Donnerstag, 18. April 2024

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Misstrauensvotum in Frankreich
"Aussichten auf Fortführung des Reformkurses sehr begrenzt"

Das Misstrauensvotum gegen Frankreichs Regierung werde wohl scheitern, sagte Henrik Uterwedde vom deutsch-französischen Institut Ludwigsburg im DLF. Allerdings stelle sich die Frage, wie es weitergehe, wenn die eigene Partei offen rebelliere. Der Reformwille könne damit ausgebremst werden.

Henrik Uterwedde im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.02.2015
    Ein Blick in das Plenum des französischen Parlaments, der "Assemblée Nationale" in Paris.
    Die französische Regierung muss sich heute Abend einer Vertrauensabstimmung stellen. (picture-alliance / dpa / Christophe Petit Tesson)
    Um ein neues Wirtschaftsgesetz gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen durchzubringen, griff Premierminister Manuel Valls auf ein umstrittenes Manöver zurück: auf den Artikel 49-3 der Verfassung. Damit kann ein Gesetz ohne Abstimmung als angenommen gelten - außer der Misstrauensantrag gegen die Regierung ist erfolgreich.
    Diese Regelung dürfe aber nur einmal im Jahr angewendet werden, betonte Uterwedde. Die Hollande-Regierung habe aber noch zwei Jahre im Amt vor sich. "Das heißt, es ist völlig unsicher, ob diese Regierung den in letzter Zeit bekundeten entschlossenen Reformwillen noch in die Tat umsetzen kann bei dieser politischen Konstellation." Dabei seien Reformen dringend notwendig und das nun durchgesetzte Macron-Gesetz bringe lediglich bescheidene Fortschritte in puncto Liberalisierung. Die Frage sei, ob die Regierung noch die Kraft und die politische Basis habe, wichtige Reformen anzupacken.
    Uterwedde betonte: "Im Kern ist das Wirtschaftsproblem Frankreichs ein politisches Problem und kein ökonomisches Problem." Es gebe zu wenig Kompromissbereitschaft. "Da verkriecht sich lieber jeder in seiner ideologischen Schützenburg."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Mit vielen kleinen Schritten in vielen verschiedenen Bereichen will Frankreichs Wirtschaftsminister Macron den Stillstand im Land überwinden, Wachstumskräfte stimulieren. Statt aber die Reformfähigkeit des Landes unter Beweis zu stellen, zeigt das Wirtschaftsgesetz, wie zerstritten das sozialistische Lager ist. Weil die erwartete Mehrheit im Parlament in Gefahr war, griff die Regierung zur Brechstange. Verfassungsartikel 49 III macht es möglich, das Gesetz ohne Abstimmung in Kraft zu setzen, sofern ein Misstrauensvotum scheitert. Heute Abend wird auf Antrag der konservativen UMP darüber abgestimmt. Am Telefon ist Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Schönen guten Morgen.
    Henrik Uterwedde: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Hier kündigt sich im Grunde genommen ein neues Desaster für die Sozialisten an"
    Barenberg: Herr Uterwedde, wir haben gerade gehört, der Misstrauensantrag, das Misstrauensvotum wird aller Voraussicht nach scheitern. Alles halb so wild also?
    Uterwedde: Ja wenn es so einfach wäre. Ich denke, der wird scheitern. Das Gesetz wird durchkommen. Dann hat diese Regierung noch zwei Jahre vor sich, wie sie regieren muss mit einer offenen Rebellion in der eigenen Fraktion, in der eigenen Partei, die bis zu 40 und mehr Abgeordnete umfasst, mit der Möglichkeit, diese Möglichkeit, wie sie heute angewandt wird mit diesem Artikel 49-3, darf nur einmal im Jahr angewendet werden plus Haushaltsgesetz. Das heißt, es ist vollkommen unsicher, ob diese Regierung den in letzter Zeit bekundeten, entschlossenen Reformwillen, den vor allen Dingen Premierminister Valls verkörpert, ob sie den überhaupt noch in die Tat umsetzen kann bei dieser politischen Konstellation. Und zu allem Überfluss: In vier Wochen sind Departementalswahlen. Die sind sehr wichtig in Frankreich. Und hier kündigt sich im Grunde genommen ein neues Desaster für die Sozialisten an und man weiß noch nicht, wie stark der Front National sein wird in manchen Departements. Also die Aussichten, dass Frankreichs Regierung auf dem begonnenen Reformkurs, der dringend weiter begangen werden müsste, weiter fortschreiten kann, die sind sehr, sehr begrenzt.
