Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Mißfelder: UNO "als Weltpolizei ein Totalausfall"

Die UNO werde ihrer Verpflichtung, die Zivilbevölkerung zu schützen, in Syrien nicht gerecht, sagt Philipp Mißfelder. Dass ein möglicher Syrieneinsatz für die Union im Wahlkampf zum Problem werden könnte, glaube er allerdings nicht.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.08.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Wenn Syriens Präsident Assad Giftgas gegen seine Bevölkerung einsetzt, dann ist die rote Linie überschritten, diese Ankündigung machte US-Präsident vor rund einem Jahr. Seit dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in der vergangenen Woche werfen ihm seine Kritiker vor, zu zögern und zu zaudern. Mittlerweile zeigen sich sowohl Washington als auch London aber überzeugt, dass Damaskus für den Einsatz von Chemiewaffen verantwortlich ist. Und sie bereiten sich konkret auf einen Militärschlag vor, notfalls auch ohne UNO-Mandat. Manch einer hat da ein Déjà-Vu-Erlebnis – Und über das Thema können wir jetzt sprechen mit Philipp Mißfelder von der CDU, er ist außenpolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Mißfelder!

    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Washington und London bereiten sich also auf einen Militärschlag vor, der in den kommenden Tagen kommen könnte. Ein richtiger Schritt oder geraten wir da in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang?

    Mißfelder: Das ist eine sehr, sehr schwierige Abwägungsfrage, und Sie haben ja gerade schon die unterschiedlichen Stimmen aus Amerika zitiert, insbesondere gerade den letzten O-Ton, den sie eingespielt haben, die Stellungnahme des Pressesprechers von Präsident Obama, dass man auch in den USA nicht davon überzeugt ist, dass ein Militärschlag tatsächlich eine politische Lösung ersetzt. Andererseits ist es natürlich so, dass ich die amerikanische Haltung im Grundsätzlichen verstehe, denn Obama hatte sich nun einmal festgelegt auf diese roten Linien …

    Heckmann: Ein Fehler? War das ein Fehler aus Ihrer Sicht?

    Mißfelder: Das hängt ja auch zum Teil mit innenpolitischen Erwägungen in den USA zusammen, aber eines muss ja auch klar sein für alle Diktatoren in der Welt, dass wenn die UNO leider nicht in der Lage ist aufgrund der zynischen und brutalen Blockade Chinas und Russlands, dass die UNO leider nicht in der Lage ist, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, dass dann natürlich ein solches Handeln nicht folgenlos bleiben kann. Trotzdem ersetzt das nicht die langfristige Arbeit an einer politischen Lösung.

    Heckmann: Eine politische Lösung soll mit diesem Militärschlag auch gar nicht angepeilt werden, sondern es geht ganz offenbar um eine Strafaktion eben für den Einsatz von Giftgas.

    Mißfelder: Genau. Genau darum geht es, und um auch nicht mehr. Der Konflikt wird übrigens auch danach weitergehen.

    Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, Herr Mißfelder, dass, wenn es eben, wenn der UNO-Sicherheitsrat blockiert ist, wie es ja im Moment der Fall ist durch Russland und durch das Veto, das dort eingelegt wird gegen ein Vorgehen gegen Syrien, dann müsste es trotzdem Konsequenzen geben, wenn eben Giftgas beispielsweise eingesetzt wird. Einschlägige Meinung aber unter Völkerrechtlern oder zumindest die überwiegende Meinung ist, dass man trotzdem in den Sicherheitsrat gehen muss und daran kein Weg dran vorbei geht.

    Mißfelder: Da haben Sie recht. Es gibt klare Regeln, auch im Bereich des Völkerrechtsregelwerks der UNO, in dem wir uns dort bewegen sollten. Es gibt natürlich auch den NATO-Vertrag, der allerdings hiervon nicht betroffen sein dürfte. Und vor dem Hintergrund ist es natürlich eine sehr schwierige juristische Frage jetzt, ob es überhaupt möglich ist, in irgendeiner Form eine Mandatierung für das geplante Vorgehen oder das, was in Rede steht, zu finden.

