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Mißfelder: EU muss beim Syrien-Konflikt wieder zur Gemeinsamkeit finden

Die EU sei nicht in der Lage, gemeinsame außenpolitische Initiativen zu formulieren, sagt der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Philipp Mißfelder (CDU). Bei der Syrien-Konferenz in Genf müsste die EU aber mit einer Stimme auftreten.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Peter Kapern | 28.05.2013
    Peter Kapern: Hochkontrovers sei die Debatte gewesen, die die EU-Außenminister gestern in Brüssel geführt haben, so war es zu hören. Und wer solches Diplomatensprech lesen kann, der weiß, dass gestern die Fetzen geflogen sind. Es ging um Waffenlieferungen an die syrische Opposition. Frankreich und Großbritannien wollen die Aufständischen aufrüsten, eine Gruppe von EU-Staaten war allerdings strikt dagegen. Bis in die Nacht wurde verhandelt mit dem Ergebnis, dass sich die Minister auf kein wirkliches Ergebnis verständigen konnten. Und deshalb läuft das Waffenembargo nun aus – Leon Stebe aus Brüssel:

    Titel der Audiodatei (MP3-Audio) EU hebt Waffenembargo gegen Syrien auf (MP3-Audio)

    Soweit Leon Stebe aus Brüssel, und mitgehört hat Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Mißfelder! Hallo, Herr Mißfelder? Na, da klappt irgendetwas mit unserer Telefonleitung noch nicht. Ich versuche es noch mal – Hallo, Herr Mißfelder, können Sie mich jetzt hören?

    Philipp Mißfelder: Ja, hallo, ich kann Sie gut hören.

    Kapern: Ja, guten Morgen noch mal!

    Mißfelder: Guten Morgen!

    Kapern: Erste Frage: Wie bewerten Sie das Nicht-Ergebnis der EU-Außenminister aus der vergangenen Nacht?

    Mißfelder: Ja, ich finde es sehr erstaunlich, dass die Europäische Union sich in einer so wichtigen Frage nicht einigen kann. Es ist allerdings auch keine Überraschung, weil wir schon bei vielen anderen Beispielen gesehen haben, dass die Europäische Union nicht in der Lage ist, gemeinsame außenpolitische Initiativen, wenn es drauf ankommt, zu formulieren. Und ich muss wirklich sagen, diese Uneinigkeit innerhalb der Europäischen Union, die zeigt einfach, dass wir noch sehr, sehr viel Integrationsarbeit vor uns haben, wenn es um gemeinsame Ansätze geht.

    Kapern: Wer trägt die Verantwortung für das Debakel?

    Mißfelder: Es ist – Sie sagen zu Recht Debakel, also ich würde mir auch den Begriff Debakel zu eigen machen, weil, es kann eigentlich kein schlechteres Signal geben als eine Uneinigkeit der Europäischen Gemeinschaft in dieser Frage. Ich bin der Meinung, das schwächt unsere Verhandlungsposition, auch gegenüber anderen Staaten, die in dieser Auseinandersetzung um Syrien eine Rolle spielen. Es ist offensichtlich so, dass Großbritannien und Frankreich eine ganz grundsätzlich andere Vorstellung haben von dem, wie die syrische Opposition unterstützt werden muss. Ich selber kann dazu nur sagen, ich habe auch eine Zeit lang Waffenlieferungen für die Opposition nicht ausgeschlossen, aber die Briten, die Franzosen und auch ich selbst und andere in Deutschland, die das nicht ausgeschlossen haben, haben zum Teil gänzlich andere Vorstellungen davon, wer eigentlich die syrische Opposition ist. Es gibt ja in dem Sinne nicht die eine syrische Opposition, die moralisch Assad überlegen ist und die man sich dann im Amt wünscht, sondern die Opposition ist sehr, sehr vielfältig, und übrigens birgt das auch viele Gefahren in sich.

    Kapern: Aber Briten und Franzosen sind ja offenbar der Meinung, den richtigen syrischen Oppositionellen Waffen liefern zu können.

    Mißfelder: Das werden wir nachher sehen. Es gibt ja andere Beispiele, wo dann in Konflikten auch Waffen nachher auftauchen, die dann gegen die NATO eingesetzt worden sind, wie zum Beispiel in Afghanistan, wo auch die Amerikaner zuerst die Taliban unterstützt haben, und dann auf einmal die Taliban – nicht auf einmal, sondern über einen Prozess hinweg, die Taliban – dann sich gegen den Westen gestellt haben, aber abgesehen von diesem Worst-Case-Beispiel in Afghanistan muss man auch deutlich sagen, die Christen in Syrien, die die Rückmeldungen nach Europa und insbesondere nach Deutschland geben, die sagen ja ganz deutlich, dass die Gefahren für ihren Leib und Leben viel, viel stärker werden, wenn die Opposition sich durchsetzt. Und zudem kommt noch hinzu, dass so viele Extremisten, Dschihadisten von auswärts in Syrien einsickern, und die zu unterstützen, hielte ich zum Beispiel für falsch.

