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Mißfelder: Bündnistreue heißt nicht, dass wir uns an allem beteiligen müssen

Der außenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Philipp Mißfelder, setzt zur Beendigung des syrischen Bürgerkriegs weiter auf den Verhandlungsweg. Wenn sich Bündnispartner nun zu Waffenlieferungen an die syrische Opposition entschließen sollten, müsse sich Deutschland nicht zwingend daran beteiligen.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 15.06.2013
    Jürgen Zurheide: Die Amerikaner haben sich entschieden, sie wollen jetzt ja möglicherweise doch Waffen liefern an die syrischen Rebellen. Das ist eine Veränderung der amerikanischen Politik und die Frage ist, wie reagieren die anderen darauf, wie reagiert die deutsche Politik zum Beispiel? Darüber wollen wir reden und ich freue mich, dass der Außenpolitiker der CDU am Telefon ist, Philipp Mißfelder, guten Morgen, Herr Mißfelder!

    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Mißfelder, die Russen warnen die USA vor diesem Schritt, gestern sogar mit harschen Worten. Warnen Sie auch?

    Mißfelder: Nein, wir warnen nicht die Amerikaner, in der Position sind wir ja gar nicht, die Amerikaner zu warnen, zumal die Russen ja auch die Warnung mit sehr harten Worten verknüpft haben und die Beweise, die die Amerikaner vorlegen wollen, per se erst einmal als unwahr abgetan haben. Aber wir sind vorsichtig und wir haben Zweifel daran, ob die Situation – Minister Westerwelle hat es ja auch gesagt –, ob die Situation einfacher wird, wenn noch mehr Waffen in der Region sind.

    Zurheide: Die Frage ist allerdings, was wird wirklich passieren. Kommen wir noch mal auf das, was die Amerikaner da vorgelegt haben, die Russen haben gestern zumindest in einer ersten Reaktion – noch nicht Putin, aber aus dem Parlament heraus – gesagt, die Amerikaner lügen, es seien die gleichen Lügen wie seinerzeit bei Saddam Hussein. Wie sehen Sie denn das, wie werten Sie die Beweise, was kennen Sie, was wissen Sie?

    Mißfelder: Also, ich kenne keine Beweise bislang. Ich bin mir allerdings sicher, dass das nicht so bleiben wird. Die Weltöffentlichkeit wird ja, gerade weil beim Irakkrieg damals im UN-Sicherheitsrat – viele erinnern sich ja noch an die Bilder von Colin Powell – die Glaubwürdigkeit der USA so massiv angekratzt worden ist, deswegen gibt es gar keine Alternative für die USA, als im Grunde in den UN-Sicherheit mit diesen Beweisen zu gehen und die der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Nur zu sagen, wir haben die Beweise und gucken weiter, das wird nicht funktionieren. Die Verbündeten werden ein Auge darauf haben wollen, aber die Weltöffentlichkeit hat ein überbordendes Interesse.

    Zurheide: Auf der anderen Seite steht die Frage im Raum, an welcher Seite stehen wir als Deutsche. Sie haben gerade gesagt, na ja, ganz so harsch wie die Russen reagieren wir nicht, aber Begeisterung klingt auch anders, auch bei Herrn Westerwelle, haben wir das gerade gehört. Ich spitze mal zu: Wir an der Seite der Russen mehr oder weniger gegen die USA, gegen Großbritannien und Frankreich. Ist das so?

    Mißfelder: Nein, das ist nicht so, weil wir sind ja auch der Meinung, dass ein Frieden mit Assad schwer vorstellbar ist. Die Russen unterstützen aktiv Assad, das tun wir ja, das ist ja unvorstellbar für uns. Wir sind der Meinung, dass wir natürlich mit der Opposition zusammenarbeiten müssen, nur da wird es dann schon kompliziert, mit welcher Opposition? Vor Kurzem gab es da ein Treffen in Istanbul, die Friends of Syria, die Freunde Syriens. Die Leute, die in Damaskus aber auf der Straße sind, die in Aleppo, in anderen umkämpften Städten auf der Straße sind, die akzeptieren aber nicht die Opposition, die in den Hotels sitzt sozusagen. Sondern es gibt dort ganz, ganz unterschiedliche Strömungen, ganz viele unterschiedliche religiöse Ausprägungen, und in der "Presseschau" gerade bei Ihnen wurde es ja schon angesprochen: Wir haben ja sehr, sehr viele ausländische Söldner, Dschihadisten, Schlachtenbummler sozusagen, die von Krieg zu Krieg ziehen, wo man wirklich sagen muss, ist es wert, diese Menschen zu unterstützen, und wird es dann im Land dadurch besser, wenn man damit eine militärische Lösung anstrebt!