    Heckmann: Das sieht ja nicht danach aus, da Moskau und China ja blockieren.

    Mißfelder: Ja. Und das macht die Situation für Deutschland natürlich nicht einfacher, weil wir natürlich sehr stark auf dieses Regelwerk pochen und wir aber auch andererseits jetzt sehen, dass die UNO selber an die Grenzen des Völkerrechts stößt. Denn die UNO selber hat sich noch vor wenigen Jahren die sogenannte Responsibility to protect gegeben, also die Verpflichtung, die Zivilbevölkerung zu schützen. Und der wird sie aufgrund dieser Blockadehaltung schon seit Langem nicht gerecht. Und das zeigt einfach, dass die UNO selber als Weltpolizei eben ein Totalausfall ist.

    Heckmann: Die UNO stößt an ihre Grenzen, ist als Weltpolizei ein Totalausfall. Und das legitimiert, dass dann die USA und Großbritannien das Völkerrecht brechen?

    Mißfelder: Ich werfe jetzt nicht pauschal diesen Völkerrechtsbruch vor, weil es so klingt, als wenn die USA und Großbritannien in einer geringeren moralischen Position stehen würden als vielleicht diejenigen, die im UNO-Sicherheitsrat aus meiner Sicht aus geopolitischen Gründen, aber nicht aus humanitären Gründen ein entschlossenes Vorgehen der UNO verhindern. Aber wenn man es ganz genau auslegt, ist es so, dass es dafür kein Mandat geben wird aller Voraussicht nach, und vor dem Hintergrund kann man ja nicht von einem völkerrechtsgedeckten Einsatz sprechen.

    Heckmann: Also wenn Sie sagen, Herr Mißfelder, dass sich Deutschland nicht beteiligen wird an einer solchen Aktion, dann müssten Sie eigentlich auch die deutschen Soldaten aus der Türkei abziehen, die ja die Patriot-Abwehrraketen dort bedienen, denn die sind ja ganz schnell in diesen Konflikt hineingezogen.

    Mißfelder: Ja, dafür gibt es auch rechtliche Einschätzungen, zum Beispiel auch die Frage, ob die Türkei sich an einem solchen Eingriff beteiligt und an einer solchen Aktion. Dann ist eben die Frage, ob unser Mandat, das wir bisher im Bundestag gefasst haben, da ausreicht für die Patriot-Raketen oder nicht. Ich möchte aber dann trotzdem politisch noch einmal argumentieren und nicht nur juristisch: Es ist natürlich schon ein Unterschied, ob wir uns mit eigenen Kampfflugzeugen dort einschalten oder ob wir da bei einer anschließenden Bodenoffensive mitmachen oder wir in irgendeiner Form wir aktiv militärisch dort tätig werden. Oder ob wir beispielsweise Israel oder befreundeten Staaten Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Das ist natürlich schon ein ganz, ganz großer politischer Unterschied, und den würde ich auch nicht vermengen wollen mit den Szenarien, die jetzt von Großbritannien und Amerika aus betrieben werden.

    Heckmann: Herr Mißfelder, der CDU-Außenexperte Karl-Georg Wellmann, der hat sich für einen Militärschlag vorgestern ausgesprochen. Er zeigte sich ebenfalls überzeugt, dass Assad Giftgas eingesetzt hat. Wir hören mal kurz rein, was er gesagt hat.

    Karl-Georg Wellmann: Das heißt, dass ein militärisches Eingreifen sehr wahrscheinlich erscheint und auch sinnvoll ist. Deutschland hat nicht die Mittel, dort einzugreifen, aber andere haben sie. Die Amerikaner haben sie, die Engländer haben sie, und wir sollten es unterstützen.

    Heckmann: Wir sollten also nicht mitmachen, aber eine solche Aktion unterstützen, sagt er. Wie soll eine solche Unterstützung aussehen, genau.