    Barenberg: Die sozialistische Regierung wird aller Voraussicht nach im Amt bleiben, aber sie wird von jetzt an eine schwere Hypothek mit sich herumschleppen?
    Uterwedde: Das kann man wohl sagen. Ich meine, das Problem ist eben einfach: Die französische Wirtschaft hat einen leichten Frühling vor sich, der aber auf äußeren Faktoren beruht, Ölpreis, Eurokurs. Aber die Kernursachen der französischen Wirtschaftsschwäche, Wettbewerbsfähigkeit, ein zu schwaches Wachstumspotenzial, bleiben bestehen, sie erfordern Reformen. Darüber sind sich auch alle Sachverständigen und Experten einig. Frankreich hat kein Analyseproblem. Auch Premierminister Valls und ein Teil seiner Regierung sind entschlossen eigentlich, dass Frankreich Reformen braucht. Nur Präsident Hollande hat zu lange Zeit verzögert, hat zu viel Zeit verloren zu Beginn seiner Amtszeit. Das Ansehen des Präsidenten ist in den Keller gesunken. Die nationale Einheit, die sich nach dem Attentat von „Charlie Hebdo" kurzzeitig gezeigt hat, die ist längst verflogen. Und dann kommen jetzt im Grunde genommen, sage ich mal, die alten Schwächen auch des politischen Systems zum Tragen: Ideologisierung, Polarisierung zwischen links und rechts, Unfähigkeit, Kompromisse auszuhandeln zwischen Koalitionspartnern oder verschiedenen Kammern. Im Kern ist das Wirtschaftsproblem Frankreichs ein politisches Problem und kein ökonomisches Problem.
    "Frankreich lebt über seine Verhältnisse"
    Barenberg: Wie dringend nötig sind denn Reformen in der Art, wie sie jetzt ja auch nur Schritt für Schritt angegangen werden von Macron?
    Uterwedde: Na ja, sie sind nötig, und man muss vielleicht auch eines sagen: Die Regierung hat in zwei, drei Punkten tatsächlich auch gehandelt. Sie hat die Unternehmen substanziell entlastet um Steuern und Sozialabgaben in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro. Sie hat eine sehr bescheidene Arbeitsmarktreform in Gang gesetzt und das Macron-Gesetz, na ja, das was davon übrig geblieben ist, bringt bescheidene Fortschritte in puncto Liberalisierung, zum Beispiel Liberalisierung des Fernbusverkehrs, den wir ja auch aus Deutschland kennen. Das geht alles in die richtige Richtung, aber Frankreich bräuchte schon noch mehr entschlossenere Reformen. Die Staatsverschuldung ist strukturell zu hoch. Frankreich lebt über seine Verhältnisse. Und die Staats- und Verwaltungsreform, das Verschlanken eines sehr üppig ausgestatteten Staatsapparats und Verwaltungsapparats, die ist zwar angekündigt, aber noch längst nicht umgesetzt. Und auch am Arbeitsmarkt und auf den Gütermärkten bräuchte Frankreich tatsächlich deutlich mehr Flexibilität und auch mehr Marktöffnungen. Es gibt zu viele Bereiche in Frankreich, die tatsächlich noch von einem wirklichen Wettbewerb entfernt sind. Aufgaben gibt es schon genug. Wie gesagt: Die Frage ist, ob diese Regierung überhaupt noch die Kraft hat und die politische Basis hat, überhaupt die eine oder andere dieser Reformen noch entschlossen anzupacken.
    Barenberg: Dafür machen Sie sozusagen die Spaltung des Landes in Konflikte zwischen rechts und links vor allem verantwortlich, weniger die Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen?
    Uterwedde: Ja, das ist richtig. Ich glaube, der Kern liegt tatsächlich in diesem politischen System. Sehen Sie, in Deutschland gibt es immer wieder jetzt auch nicht automatisch, aber doch immer wieder die Möglichkeit, entweder dass wir eine Große Koalition haben - denken Sie an die Rente mit 67, die ist in einer großen Koalition beschlossen worden -, oder es gibt ausgehandelte Kompromisse etwa bei der Schuldenbremse zwischen Bund und Ländern. Es gibt hier bei uns diese Fähigkeit im Aushandeln von Kompromissen. Wir haben auch die Krise überwunden nicht nur durch die Schröder-Reformen, sondern durch die Mitarbeit der Sozialpartner. All diese Faktoren existieren in Frankreich nicht. Sie sehen es ja jetzt an dem Misstrauensantrag. Da stimmen die Rechtsextremen, die Linkssozialisten und die Konservativen in trauter Eintracht gegen eine Regierung, ohne dass sich etwa die gemäßigten Konservativen überlegen, dass das Macron-Gesetz ja eigentlich in die Richtung geht, die sie wollen. Es fehlt hier tatsächlich an Schritten, aufeinander zuzugehen. Diese Polarisierung, die eine politische ist, die aber auch eine ideologische ist, spaltet das Land und es gibt zu wenig Kräfte und auch zu wenig Mechanismen, die die politischen Kräfte dazu bewegen, tatsächlich auch mal große Reformen auch mal gemeinsam anzupacken. Da verkriecht sich lieber jeder in seiner ideologischen Schützenburg und das macht mir auf die Dauer jetzt tatsächlich auch Angst.
