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Missstände aufdecken per Mail

Viele Skandale und Affären, aktuell zum Beispiel bei der Telekom, kommen nur ans Licht, weil mutige Mitarbeiter Außenstehende über Missstände informieren. Doch "Whistleblower" riskieren den eigenen Arbeitsplatz, denn rechtlich haben sie in Deutschland keinen Schutz. Ein Potsdamer Unternehmen hat daher ein elektronisches System entwickelt, mit dem Hinweisgeber ihre Informationen anonym weitergeben können.

Von Paul Stänner | 06.06.2008
    " Es ist ja nun gerade das große Problem des Whistleblowers, dass er hier in Deutschland rechtlich keinen Schutz hat. Ein Hinweisgeber aus einer Behörde, aus einem Unternehmen, der sich unmittelbar an die Justiz oder an die Polizei wendet, muss damit rechnen, wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen, Geschäftsgeheimnissen angezeigt zu werden und auch entlassen zu werden, und da gibt es Beispiele genug, "

    sagt Wolfgang Lindner. Er leitet im Landeskriminalamt Hannover die Zentralstelle Korruption. Das Problem also liegt darin, dass die bisherigen Möglichkeiten für einen Tippgeber oder Whistleblower, seine Hinweise auf Straftaten mitzuteilen, stets mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden sind. Doch dieses Risiko lässt sich vermeiden:

    " Das ist mit Herzen geschehen aus der Diplomarbeit. Mein Professor hat mich infiziert mit Wirtschaftsethik. Das hat dann nach dem Studium auch noch angehalten, "

    sagt Kenan Tur. Er gründete im Jahr 2002 zusammen mit anderen die Business Keeper AG. Ihr Produkt ist das so genannten Business Keeper Monitoring Systems BKMS. Dieses computer- und internetgestützte System gibt Hinweisgebern die Möglichkeit, anonym auf einen Misstand aufmerksam zu machen.

    " Das Produkt ist eine internetbasierte Plattform. Wir haben in zwei Jahren eine Kernentwicklung geschaffen, in der wir in einem Hochsicherheitstrakt Server haben, wo ein Hinweisgeber über das Internet dann dort einen anonymen Postkasten einrichten kann und gleichzeitig der Bearbeiter mit dem anonymen Hinweisgeber korrespondieren kann. "

    Das System funktioniert folgendermaßen: Ein Unternehmen mietet bei Business Keeper eine Plattform auf einem externen Hochsicherheitsserver. Je nach den Wünschen des Unternehmens wird diese Plattform eigens eingerichtet. Auf diesem Server kann der Tippgeber seine Hinweise per E-Mail hinterlegen. Der Whistleblower schickt seinen Informationen vernünftigerweise nicht von seinem Arbeitsplatz aus, der elektronisch überwacht werden kann, sondern von seinem heimischen PC.

    Er schreibt an sein Unternehmen oder zum Beispiel eine Ermittlungsbehörde wie das Landeskriminalamt Niedersachsen. Über deren Startseite wird er auf den Business-Keeper-Server weitergeleitet. Hier kann er seine Mitteilung niederlegen, zum Beispiel einen Verdacht auf Bestechung, Insiderhandel oder die Verarbeitung von Gammelfleisch. Kategorisierte Fragen auf der Plattform helfen dem Hinweisgeber und später dem Ermittler, die Meldung einzuordnen und zu bearbeiten. Damit ist eigentlich die Aufgabe des Tippgebers erledigt.

    Das Entscheidende ist, dass bei diesem Hochsicherheitssystem nicht rückverfolgt werden kann, woher die Mitteilung kam. Der Hinweisgeber bleibt in jedem Fall anonym im geschützten Raum.

    " Kern dieser Entwicklung war aber von Anfang an, keine wahllosen Meldungen, sondern strukturierte Erfassung nach Schwerpunkten, nach Themenfeldern. Also nicht: Telefonhotline aufheben, etwas sagen, behaupten und wieder auflegen, sondern hier kann der Hinweisgeber nur zu festgelegten Themen, die das Untenehmen, die Behörde vorher festlegt, im System melden. "

    Elf Mitarbeiter erstellen zurzeit im brandenburgischen Potsdam die Systeme. Der Jahresumsatz liegt bei einer Million Euro, Tendenz steigend. Jedes System wird zwar individuell auf den Kunden zugeschnitten, aber außerhalb seiner eigenen IT-Landschaft installiert, so dass er dafür keine eigenen Investitionen tätigen muss. Der Kunde zahlt lediglich eine monatliche Nutzungsgebühr, wobei sich auch mehrere Interessenten die Kosten teilen können. In Bayern kam es zu einer solchen Kooperation.

    " Was schön ist, dass die Kassenärztliche Vereinigung und die AOK sich zusammengetan haben, und das ist wirklich auch mal sehr erfreulich, weil in anderen Unternehmen bekämpfen die sich in dieser Sache, weil die kassenärztlichen Vereinigungen, weil die Ärzte meinen, sie werden kriminalisiert. Man kann an die KV melden oder an die AOK melden, das entscheidet der Hinweisgeber. "

    Kenan Tur, der Gründer von Business Keeper, absolvierte ursprünglich eine Ausbildung bei Opel und studierte Wirtschaftsinformatik. Sieben Jahre lang arbeitete er für General Motors unter anderem in den Bereichen Controlling und Revision des Einkaufs. Aber immer war er auch mit Fragen der Wirtschaftethik befasst. Aus den Kompetenzfeldern Ethik und Informatik entstand die Geschäftsidee, mit BKMS eine Plattform für Tippgeber zu schaffen. Und dies genau zur rechten Zeit ..

    " Heute können es sich große Unternehmen nicht mehr leisten, der Reputationsschaden ist einfach sehr, sehr teuer, und es wird auch immer teurer, das Unterschlagen oder das Versteckthalten, dass man Korruption macht, also es wird günstiger, wenn sie das sein lassen. "

    Für Unternehmen sind die Hinweise von Mitarbeitern bares Geld wert. Deshalb wird es immer wichtiger, Whistleblower zu schützen, um überhaupt an ihre Hinweise zu kommen. Das ist im Interesse der Firma und der Gesellschaft, denn der Whistleblower hat ja immer die Möglichkeit zu schweigen. Den Schaden tragen dann andere. Auch deshalb ist Wolfgang Lindner vom Landeskriminalamt Niedersachsen vom BKMS-System restlos überzeugt:

    " Wir sind schnell überzeugt worden, dass dieses System sich rentiert, dass wir sehr viele Hinweise bekommen und können sagen, dass sind im Schnitt ein bis zwei Meldungen pro Tag. "