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Missstimmung über die Vertriebenenstiftung

Im Streit um die Vertriebenen-Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hält es der Philosoph Rüdiger Safranski für möglich, auf osteuropäische Mitglieder in den Gremien zu verzichten. Die Deutschen sollten sich von der Vorstellung verabschieden, "dass wir immer alle in einem Boot sitzen müssen".

24.03.2010
    Beatrix Novy: Vorgestern musste der Stiftungsrat des Dokumentationszentrums zu Flucht, Vertreibung und Versöhnung wieder einmal "krisensitzen", die Stiftung kommt nicht ins Gleis. Im Februar erst wurde der lange Streit um die Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach beigelegt, durch ihren Verzicht auf einen Platz im Stiftungsrat. Dann aber stiegen drei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats aus, drei Historiker aus Polen, Tschechien und Deutschland.

    Historiker und Politiker auf allen Seiten kämpfen um die Ausbalancierung aller Interessen in diesem schwierigen Projekt. Was aber sagt der Philosoph dazu? Rüdiger Safranski ist selbst, wie Erika Steinbach, ein Kind von Vertriebenen, kurz nach dem Krieg geboren. An ihn ging die Frage, wieso Deutschland eine ständige Ausstellung über die Vertreibung brauchen würde.

    Rüdiger Safranski: Ich hatte es immer auch für richtig empfunden, dass die ganze Geschichte der Vertreibung jetzt hier in Deutschland auch besonders erinnert wird, nicht aus Gründen, um eine Schuldaufrechnung zustande zu bringen, nein, das ist wirklich nicht der Grund. Und man muss ja auch sagen, es war auch das Verdienst gerade von Erika Steinbach, dass sie in dem Vertriebenenverband tatsächlich auch Mehrheiten schließlich dafür gewonnen hat, eine offenere Auseinandersetzung über das Problem zu führen.

    Also um es konkret zu sagen, wirklich deutlich zu machen, dass die Geschichte der Vertreibung natürlich 1933 beginnt, und das, was 1945 geschehen ist, natürlich mit eine Folge ist. Also wenn dieser Rahmen hergestellt war, dann hatte ich mir ja nun auch versprochen, dass es also möglich sein müsste, über dieses Thema ja das sozusagen hineinzuholen in die Gedenkkultur.

    Novy: Tatsächlich ist ja Erika Steinbach auch seinerzeit von Leuten wie Peter Glotz unterstützt, sogar von Ralph Giordano unterstützt worden, dennoch müsste es doch möglich sein, sich in die Polen hineinzuversetzen, wenn sie mit ihrer Aversion gegen Erika Steinbach nicht aufhören, denn es gibt nun mal auch andere Dinge als die Ratio. Offenbar spielen da die Emotionen - das sagt auch der polnische Kulturminister in der "Zeit" diese Woche - eine größere Rolle.

    Safranski: Na ja, also man kann sich in jedem Boulevard hineindenken, und ich kann mich auch in den Boulevard Polens hineindenken, in die Boulevardzeitung, und die zum Teil aufgehetzten nationalistischen Milieus, die wir überall haben. Also das ist, finde ich, nicht so sehr das Problem.

    Ich kann aber verstehen, dass in Polen das jetzt nicht unbedingt eine Herzensangelegenheit ist, dann nun an einer Gedenkstätte für deutsche Opfer teilzunehmen. Das kann ich auch vollkommen verstehen. Ich will Ihnen aber nur eine…

    Novy: Aber ohne sie geht es ja nicht.

    Safranski: Bitte?

    Novy: Ohne sie würde es ja nicht gehen.

    Safranski: Doch, es würde gehen. Und das ist jetzt der Punkt, den ich noch mal zur Sprache bringen möchte. Wir sollten uns an diesem Punkt auch verabschieden von dieser Vorstellung, dass wir immer alle in einem Boot sitzen müssen.

    Jede Nation hat auch die Aufgabe, ihre eigene Gedenkkultur zu entwickeln, und das muss nicht immer durch den Gesamtfilter von allen anderen Ländern hindurchlaufen. Und ohne damit Ärger zu erregen: Ich finde, eine gelassene selbstverständliche Gedenkkultur an diesem Punkt wäre sehr hilfreich. Darf ich Ihnen noch eine Sache sagen, das ist nämlich, das Argument fehlt eigentlich noch, das habe ich noch nicht gesagt, warum ich das für wichtig halte: Dass wir an diese Dinge erinnern, an diese Vertreibung, und zwar aus einem Grund, der gewissermaßen innernational ist, also innerhalb unseres Gemeinwesens wichtig ist.

    Und das ist der Punkt: Es ist eben so, im Namen Deutschlands und mit der Verantwortung Deutschlands insgesamt sind die unmäßigen Verbrechen und sind die Kriege betrieben worden. Das war das gesamte Deutschland, das ganze Volk ist sozusagen dafür rekrutiert worden.

    So, und was dann geschehen ist nach 1945, diese Vertreibung, ist dann auch etwas, was sich aus der inneren Perspektive in Deutschland dann auch so darstellt, dass manche mehr Folgelasten zu tragen hatten für die ganzen grauenhaften Geschichten, die im Namen des deutschen Volkes begangen worden sind. Manche hatten mehr Lasten zu tragen, zum Beispiel die eben vertrieben worden sind, zum Beispiel die, die auch Opfer der Bombardierung wurden und so weiter.

    Und man hat in Deutschland immer, in Westdeutschland dann zuerst mal, immer darum gerungen - das nannte man früher Lastenausgleich, das war zuerst ökonomisch nur gedacht -, aber wir müssen auch zu einem moralischen Ausgleich, zu einem psychologischen Ausgleich an diesem Bereich kommen.

    Novy: Rüdiger Safranski war das zu dem Thema, das uns noch lange beschäftigen wird: zum geplanten Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung.