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Misstrauen zwischen Afghanen und Bundeswehr

Lieber spät als nie: Auch wenn ein Abzug kurz bevorstehe, seien in Afghanistan vertrauensbildende Maßnahmen vonnöten, sagt Martin Gerner. Positiv überraschend wäre beispielsweise der Besuch eines deutschen Politikers "bei denjenigen, die die religiöse Obermacht in Afghanistan haben".

Martin Zagatta sprach mit Martin Gerner | 12.03.2012
    Martin Zagatta: Angela Merkel ist heute zu einem überraschenden Truppenbesuch in Afghanistan eingetroffen – zu einem etwas ungünstigen Zeitpunkt, denn das Land am Hindukusch steht unter Schock, ist empört nach dem Amoklauf eines amerikanischen Soldaten, der mindestens 16 Zivilisten getötet haben soll. Bei mir im Studio ist unser früherer Deutschlandfunk-Kollege Martin Gerner, der heute als freier Autor vorwiegend in Afghanistan arbeitet und dessen Dokumentarfilm über den Alltag in dem kriegsgebeutelten Land gerade in deutschen Programmkinos zu sehen ist oder anläuft. Guten Tag, Herr Gerner.

    Martin Gerner: Hallo.

    Zagatta: Herr Gerner, diesem Vorfall jetzt sind ja Koran-Verbrennungen vorausgegangen, die zu heftigen Protesten, zu blutigen Zusammenstößen geführt haben. Ist das jetzt auch zu befürchten?

    Gerner: Das muss man abwarten. Es gibt Gerüchte, die auch schon gestreut wurden, von denen zumindest in afghanischen Medien zu lesen ist, dass dies organisiert sei, um es wieder sozusagen der Instrumentalisierung radikalerer Gruppen zuzuführen. Es sind nicht immer Taliban, wie auch bei den Koran-Verbrennungen. Auf der anderen Seite tut man der afghanischen Bevölkerung in toto Unrecht, wenn man meint, sie alle wären Zuläufer solcher Gerüchte. Es hat gerade bei den Freitagsgebeten während der Unruhen nach der Koran-Verbrennung sehr mäßigende Stimmen der Kabuler Mullahs und vieler Prediger gegeben, was hier nicht angekommen ist. Das muss man abwarten, auch die Zusammenhänge kennen wir noch nicht ausreichend. Es gab etwa auch den Mord im Zusammenhang mit den Unruhen vorletzte Woche an zwei amerikanischen Offizieren im afghanischen Innenministerium, das ist auch noch nicht aufgeklärt. Aber das Ganze wirkt natürlich psychologisch wie eine große Blase des gegenseitigen Misstrauens, da haben Sie schon recht, und da ist sehr auffällig und interessant, dass wir immer und unsere Medien sich konzentrieren auf die Darstellung möglicher Infiltration durch Taliban, drogenabhängige Soldaten. Es gibt aber noch andere Ursachen, warum die Gewalt auch innerhalb der Sicherheitskräfte grassiert.

    Zagatta: In diesem Fall liegt es ja fast auf der Hand zu sagen, da hat ein durchgeknallter Psychopath ein ganz fürchterliches Verbrechen verübt, also nicht zu vergleichen mit eventuellen Verfehlungen, Unachtsamkeiten bei dieser Koran-Verbrennung. Ist das Misstrauen vor Ort – Sie haben auf die Mäßigung hingewiesen – dennoch so groß, dass dahinter (und diese Stimmen hört man ja jetzt auch) irgendwie auch Methode vermutet wird?

    Gerner: Na ja, das was wir da erlebt haben, ist ja zugespitzter noch, als es ein guter Spielfilm hätte zu Tage fördern können. Man wundert sich auch, wie der Soldat alleine aus dem Lager herauskam. All das muss ja noch geklärt werden und inwiefern es ein isolierter Fall ist, den man losgelöst von anderem betrachten kann. Tatsache ist aber, dass die Afghanen an sich fragen, sich fragen, aber auch die internationale Gemeinschaft und vor allen Dingen die USA, wie viele Entschuldigungen, wie viele Versprechen noch. Es hat sich ja einiges akkumuliert, und das kann man sehr gut lesen, und es gibt eine Studie, die das US-Militär Mitte letzten Jahres, im Mai 2011 in Auftrag gegeben hat, die zuerst geheim war, die mittlerweile zugänglich ist, und da sind 600 afghanische Sicherheitskräfte, Polizei und Militär, befragt worden, auch mehrere Hundert US-dienende Sicherheitskräfte in Afghanistan, und was da zutage gefördert wird, sind eigentlich sowohl Vorurteile übereinander als auch Erfahrungen, gemachte, die von der Zivilbevölkerung auch immer wieder bestätigt werden. Das sind zum Beispiel Überschreiten der Privatsphäre auch gegenüber Frauen bei Hausdurchsuchungen, das ist überverhältnismäßige Straßensperren - trifft man ganz häufig an - im Verkehr durch ISAF- und NATO-Kräfte, das sind aber auch ganz einfache Potenziale von Unzufriedenheit wegen Arroganz der Ausbilder - das kommt ganz häufig vor -, die einfach den Drill übertreiben, das sind Verletzungen auch auf religiöser Seite, etwa wenn zitiert wird, dass Militärpersonal die Schuhe nicht auszieht in einer oder vor einer Moschee, all dies zusammen mit persönlichen Abneigungen, die von Familienfällen auch von Gerüchten herrühren können. Das kumuliert sich seit zehn Jahren mittlerweile und führt dann hin und wieder zu diesen sehr bedauerlichen Ausbrüchen. Ein Toter pro Woche, so hat es die ISAF jüngst aufgezählt. Auf der anderen Seite ist es natürlich für das internationale Militär auch sehr schwer, die befragten US-Soldaten - drei Provinzen, 19 Standorte wurden da befragt - sagen, es ist immer wieder die mangelnde Zuverlässigkeit, Afghanen tun für Geld alles, sie sind unter Drogen. Und da stehen jetzt diese Misstrauensverhältnisse einander gegenüber. Die Übersetzer, die afghanischen Übersetzer, zum Teil überwiegend sehr junge Leute, 17, 18, 19, 20 Jahre, haben eine verdammt große Verantwortung in diesen Situationen, und es braucht besonnene Vorgesetzte.

