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"Misery" am Broadway
Eine Inszenierung mit Kultstatus

Bruce Willis am Broadway - das mag auf den ersten Blick nicht sehr passend erscheinen. Doch in der Bühnenadaption von Stephen Kings Horror-Klassiker "Misery" überzeugt er als Paul Sheldon. Jede Inszenierung von "Misery" steht und fällt jedoch mit der Figur der Annie Wilkes - und Laurie Metcalf zeigt sich am Broadway in dieser Rolle herausragend.

Von Andreas Robertz | 16.11.2015
    Paul Sheldon hat noch einmal Glück gehabt. Hätte ihn Annie Wilkes nicht nach einem schweren Unfall inmitten eines Schneesturmes aus seinem Auto gezogen, wäre er sicherlich an seinen Verletzungen oder an Kälte gestorben. Und sie ist nicht nur gelernte Krankenschwester, sondern auch fanatischer Fan von Sheldons Liebesromanen, die sich alle um eine junge Frau mit dem Namen Misery drehen. Als sie herausfindet, dass Sheldon seine Romanfigur im letzten Band sterben lässt, zwingt sie ihn, ein neues Buch über Miserys Rückkehr zu schreiben. Stephen Kings berühmter Roman ist für viele Kult und niemand, der Kathy Bates als Annie Wilkes im gleichnamigen Film gesehen hat, wird die Story so schnell wieder vergessen.
    Regisseur Will Frears hat sich stark am Film orientiert, benutzt Musik und Lichtwechsel sehr atmosphärisch, um dem Abend einen mühelosen Fluss zu geben. Bühnenbildner David Korins hat Annies Haus mit viel Liebe zum Detail auf eine Drehbühne gesetzt, um diesen Fluss noch zu unterstützen, aber auch um den klaustrophobischen Charakter der Geschichte zu betonen: eine kleine Welt, aus der kein Entkommen ist. Man sieht den verschneiten Eingangsbereich mit dem Barbecue Grill, auf dem Annie später Paul zwingen wird, sein eigenes Manuskript zu verbrennen, ihr Wohnzimmer mit den notorisch aufgestellten Nippfiguren, die Küche und Pauls Zimmer. Es ist ein wunderbarer, fast filmischer Moment, wenn Paul sein Türschloss aufknackt und er in seinem Rollstuhl - und das Publikum quasi mit ihm - Annies Wohnung zum ersten Mal auskundschaftet, während sich die Bühne ihm langsam entgegendreht.
    Zwischen Charme und Wahn
    Bruce Willis spielt Paul Sheldon als freundlicher Autor mit silbergrauem Vollbart, der spätestens wenn er seine Schmerztabletten mit schmutzigem Wischwasser einnehmen muss, verzweifelt versucht, dem Albtraum irgendwie zu entfliehen. Er spielt Sheldon nicht, wie wir Bruce Willis kennen: als coolen und raubeinigen Held mit seinem jungenhaften Grinsen. Er ist pragmatisch und emotional zurückgenommen, glaubhaft in seinen Schmerzen und seinem Überlebenswillen. Doch jede Inszenierung von "Misery" steht und fällt mit der Figur der Annie Wilkes.
    Laurie Metcalf ist Vielen durch ihre Rolle Jacky Harris in der amerikanischen Sitcom "Roseanne" bekannt. Auf der Bühne begeistert sie immer wieder durch ihre starken Charakterdarstellungen. Und auch hier trifft sie genau die richtige Mischung aus Charme und Wahn. Geschickt nutzt sie ihr komödiantisches Talent, wenn sie sich jauchzend wie ein kleines Mädchen auf Pauls Bett wirft und ihn verliebt anhimmelt, weil er etwas geschrieben hat, das ihr gefällt. Dann wieder nimmt sie völlig unerwartet einen Stoß Papier und schmettert ihn auf Pauls krankes Bein. Und nachdem sie Polizist Buster in den Rücken geschossen hat, kommentiert sie das lakonisch mit: "that's that" und lädt mit einer kräftigen Handbewegung ihr Gewehr nach.
    Eine Achterbahnfahrt der Gefühle
    Laurie Metcalfs Annie ist eine handfeste und humorvolle Frau mit einer berührenden Sehnsucht nach einer anderen, verloren gegangenen Welt. Dazu kommt ein furchtbarer Zorn, der vor nichts Halt macht, um sich an der realen Welt zu rächen, die sie so verletzt hat. Sie macht das so überzeugend, dass in den Momenten der Gewalt das Publikum gebannt von der Geschichte spontan aufstöhnt. Das ist besonders eindrücklich, wenn Annie aus Angst Paul werde sie nach Beendigung des Romans wieder verlassen, mit einem Vorschlaghammer seine Fußknöchel bricht. Langer begeisterter Applaus für eine außergewöhnliche Achterbahnfahrt der Gefühle, eine herausragende Laurie Metcalf und einem sichtlich berührten Bruce Willis. Diese Inszenierung könnte Kultstatus bekommen.