Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Misteln helfen bei der Suche nach verseuchtem Boden

Für uns Menschen gelten Mistelzweige als Symbole der Liebe, doch für Bäume sind Misteln einfach Schmarotzer. Sie haben es besonders leicht, wenn die Wirtspflanze geschädigt ist oder unter Stress leidet und dieser Umstand macht sie für die Wissenschaft besonders interessant: Die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft untersucht zur Zeit, ob ein Vorkommen von Misteln geeignet ist, auf die Belastung des Bodens mit Schadstoffen hinzuweisen.

Von Anne Preger | 08.03.2006
    Goslars hübsche Altstadt ist Weltkulturerbe der UNESCO. Das verdankt die Stadt ihren reichen Erzvorkommen. Über eintausend Jahre Bergbau hinterlassen aber auch negative Spuren. Die Böden in Goslar sind stark mit giftigen Schwermetallen belastet.
    Wie sich das auf die Bäume im Stadtgebiet auswirkt, erläutert Ewald Schnug, Agrarwissenschaftler bei der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig:

    " Bäume werden durch Schwermetalle gestresst, in ihrer Vitalität beeinträchtigt, und das erleichtert es dann dem Halbschmarotzer wie der Mistel, sich leichter auf dem Baum nieder zu lassen. "

    Besonders anfällig für die weißbeerige Mistel sind Pappeln, Ebereschen und Obstbäume. Über eintausend befallene Laubbäume im Goslarer Stadtgebiet haben Ewald Schnug und seine Mitarbeiter untersucht. Dadurch wollen sie herausfinden, wie viel Stress Schadstoffe wie Blei, Cadmium und Zink den Bäumen machen und was den Bäumen sonst noch schadet. Klima und Relief wurden beschrieben - und Vögel beobachtet. Denn nur dort, wo Misteldrossel, Wacholderdrossel und Co. einen der klebrigen Mistelsamen fallen lassen, bekommt die Mistel überhaupt eine Chance zu wachsen.

    Die Forscher haben aber nicht nur Misteln gepflückt, sondern auch den Wirtsbaum und den Boden unter dem Baum untersucht, um im Labor zu bestimmen, wie viel Schwermetall aus dem Boden für Pflanzen gefährlich werden kann. Für diese Proben wurde ein Bohrstock mit einem schweren Plastikhammer fast zehntausend Mal über einen Meter tief in den Boden eingeschlagen:

    " Wenn Sie dann überlegen, dass Sie für jedes Eintreiben von einem Bohrstock gut und gerne zwischen sieben und zehn Schlägen brauchen, kommen Sie leicht dahinter, dass nicht nur Gehirnschmalz, sondern auch sehr viel Muskelkraft für so ein Projekt notwendig ist.

    Wir haben aber gleichzeitig ein methodisches Projekt begonnen, wo wir versuchen, mit Hilfe der Fernaufklärung diese Misteln einfacher und vor allem arbeitseffizienter zu erfassen. "

    Ein ferngesteuertes Modellflugzeug mit einer Spannweite von fast drei Metern hilft den Wissenschaftlern dabei. Die Bordtechnik kommt von den Ingenieuren des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Braunschweig. Die niedrig fliegende Maschine mache ganz besondere Luftaufnahmen, erklärt der Agrarwissenschaftler Schnug:

    " Wenn wir mit einer infrarotsensitiven Kamera über das Gebiet fliegen, dann würden wir diese Misteln als kleine rote Punkte auf dem Bild erkennen können. "

    Die Forscher machen sich dabei zunutze, dass die kugeligen Misteln im Winter als einzige saftig grüne Blätter besitzen. Mit Hilfe der GPS-Technik lassen sich so Mistelkarten in kürzester Zeit aus der Luft erstellen. Die Karten helfen den Forschern dann, Schwermetalle im Boden aufzuspüren - und zwar schnell und kostengünstig.

    Bedarf besteht bundesweit: Denn noch immer gibt es auf der Deutschlandkarte viele weiße Flecken, von denen bisher nicht bekannt ist, wie viele Schwermetalle dort für Pflanzen und damit möglicherweise für den Menschen gefährlich werden können. Weisen also alle Misteln auf Schadstoffe im Boden hin?

    Nicht zwangsläufig, beruhigt Ewald Schnug. Auch zum Beispiel Trockenheit oder Insektenbefall können Bäume anfällig für Misteln machen. Noch sind in Goslar nicht alle Daten erhoben. Im Frühjahr 2007 sollen genaue Zahlen darüber vorliegen, wie stark der Mistelbefall wirklich von den Schadstoffen im Boden abhängt.