    Zagatta: Sie sagen, das ist eine Studie, das sind Studien, die amerikanische Soldaten betreffen. Gilt das für die Bundeswehr genauso? Kann man das übertragen?

    Gerner: Das kann man nicht eins zu eins übertragen. Zum einen sind die amerikanischen Kräfte wesentlich belasteter, in wesentlich schwierigeren Situationen noch. Die Spezialkräfte sind ja diejenigen, die die meisten Akte zur Anti-Terror-Bekämpfung durchführen, das heißt Taliban aktiv verfolgen und auch umbringen. Das ist in Kundus in der Provinz in den letzten zwei Jahren in vielen Fällen der Fall gewesen. Das ist natürlich eine erhebliche Mehrbelastung noch, als es viele andere Nationalitäten haben. Zugleich – und da ist sozusagen vielleicht der Zusammenhang – geht es ja hier sehr viel neben dem militärischen Know-how um interkulturelle Kompetenz, so heißt es mittlerweile im Jargon, und da gibt es sicherlich - und auch intern ist der Bundeswehr das durchaus geläufig - Defizite, an denen man arbeitet. Nun kann man sagen, zehn Jahre und kurz vor dem Abzug wird es langsam Zeit. Das betrifft den Umgang vor Ort, das Wissen auch, wie die Afghanen ticken durch all diese Vorgänge, und natürlich auch nach innen jetzt vertrauensbildende Maßnahmen: Was kann das sein, wie kann man überhaupt jetzt wieder Vertrauen herstellen. Wenn sie Afghanen befragen, dann kann das bedeuten symbolische Gesten, auch wie die Militärs auf die Afghanen zugehen, durch Koran-Verteilungen möglicherweise auch durch die Hand der afghanischen Regierung. Die afghanische Regierung muss auch vermitteln zwischen ISAF-Militär und den Mullahs und den Geistlichen, das wäre etwas ganz wichtiges. Wir hören immer von diesen Überraschungsbesuchen, auch eben. Überraschend wäre mal ein Besuch deutscher Politiker und politischer Verantwortlicher im Verteidigungsbereich bei denjenigen, die eben sozusagen die religiöse Obermacht in Afghanistan haben.

    Zagatta: Da könnte man noch eines nachfragen, denn auch das geht über Agenturen. Diese Meldungen, da ist die Empörung jetzt groß auf afghanischer Seite. Auf der anderen Seite hört man, dass Frauen auch von der von uns unterstützten Regierung jetzt mit neuen Gesetzen unterdrückt werden. Herr Gerner, wenn man da eine Bilanz zieht und das auch mit betrachtet, hat denn dieser Krieg, der mehr als 50 deutschen Soldaten den Tod gebracht hat, sich gelohnt?

    Gerner: Aus Sicht der Afghanen kriegen sie viele kritische Antworten und vor allen Dingen Kritik, warum ist man nicht früher effizient gegen die Taliban bei all der Technik, über die man verfügt, vorgegangen. Jetzt hat man Angst vor dem raschen Abzug, bei all der Kritik, die wir eben gesagt haben, ist der Tenor: Lasst uns nicht zu früh allein gegenüber Taliban, aber auch vor allem gegenüber Warlords, denen die Geberländer nicht mehr auf die Finger schauen. Das Dekret, das Sie eben genannt haben, ist eines von vielen rivalisierenden Gesetzestexten, die es in Afghanistan gibt. Vor zwei Jahren ist auch ein Gesetz für die Minderung der Frauengewalt verabschiedet worden, das gilt für alle Behörden. Es rivalisieren – und da ist die NATO, ist der Westen in einem Kulturkampf in Afghanistan – verschiedene Kräfte auf Regierungsebene, in den politischen Eliten. Da muss man abwarten, wie das verläuft. Jetzt kann man es noch beeinflussen.

    Zagatta: Der Afghanistan-Experte Martin Gerner. Danke für den Besuch im Studio.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.