    Zurheide: Ist alles richtig, was Sie sagen, ich könnte jetzt das Stichwort Libyen einbringen, dort hat die Weltgemeinschaft ja ähnlich entschieden, einzugreifen, und wenn man heute in dieses Land schaut – wir Deutschen schauen da übrigens viel weniger hin als andere –, ist das Chaos ausgebrochen. Nur, was lehrt uns das, können wir es so lassen, wie es ist?

    Mißfelder: Eines ist offensichtlich geworden in dieser Syrien-Krise. Die UNO ist leider ausgefallen als Konfliktlösungsmechanismus. Und das Vertrauen innerhalb des UNO-Sicherheitsrates, also zwischen der westlichen Welt und den beiden anderen Mächten China und Russland, ist offensichtlich so gering, dass man nicht bislang einen vernünftigen politischen Vorschlag machen konnte. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile über 90.000 Syrer gestorben sind und das hat auch dazu geführt, dass wir eigentlich mit den Optionen immer wieder Chancen haben, einen Konflikt beizulegen. Denn die militärische Option ist kaum zu erklären. Ich habe zumindest bislang keine Konzeption gehört, die überzeugend klingt und die eine bessere Zukunft verspricht. Und die politische Konzeption, die ich bevorzugen würde, die scheint in weiter Ferne zu sein. Trotzdem setzen wir, Minister Westerwelle hat das gestern im Plenum gesagt, auch gerade bei Ihnen in dem kurzen Ausschnitt, wir setzen weiter auf diese Konferenz, wir setzen darauf, dass man Russland und China bewegen kann, und tun alles dafür, damit wir uns zusammen an den Tisch setzen und daran arbeiten, eine politische Lösung zu erarbeiten.

    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade gesagt, die UNO ist ausgefallen. Das sind sie natürlich, bei der Blockade im Weltsicherheitsrat. Wie will man aber, wenn die UNO sich selbst am Ende blockiert oder die Vetomächte oder ein Teil der Vetomächte blockiert, denn in der Konferenz müssen sie natürlich dabei sein, wie kann das geschehen? Ich will ja gerne glauben, was Sie sagen!

    Mißfelder: Wir sind jetzt an einem ganz schwierigen, aber auch neuen Punkt. Dadurch, dass jetzt natürlich in den USA ja selber – und da ist die Frage ja sehr umstritten, mindestens so umstritten wie bei uns –, dass innerhalb der USA jetzt ein ganz anderer Druck und eine Drohkulisse auch entsteht, sind wir in einer Situation, wo die Situation auf jeden Fall weiter eskalieren kann. Das kann, wenn man das richtig kanalisiert, wenn jetzt die Gespräche in den nächsten Wochen vernünftig geführt werden, kann dazu führen, dass die Bedeutung der Friedenskonferenz steigt. Eine Drohgebärde gegen Assad heißt nicht automatisch, dass es zwangsläufig zum Krieg kommt. Das ist vielleicht auch ein Fehler, den man in der Vergangenheit gemacht hat, dass man parallel zu den UNO-Gesprächen, die ja allesamt gescheitert sind, dass man vielleicht zu wenig Druck gemacht hat und damit auch Assad die Entschlossenheit des Westens zu wenig demonstriert hat.

    Zurheide: Auf der anderen Seite hat der US-Präsident ja genau mit seiner Wortwahl – die rote Linie wird überschritten –, hat er versucht, Druck aufzubauen. Und in dieser Falle sitzt er jetzt, also da hat er Druck aufgebaut, jetzt sitzt er in der Falle, jetzt ist offensichtlich die Falle zugeschnappt, er muss reagieren. Das ist irgendwo ein Dilemma!

    Mißfelder: Ja, Sie beschreiben es richtig, er hat diese Äußerungen mit den Chemiewaffen gemacht. Und wenn man sich jetzt die amerikanischen Medien anschaut und auch mit den Amerikanern spricht – diese Woche war John McCain auch in Berlin –, wenn man sich das anhört, was so die einzelnen Statements sind, dann stellt man fest, da gibt es auch Unterschiede bei den Amerikanern. Und es sind vor allem so Senatoren wie John McCain oder Lindsey Graham, die auch massiv Druck machen und sagen, wir USA müssen jetzt dort eingreifen, wir können nicht wegschauen, während der Präsident ja generell sich sehr, sehr stark zurückhält mit solchen Militärinterventionen und ja eigentlich daran arbeitet, sich zurückzuziehen aus den Militäroperationen. Und das ist eine Sache, die will ich auch nicht unterschätzen. Der Druck für Obama selber, eine politische Lösung noch auf den Weg zu bringen, ist natürlich auch sehr, sehr groß.

