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Mißtrauensvotum gescheitert
Die Ukraine vor unruhigen politischen Zeiten

Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk hat ein Misstrauensvotum im Parlament etwas überraschend überstanden. Dabei war die Kritik an ihm zuletzt immer deutlicher geworden. Er kann nun zwar weiter regieren, ist dabei aber abhängig von kleineren radikalen Parteien und dem prorussischen Oppositionsblock.

Von Jan Pallokat | 17.02.2016
    Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk beantwortet am 07.01.2015 in Berlin vor Beginn eines Treffens mit dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft Fragen der Medienvertreter.
    Hat ein Misstrauensvotum überraschend überstanden: Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. (dpa / picture alliance / Rainer Jensen)
    Am Ende einer emotionalen Parlamentssitzung schien das Aus für die Regierung Jazenjuk reine Formsache. Die Kritik an ihr war zuletzt immer lauter geworden, sogar Staatspräsident Poroschenko hatte sich am Ende gegen seinen alten Mitstreiter vom Maidan gewandt und seinen Rücktritt gefordert. Doch als der piepsende Wahlrechner im ukrainischen Parlament das Ergebnis der Vertrauens-Abstimmung errechnet, trauen viele Volksvertreter ihren Augen kaum: Nur 194 Deputierte hatten der Regierung das Misstrauen ausgesprochen, weit weniger als nötig.
    Die Sitzung ist geschlossen, so Parlamentspräsident Groismann. Ob er schon ahnte, was kommen würde? Wenige Stunden vorher hatte ein bereits angezählter Premierminister Jazenjuk eine Bilanz seiner Regierungsarbeit gezogen - es klang bereits wie eine Abschiedsrede. "Diese Regierung hat getan, was sie konnte. Wir arbeiteten unter sehr schwierigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Vieles haben wir in Kooperation mit dem Parlament geschafft. Wir begreifen aber auch sehr gut, dass die Menschen unzufrieden sind, mit der Regierung, dem Parlament, mit allen verantwortlichen Institutionen in der Ukraine. Aber ich rufe Sie auf, ganz egal, was kommt, wir haben kein Recht, auf unserem Weg zu stoppen. Wir haben das Fundament gelegt für ein besseres Land, und wir wollen weiter zusammen eine neue, eine europäische Ukraine bauen, wie sie das Volk verdient!"
    Zuletzt gab es nicht mehr allzu viele Ukrainer, die das Wirken der Regierung Jazenjuk besonders positiv eingeschätzt hätten - mit Ausnahme des Regierungschefs selbst. In seinem Rechenschaftsbericht vor dem Kiewer Parlament lobte er die eigene Arbeit so ausdauernd, dass die vorgesehene Redezeit am Ende knapp wurde. "Ich brauche noch fünf Minuten, und vielleicht ist das ja mein letzter Auftritt. Also hören Sie bitte zu!" – "Warum so pessimistisch, Arsenij Petrowitsch", so Parlamentspräsident Groismann. "Sie erhalten noch fünf Minuten Redezeit!"
    Ein Kommentar, der im Rückblick prophetisch wirkt. Zwar erklärten sich in einer ersten Abstimmung die meisten Abgeordneten für grundsätzlich unzufrieden mit der Regierungsarbeit. Volksvertreter riefen Jazenjuk daraufhin zu, freiwillig abzutreten und sich eine Abwahl zu ersparen: "Ich trete zurück!" Wo bleiben diese Worte? Wo ist ihr Mut? Das ukrainische Volk duldet keine Feiglinge!"
    Doch Jazenjuk hielt stand, und überstand. Nur 194 Deputierte sprachen ihm das Misstrauen aus, 32 zu wenig. Manche Kommentatoren mutmaßten noch am Abend im Fernsehen, Oligarchen hätten wohl ihre Gralshüter im Parlament angewiesen, Jazenjuk zu retten – um eine wie von Poroschenko zuletzt ins Spiel gebrachte Technokraten-Regierung zu verhindern, die ihre Geschäfte hätte stören können. Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass der Ukraine politisch unruhige Zeiten bevorstehen. Jazenjuk, der nicht amtsmüde wirkt, wird wohl vorerst weiterregieren – allerdings ohne die größte Parlamentsfraktion im Rücken, dafür abhängig von kleineren, radikaleren Gruppen und dem als prorussisch eingestuften Oppositions-Block. Schon gestern fiel auf, dass nur acht Vertreter dieses Blocks Jazenjuk ihr Misstrauen aussprachen – Vertreter einer Partei, die normalerweise die Regierung scharf kritisiert.