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Missbrauchsprozess im Judo
Kein Geständnis

Sexueller Missbrauch an sieben minderjährigen Jungen lautet der Vorwurf gegen einen Judotrainer aus Berlin. Der Prozess wird am Montag (25.05.2020) vor dem Berliner Landgericht fortgesetzt. Die Taten, die dem Trainer zur Last gelegt werden, soll er über einen Zeitraum von 13 Jahren begangen haben.

Von Andrea Schültke | 24.05.2020
Ein schwarzer Judogürtel liegt zum Teil auf dem Boden
Der mutmaßliche Täter soll gedroht haben, die Jungen aus dem Judo-Verein zu werfen (Symbolbild) (dpa)
"Mein Mandant wird sich äußern. Es wird auch um intimste Details gehen", so Oliver Marson im Gerichtssaal. Der Anwalt ist einer der beiden Verteidiger des angeklagten Judotrainers. Mit Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten beantragte er den Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Nebenklagevertreter haben den Antrag zum Schutz ihrer Mandaten befürwortet.
Was der Judotrainer hinter verschlossenen Türen gesagt hat, ist nicht bekannt. Fest steht aber, so Lisa Jani, Sprecherin des Landgerichts Berlin: "Von einem Geständnis ist hier nicht auszugehen. Die Beweisaufnahme wird wie geplant durchgeführt. Es sind dazu derzeit weitere zwölf Fortsetzungstermine anberaumt, an denen auch die Geschädigten gehört werden sollen."
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Schwere Vorwürfe
Die Geschädigten – das sind sieben Judoka, heute zwischen 16 und 25 Jahre alt. Ihnen hätte der Angeklagte durch ein Geständnis gegebenenfalls die Aussage erspart. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Trainer. Er soll sie unter anderem brutal geschlagen, gedemütigt und bedroht haben, ihnen schwere sexuelle Gewalt angetan und dabei Schmerzen zugefügt haben.
Eine Sachverständige ist während des Verfahrens dabei. Die Psychiaterin prüft unter anderem, ob vom Angeklagten eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht und das Gericht nach einer möglichen Verurteilung zu einer Haftstrafe auch Sicherungsverwahrung anordnen müsste. Der Angeklagte hatte den Judoclub, in dem er tätig war, selbst gegründet und auch als Präsident geleitet.
Seine Frau und der Stiefsohn hatten ebenfalls wichtige Funktionen inne. Anfang Mai hat der Judoverband Berlin den Verein gesperrt. Verbandspräsident Thomas Jüttner begründet das unter anderem mit fehlender Weitergabe von Informationen "bezüglich des laufenden Verfahrens".
Rücktritt des Vorstandes erwartet
Jüttner schreibt, weiter vermisse der Judoverband Berlin beim Verein die Voraussetzungen für einen glaubwürdigen Neuanfang. Dazu: "Erwarten wir auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, den Rücktritt aller verbliebenen Vorstandsmitglieder des Vereins und Neuwahl eines neuen Vorstandes. Sofern auf dieser außerordentlichen Mitgliederversammlung kein neuer Vorstand gewählt wird, erwarten wir die Selbstauflösung des Vereins."
Der Deutsche Judobund als Dachverband hat nach Angaben seines Geschäftsführers Reinhard Nimz, bereits im Frühjahr 2019 von Vorwürfen gegen den Berliner Judotrainer erfahren. Jugend-Bundestrainer Bruno Tsafack sei auf "äußerst merkwürdiges Verhalten" eines jungen Judoka aufmerksam gemacht worden.
Erste Vorwürfe im Frühjahr 2019
Daraufhin hätte sich der Bundestrainer am Rande eines Wettkampfes Anfang März mit den Eltern des Jungen und dem Trainer unterhalten.
"Danach haben wir verschiedene Sachen gehört, sowohl von dem Trainer, als auch von den Eltern, die uns aber nicht dazu brachten, irgendwas Spezielles anzunehmen. Wir haben zwar den Verdacht, aber wir haben keine logischen Schlüsse daraus gezogen, weil es war unklar, wer da nun die Wahrheit gesagt habe. Der Athlet hat immer dann auch zu dem Trainer gehalten, und wir konnten nicht ermessen, ob der Trainer jetzt irgendwelche Dinge mit dem Athleten angestellt hat oder ob eine Schwierigkeit im Elternhaus des Athleten vorhanden war. Das konnten wir nicht entscheiden."