    Zurheide: Also, Sie setzen, das höre ich da raus, nach wie vor trotz aller kritischen Hinweise, auf diese Konferenz, wo viele ja sagen, die ist jetzt eigentlich schon gescheitert?

    Mißfelder: Ja, wir setzen darauf. Wir finden, dass es immer noch besser ist, miteinander zu reden, als aufzurüsten. Minister Westerwelle hat übrigens noch einen ganz wichtigen Punkt dieser Tage ergänzt: Wenn unsere Verbündeten sich trotzdem entschließen sollten, Waffen zu liefern, heißt das noch lange nicht, dass die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, Waffen zu liefern. Und wir werden auch von unseren Verbündeten einfordern, dass sie sicherstellen und nachweisen, was mit dem Verbleib der Waffen aussieht. Denn wir können uns das nicht leisten, wie das in Afghanistan war, dass man zunächst einmal Kämpfer unterstützt und nachher die Waffen gegen uns selber gerichtet werden oder in anderen Konflikten auftauchen. Das muss dann sichergestellt werden und da erwarten wir auch klare Antworten von unseren Verbündeten.

    Zurheide: Stichwort Flugverbotszone, das wird ja ansonsten noch diskutiert: Ist das eine Option für Sie?

    Mißfelder: Eine Flugverbotszone, die würde sicherlich die Truppen Assads massiv schwächen. Wir haben aber in Libyen gesehen, dass es nicht bei einer reinen Flugverbotszone bleibt, sondern dass aus einer Flugverbotszone auch sehr, sehr schnell Aktivitäten, die Luftbodenkonstellationen hervorgerufen haben, geworden sind. Und das ist etwas, wo man sich auch fragen muss, wer übernimmt denn dafür die Verantwortung. Es wird dafür aus meiner Sicht kein UNO-Mandat geben, das war eine Ausnahme bei Libyen. Dass Russland und China sich dort enthalten haben, das werden sie nicht noch mal tun, das haben sie jetzt bereits mehrmals angekündigt. Und die Frage ist eben, was bedeutet eine Flugverbotszone. Wenn sie so robust durchgeführt werden würde, wie John McCain das mehrmals vorgeschlagen hat in amerikanischen Debatten, dann kommt das ja quasi einer Bodenoffensive gleich. Und daran werden wir uns weder beteiligen als Deutsche, noch glauben wir, dass das am Ende dazu führt, dass das Land friedlicher wird.

    Zurheide: Letzter Punkt, noch mal ganz hart gefragt: Dass diese deutsche Haltung, die ja übrigens auch von der Opposition so geteilt wird, wie Sie sie mehr oder weniger gerade schildern, dass uns das von den eigenen Verbündeten entfernt, das sehen Sie nicht?

    Mißfelder: Die Gefahr ist immer da, dass man im Bündnis Konflikte hat. Die Briten und die Franzosen drängen ja schon seit geraumer Zeit darauf, dass Waffen geliefert werden sollen. Nichtsdestotrotz gibt es da ja auch unterschiedliche Auffassungen. Also, der Begriff Opposition, der wird zum Beispiel in Frankreich auch anders gesehen als in Großbritannien. Also, da sind sie sich auch nicht einig, wen sie denn letztendlich unterstützen würden. Und die Antwort auf die Frage, was kommt eigentlich oder wer kommt eigentlich nach Assad, ist von keinem unserer Bündnispartner bislang beantwortet worden. Das ist auch eine Frage, die muss man zu Beginn einer solchen Aktion eventuell, muss man das natürlich klären. Aber ich glaube, das Bündnis hält das aus, wir zeigen Solidarität in Mali, wir haben gestern MINUSMA-Mandat auf den Weg gebracht, wir sind nach wie vor im Kosovo, wir sind in Afghanistan, wir unterstützen unsere Verbündeten, wo es geht. Aber die deutsche Gesellschaft ist eben anders, die deutsche Gesellschaft ist nicht bereit, noch mehr Blutzoll zu zahlen. Und ich glaube auch, dass die Menschen in Deutschland zu Recht fragen und uns in der Verantwortung fragen, was macht ihr eigentlich, was ist für euch wichtiger, eine politische Konzeption oder Bündnistreue per se? Und das ist immer ein Spannungsfeld und da kommen wir zu dem Ergebnis, wir sind bündnistreu, weisen unsere Verbündeten auf die offenen Fragen hin, aber das heißt noch lange nicht, dass Deutschland sich an allem beteiligen muss.

    Zurheide: Danke schön! Das war Philip Mißfelder, der CDU-Außenpolitiker, zur schwierigen Bündnisfrage. Danke für das Interview!

    Mißfelder: Herzlichen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.