe Mitleid mit diesen Menschen". Der Aufruf richtete sich allerdings nicht nur an den einzelnen Gläubigen, sondern auch an die Mächtigen.
    "Die Rentenreform 1957 hat mehr Menschen wirtschaftlich geholfen, als alle Elisabethen- und Vinzenzvereine zusammengenommen. Die Steuerpolitik hat in der Schaffung von sechs Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze mehr geleistet, als alle Caritas im Effekt hätte erzielen können. Eine gesunde Wohnungsbaupolitik schafft mehr Wohnungen, als aller Appell an die christlichen Gewissen, den einen oder anderen überflüssigen Raum einer Familie zur Verfügung zu stellen. Vom Evangelium muß darum denen ins Gewissen geredet werden, die die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse bestimmen."
    Es ging nicht um Missionierung
    Im Zentrum von MISEREOR stand die jährliche Fastenaktion vor Ostern. Bereits in den ersten fünf Jahren wurden über 200 Millionen DM eingenommen: Geld, das aber nicht zur Armenspeisung verwendet werden sollte, sondern - in Absprache mit Partnerorganisationen vor Ort – als Hilfe zur Selbsthilfe. Gefördert wurden vor allem Ausbildungsprojekte in der Landwirtschaft, im Handwerk und im Gesundheitswesen. Es ging dabei nicht um Missionierung, erklärte der stellvertretende Geschäftsführer von MISEREOR, Jochen Schmaus, 1964.
    "Man kann der Forderung des Evangeliums nicht Genüge leisten, wenn man nicht ganz bestimmte Voraussetzungen zum Leben hat. Vor jeder Verchristlichung muss die Vermenschlichung des Menschen stehen. Das eigentlich ist das Ziel. Dass die Kirche niemals ihre Aufgabe aus den Augen verliert, zu verkündigen, das ist sicher. Aber dass sie das nicht als Mittel benutzt, um besser verkündigen zu können, sondern einfach um die Vermenschlichung des Menschen zu erreichen."
    Kritik am christlichen Hilfswerk
    Diese Vermenschlichung stand auch im Mittelpunkt der Fastenaktion von 1983. Unter dem Motto "Ich will ein Mensch sein" prangerte das Hilfswerk die Rassentrennung in Südafrika an. Während die Kirche in Südafrika die klare Positionierung begrüßte, bezeichnete der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß MISEREORs Darstellung der Apartheid als "nachweislich falsch und hetzerisch". Es war nicht das einzige Mal, dass Kritiker dem Hilfswerk vorwarfen, über seinen christlichen Auftrag hinauszugehen.
    "Eine zweite wichtige Erfahrung war in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, 1997, gemeinsam mit dem BUND, wo es um eine andere Landwirtschaft ging, wo es um Umweltfragen ging, also bereits vor über 20 Jahren haben wir da einen Text gemeinsam verfasst, der damals sehr stark gerüttelt hat, es gab sehr viele kontroverse Diskussionen mit dem Bauernverband, auch sehr viele Landwirte haben gesagt, das ist nicht das MISEREOR von unserer Kirche."
    Klimawandel als zentrales Thema
    MISEREOR war mit seiner Parteinahme für die Armen immer schon politisch, betont Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. Mit Einnahmen von gut 200 Millionen Euro im Jahr – zwei Drittel davon sind Öffentliche Mittel - ist das Hilfswerk inzwischen der weltweit größte Akteur der katholischen Kirche in Sachen Entwicklungshilfe. Mit dem Geld werden Menschenrechtsinitiativen in korrupten Staaten genauso unterstützt wie Projekte gegen die wachsende Zahl von Überschwemmungen und Dürren. Der Klimawandel ist ein zentrales Thema bei MISEREOR. Das Motto der diesjährigen Fastenaktion "Heute schon die Welt verändert?" gilt dabei auch im eigenen Haus.
    "Die Art unserer Produktion, unseres Konsumierens, unseres Lebensstils ist nicht universalisierbar. Wir wissen, dass wir, jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter von MISEREOR, Teil des Problems sind. Wir versuchen, bei uns im Haus selbst Konsequenzen zu ziehen mit Umweltmanagement, Flüge zu reduzieren, unsere Emissionen jährlich zu reduzieren, wir haben bei uns im Haus selbst beschlossen, kein Fleisch mehr zu essen aus verschiedensten Gründen, um bei uns notwendige Veränderungen mit auf den Weg zu bringen."
    Denn die Grundfrage von MISEREOR ist auch heute noch die gleiche: Was können und müssen wir gegen die Ungerechtigkeit in der Welt tun?