    Mißfelder: Wir stellen uns ja einer amerikanischen Intervention nicht in den Weg und sagen, wir sind per se dagegen. Aber die Frage ist dann eben schon, was können wir tun und was können wir nicht tun. Ich hab ja gerade schon gesagt, dass ich mir zum Beispiel nicht vorstellen kann, aktiv mit eigenen Truppen dort behilflich zu sein, einzugreifen. Aber meines Wissens nach liegt doch keine Anfrage gerade in Berlin vor. Weder für die in der Presse heute genannten möglichen Anforderungen noch für das, was Sie gerade gesagt haben im Bereich der Türkei. Und dann würde ich erst einmal abwarten, was unsere Verbündeten von uns anfordern, bevor man darüber redet, was man ausschließt und was man nicht ausschließt.

    Heckmann: Das wäre aber jetzt genau meine Frage, und auch die Frage, die sicherlich die Hörerinnen und Hörer interessiert. Wenn eine solche Anfrage kommt, ob dann eine Beteiligung deutscher Soldaten aus Ihrer Sicht ausgeschlossen wird, ja oder nein.

    Mißfelder: Dann werden wir uns das anschauen, welcher Art diese Anfrage sein wird, und was alles dazugehört. Ich hab ja gerade schon gesagt, wenn beispielsweise Israel fragen würde, ob wir – um es ganz konkret zu machen, die Gefahr, das ist ja auch in Ihrem Beitrag beschrieben worden, die Gefahr, dass der Konflikt übergreift in der gesamten Region, sei es auf Jordanien oder sei es auf den Libanon, ist riesig groß. Die Gefahr, dass es zu einem weiteren Einsatz von Giftgas kommt, ist auch sehr, sehr groß. Und um unsere befreundeten Länder in der Region zu schützen, muss man natürlich dann genau prüfen, was wir als Defensivbeitrag beispielsweise leisten können und was nicht. Aber dafür liegt, wie gesagt, keine Anfrage bislang vor.

    Heckmann: In vier Wochen, Herr Mißfelder, finden Bundestagswahlen statt, in knapp vier Wochen, muss man sagen. Sind Sie auch deshalb so vorsichtig und zurückhaltend, weil Wahlkampf ist und weil Sie eine Situation vermeiden wollen wie 2002, als die SPD mit der Kriegsgefahr im Irak die Wahl gewonnen hat und gerade noch so?

    Mißfelder: Ja, ich erinnere mich auch noch an den Wahlkampf 2002 und muss sagen, dass es da ja auch noch die Flut gab und das Kandidatenduell zwischen Stoiber und Gerhard Schröder. Also insofern ist es, kann man die Situationen im Wahlkampf jetzt nicht vergleichen. Es ist so, dass wir aber natürlich mit sehr, sehr vielen Menschen sprechen. Und in den Veranstaltungen, die ich auch durchführe als Wahlkämpfer gerade, kriege ich natürlich auch zwei unterschiedliche Rückmeldungen. Die erste Rückmeldung aus der Bevölkerung ist ganz klar, dass die Menschen sagen, sie möchten nicht, dass so etwas auf der Welt passiert und dass so was ungesühnt bleibt. Andererseits sagen natürlich ganz viele Bürger auch, und das geben ja auch Umfragen her aber auch die Erfahrungswerte, die man aus vielen Bürgergesprächen gerade hat, dass die Menschen in Deutschland sagen, ja, das ist richtig, dass eigentlich was passieren müsste, aber durch Afghanistan, aber auch durch die anderen Auslandseinsätze der Bundeswehr ist die Akzeptanz von weiteren Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht besonders hoch. Und vor dem Hintergrund auch die Bereitschaft jetzt, an vorderster Front in einen Einsatz zu ziehen, nicht vorhanden. Und das sind zwei Seelen, die dort in der deutschen Brust gerade schlagen. Und das kann ich aber auch aus guten Gründen nachvollziehen, dass die Bürgerinnen und Bürger so fühlen.

    Heckmann: Der außenpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion Philipp Mißfelder von der CDU war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Mißfelder, danke Ihnen für das Gespräch!

    Mißfelder: Herzlichen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.