    "Hier ist schon präventiv oft eine Angst da"
    Barenberg: Drei bis vier Fünftel aller Franzosen, sagen jedenfalls Umfragen, sind einverstanden, verlangen, erwarten, dass sich das Land erneuern muss. Jetzt sprechen Sie über diese politischen Kämpfe zwischen rechts und links. Liegt das auch an der Vetomacht der Gewerkschaften in Frankreich, dass Reformen immer wieder an ihnen scheitern? Das war ja in der Vergangenheit auch schon ein-, zweimal so.
    Uterwedde: Ja, wobei Vetomacht - die Gewerkschaften sind ja deutlich schwächer als in Deutschland und sind auch zersplitterter. Aber es ist schon richtig, dass auch konservative Regierungen sich an manche Reform überhaupt gar nicht heranwagen, weil tatsächlich hier sie Angst haben, dass die Gewerkschaften Streiks und Massendemonstrationen und auch Aufmärsche veranstalten. Hier ist schon präventiv oft eine Angst da, die Reformen verhindert. Nun muss man ja sagen, bestimmte Sozialreformen, ich nehme mal den Arbeitsmarkt, sind ja alles andere als populär. Sie sind ja auch in Deutschland damals bei den Hartz-Reformen Schröders nicht unwidersprochen geblieben und es hat auch hier große soziale Verwerfungen mit den Gewerkschaften gegeben. Das ist nicht einfach. Aber es gibt wenig Spielraum für die Regierung, tatsächlich auch in Verhandlungen mit den Gewerkschaften oder überhaupt mit den Sozialpartnern hier, sage ich mal, schrittweise Kompromisse zu erreichen. Hier ist oft eine Verhärtung vor allen Dingen von zwei der drei großen Gewerkschaften da, die auch verhindert, dass man überhaupt einmal vielleicht Kompromisse eingeht und dass man hier tatsächlich schrittweise sich Reformen nähert. Da ist dann doch auch eine Blockadehaltung da, die weitere Fortschritte verhindert.
    Barenberg: Sehen Sie denn Ansätze für die Fähigkeit, diese Blockadehaltung aufzulösen?
    Uterwedde: Wenn wir jetzt mal bei den Gewerkschaften bleiben: Das ist ein Dauerthema erst mal. Wie kann eine Regierung politische Zustimmung auch in der Gesellschaft, bei den Verbänden, bei den Sozialpartnern für ihre Vorhaben bekommen? Hier gibt es Ansätze, dass die Regierung große soziale Gesetze und Sozialreformen den Sozialpartnern vorher vorlegen und sie auch einladen, vielleicht untereinander zu verhandeln, um selbst einen Beitrag zu leisten, diese Reformen mit zu gestalten. Das hat in dem einen oder anderen isolierten Fall auch tatsächlich geklappt, aber in vielem anderen hat es eine Blockadehaltung gegeben. Das Problem ist: Blockadehaltungen zu überwinden in dieser sozialen Kultur, in der unzureichenden Verhandlungskultur, das können Sie nicht in ein, zwei Jahren erreichen. Das erfordert ein Umdenken bei allen Beteiligten, bei der Politik, bei den Sozialpartnern, und Umdenken in diesen Bereichen, genau wie ein Umdenken bei der Polarisierung der politischen Landschaft, das ist fast eine Generationenaufgabe. Aber so viel Zeit hat die Regierung nicht und insofern bietet Frankreich dann doch immer wieder dieses Bild einer großen Zerstrittenheit und einer doch eingeschränkten Fähigkeit der Regierungen, tatsächlich Kräfte und Zustimmung zu mobilisieren für Veränderungen, die dieses Land dringend notwendig hat.
    Barenberg: Die Wirtschaftsreformen in Frankreich und die Blockadehaltung - vielen Dank für dieses Gespräch, Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.
    Uterwedde: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.