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Missbrauchsopfer vermissen Aufarbeitung

Es ist ruhig geworden rund um die Missbrauchsskandale etwa an der Odenwaldschule. Nicht nur die Opfer beklagen dabei eine Kultur der Verleugnung und wünschen sich eine Aufarbeitung über eine finanzielle Leistung hinaus.

Von Claudia van Laak | 30.04.2013
    Es war ein großer Skandal. Die Hintergründe, Ursachen und Strukturen sind allerdings noch lange nicht aufgearbeitet. Der Prozess ist ins Stocken geraten – in diesem Punkt sind sich Betroffene und Experten einig. Beispiel Odenwaldschule – die frühere Schulleiterin Margarita Kaufmann stellt fest:

    "Was meiner Meinung nach die Odenwaldschule vor allen Dingen gut gemacht hat, war Verleugnungsarbeit. Nicht, dass sie die Geschehnisse geleugnet hat. Sondern so etwas wie eine eigene Mitverantwortung im Sinne von: Was ist mein Anteil, was ist da an diesen Strukturen ursächlich im Zusammenhang mit dem Thema Missbrauch""

    Margarita Kaufmann hat vor zwei Jahren die Odenwaldschule verlassen. Ein Grund dafür war die ihrer Ansicht nach fehlende Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs. Die Opfer sehen das ähnlich. Sie haben sich im Verein Glasbrechen zusammengeschlossen. Sprecher Adrian Koerfer:

    "Fundamental ist die Wahrheit. Anders geht es nicht. Und natürlich muss man sich im Zusammenhang mit Wahrheit auch mit Täterstrukturen, aber auch mit Hintergrundstrukturen, mit Mitwissern - in unserem Fall Odenwaldschule mit einem Umfeld im Kreis der linken Pädagogik -, auseinandersetzen, Max-Planck-Institut, Laborschule. Die gehören alle mit rein."

    Eine ganze Reihe von betroffenen Schulen hat sich nach Bekanntwerden des Skandals intensiv mit dem Thema Prävention von Missbrauch auseinandergesetzt, um die Schüler von heute besser zu schützen. Ein Blick nach vorne, allerdings ohne den notwendigen Blick zurück, meinen Betroffene. Die Konfrontation mit der Wahrheit – im Fall der Odenwaldschule besonders schwer, weil sie für sich in Anspruch nahm und nimmt, eine ganz besonders fortschrittliche Institution zu sein. Die frühere Schulleiterin Margarita Kaufmann:

    "Man weiß ja, dass heilsame Prozesse erst dann beginnen können, wenn wir den Schmerz auch zugelassen haben. Der Schmerz, das wäre hier der Verlust einer großartigen Institution. Das zuzulassen, dass das gar nie so war und dass wir womöglich einem großen Bluff aufgesessen sind."

    Die Aufdeckung des Missbrauchsskandals begann vor drei Jahren am Berliner Canisiuskolleg, einer Jesuitenschule. Matthias Katsch und weitere Betroffene fassten sich ein Herz und begannen, öffentlich zu reden. Auch an unserer früheren Schule ist der Aufarbeitungsprozess ins Stocken geraten, konstatiert Matthias Katsch heute. Zwar habe er auf Antrag eine Art Schmerzensgeld von 5000 Euro vom Jesuitenorden erhalten. Auf eine offizielle Einladung des Canisiuskollegs, um zum Beispiel dort einen Vortrag zum Thema sexueller Missbrauch zu halten, warte er bis heute allerdings vergeblich.

    "Also solche Zeichen der Anerkennung oder der Wertschätzung hat es in dem Sinne bisher nicht gegeben. Ich muss auch ehrlich sagen: Es ist vonseiten der Schule oder vonseiten des Ordens eigentlich noch nie jemand auf uns zugekommen."
    Betroffene, Experten und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung fordern jetzt die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in Familien und Institutionen. Sie solle nach der Bundestagswahl ins Leben gerufen werden.

    "Ansonsten droht die Anstrengung, die wir 2010, 2011 gemacht haben, wieder ins kollektive Vergessen zu fallen. Und dann stehen wir in zehn, 15 Jahren wieder da und sagen: Huch, das haben wir ja gar nicht gewusst, das ist ja ganz schlimm."
    Eine unabhängige Untersuchungskommission - FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat diese Forderung bereits zurückgewiesen.