    Kapern: Denken Sie, das Baschar al-Assad heute ein Fläschchen Champagner aufmacht, weil sich die EU als Player in diesem Konflikt jetzt abgemeldet hat?

    Mißfelder: Wir müssen so schnell wie möglich daran arbeiten, dass die EU wieder zu einer Gemeinsamkeit findet. Wir dürfen uns aus dem Konflikt nicht abmelden, wenn es jetzt um die Gespräche in Genf im Juni geht. Da muss die EU mit einer Stimme auftreten, insofern war das gestern wirklich ein ganz schlechtes Signal, und Assad wird sicherlich das missdeuten, und diese Uneinigkeit der Union als eine Option, als eine Verlängerung seiner Arbeit ansehen, weil wenn die westliche Welt nicht gemeinsam auftritt und nicht stark gemeinsam auftritt, dann wird das zu falschen Schlüssen in Damaskus automatisch führen.

    Kapern: Nun haben London und Paris ja auch immer darauf hingewiesen, dass man mit Waffenlieferungen, mit der Androhung von Waffenlieferungen zumindest an die syrische Opposition den syrischen Diktator auch unter Druck setzen kann mit Blick auf die Syrienkonferenz, die da stattfinden soll. Was ist falsch an dieser Auffassung?

    Mißfelder: Das ist ein taktischer Zug, den man auch diskutieren kann. Ich glaube allerdings, dass wir, was die gescheiterten Initiativen der UNO angeht, einfach schon viel zu viel Zeit verloren haben, um uns auf solche taktischen Finessen einzulassen, denn über diesen Punkt sind wir schon weit hinaus. Die syrische Opposition beispielsweise hat sich, gerade weil die UNO es nicht geschafft hat, eine politische Lösung auf die Beine zu stellen, hat sich die syrische Opposition massiv verändert. Das heißt, es gibt diese Hotelopposition, die vor allem in Istanbul tagt, das sind auch viele durchaus sympathische Vertreterinnen und Vertreter, die allerdings im Volk kaum Rückhalt haben, es gibt dann die Dschihadisten, von denen ich sprach, die einsickern, die auch gefährlich sind, für die Zeit nach Assad, und die für die Zivilbevölkerung eine dauerhafte Gefahr darstellen, die die Christen ausradieren wollen beispielsweise, und es gibt dann natürlich den Grundkonflikt, den arabischen, den zwischen Sunniten und Schiiten. Allein schon, dass die Hisbollah sich jetzt auf die Seite von Assad geschlagen hat, zeigt ja, dass die Situation in Syrien immer vertrackter wird, und deshalb wäre es eigentlich viel, viel besser gewesen, wenn man in der Vergangenheit – vor sechs Monaten – eine politische Lösung EU, Amerika, Russland und China hinbekommen hätte im Rahmen der UNO, und darin sind wir politisch – das muss man einfach sagen – gescheitert.

    Kapern: Das ist aber jetzt das Lamento über vergossene Milch, Herr Mißfelder. Sie haben ja eben gesprochen von der Zeit nach Assad. Wie kommen Sie darauf, dass es die jetzt noch gibt? Assads Truppen sind auf dem Vormarsch, und die Opposition bekommt immer noch keine Waffen aus der Europäischen Union.

    Mißfelder: Es gibt da ja sehr, sehr unterschiedliche Einschätzungen zu der Stärke Assads, denn vor vier Monaten gab es auch wichtige Pressestimmen und auch Informationen, die aus Nachrichtenkreisen in das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben, durch die Presse, dass Assad auf dem Rückmarsch wäre. Und dann wurde ja schon spekuliert, wie viel Zeit kann man Assad noch geben. Offensichtlich ist die Lage, diese Lageeinschätzung falsch gewesen, deshalb ziehe ich aber nicht automatisch den Schluss daraus, dass Assad unbesiegbar ist. Es ist aber tatsächlich so, die Situation wird immer festgefahrener auf Kosten der Zivilbevölkerung, wird die Situation ausgetragen, nur trotzdem glaube ich, dass, gerade weil die Situation so verfahren ist, und weil wir ja wirklich auch über Häuserkampf zum Teil reden, eine militärische Lösung, der Erfolg einer militärischen Lösung immer unwahrscheinlicher wird, sodass ich sehr darauf setze, dass man bei den Gesprächen in Genf mit einer gemeinsamen politischen Lösung mit Russland und China noch mal einen Anlauf startet und versucht, eine Befriedung in Syrien hinzubekommen.

    Kapern: Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, heute früh im Deutschlandfunk. Herr Mißfelder, danke für das Gespräch!

    Mißfelder: Ganz herzlichen Dank!


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