Deutscher Judobund führte Gespräche
Mitarbeitende aus der Geschäftsstelle des Deutschen Judobundes, darunter auch er selbst, hätten Gespräche mit dem Trainer geführt, so Reinhard Nimz. Es sei um die Unterzeichnung des Ehrenkodexes gegangen. Das ist eine Erklärung, die von allen ehren- und hauptamtlich im Judo tätigen zu unterschreiben ist.
Auch in anderen Sportarten und -Verbänden ist eine Unterschrift unter den Ehrenkodex inzwischen gängige Praxis und ein erster kleiner Baustein eines Kinderschutzkonzeptes. Die Unterzeichnenden versprechen unter anderem: "Ich werde das Recht des mir anvertrauten Kindes, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf körperliche Unversehrtheit achten und keine Form der Gewalt, sei sie physischer, psychischer oder sexualisierter Art ausüben."
Diskussionen um Ehrenkodex
Neben diesem Passus enthält der Ehrenkodex im Judo elf weitere Punkte. Darin geht es unter anderem um Vorbildrolle, Einhalten von Regeln, Fairplay und Respekt. Die Ehrenerklärung war laut Reinhard Nimz Anlass für Diskussionen zwischen dem inzwischen angeklagten Berliner Judotrainer und ihm als Geschäftsführer des Deutschen Judobundes:
"Es ging darum, dass er verschiedene Versionen der Ehrenerklärung hatte und er wissen wollte, wann welche Ehrenerklärung verabschiedet worden ist. Das hat uns aber nicht interessiert, sondern wir wollten ja die aktuelle Ehrenerklärung unterschreiben lassen, weil wir dort eine Aktualisierung vorgenommen haben, die auch eine verschärfte Version enthielt. Und da hat er sich dann geweigert und wollte mit mir um die verschiedenen Versionen streiten."
Lizenzentzug möglich?
Es seien einige Passagen in dem Ehrenkodex gewesen, die der Trainer beanstandet habe, so Nimz und weiter: "Meines Wissens hat er nicht unterschrieben." Hätte der Deutsche Judobund hier möglicherweise eine Handhabe gehabt, dem Judotrainer bereits im Frühjahr oder Sommer 2019 seine Trainerlizenz zu entziehen?
Die Ausbildungsordnung des DJB vom Januar letzten Jahres legt das zumindest nah. Dort sind als Gründe für einen Lizenzentzug aufgeführt: "Wenn der Lizenzinhaber schwerwiegend gegen die Satzung des Verbandes verstößt, den Ehrenkodex des DJB missachtet, Sportler zur Einnahme von Dopingmitteln anleitet oder ihre Gesundheit in anderer Weise wider besseren Wissen schädigt."
Verweigerte Unterschrift als Missachtung?
Ist eine verweigerte Unterschrift unter den Ehrenkodex keine Missachtung desselben und damit laut Ausbildungsverordnung des Verbandes ein Grund für einen Lizenzentzug? Geschäftsführer Reinhard Nimz war sich hier auf Nachfrage nicht sicher:
"Ich müsste mir das mal genauer anschauen. Jedenfalls soweit ich weiß, haben wir die Lizenz nicht entzogen und ich denke mal, es gab da auch für uns keine rechtliche Möglichkeit, das zu tun." Der Judoverband Berlin ist nach eigenen Angaben Mitte 2019 durch den Landessportbund über ein schwebendes Verfahren informiert worden.
Suspendierung kann nur der Verein vornehmen
Laut Präsident Thomas Jüttner hat der Verband eine Suspendierung des Trainers in Betracht gezogen. "Allerdings wurden wir (seitens des LSB / LKA) angewiesen, dass wir bis zum Abschluss der Ermittlungen keine eigenen Nachforschungen und Handlungen unternehmen sollen, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden."
Eine Suspendierung könne ausschließlich der Verein vornehmen. Ein Dilemma, wenn der Angeklagte gleichzeitig auch Präsident ist. Bis zu seiner Verhaftung im November 2019 hat der Mann weiter Kinder und Jugendliche trainiert.