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Mit dem Blick des Galileo Galilei

Wohl keine andere historische Figur steht so exemplarisch für den wissenschaftlichen Fortschritt der Neuzeit gegenüber dem christlichen Mittelalter wie der Florentiner Gelehrte Galileo Galilei. Seine Entdeckungen der wahren Verhältnisse unseres Sonnensystems setzen nicht nur die Kopernikanische Wende des astronomischen Denkens fort; die neuen Erkenntnisse stehen nicht nur im unmittelbaren Zusammenhang des Einsatz neuer medialer Armierungen des Sehens, wie sie in der bedeutendsten Erfindung nämlich des Fernrohrs zum Ausdruck kommen; Galilei ist auch prominentes Opfer des gegenreformatorischen Widerstandes der Kirche gegen das neue Sehen.

Von Michael Wetzel | 29.10.2007
    Die Verleugnung seiner revolutionären Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten des Weltalls unter dem Druck der Inquisition ist nicht erst seit Bertold Brechts gleichnamigen Stück sinnbildlich geworden für die tragische Rolle des Wissenschaftlers im Machtspiel der herrschenden Ideologien. Galilei war eher ein revolutionärer Denker ohne revolutionäre Geste. Die letzten Jahre seines Lebens verbringt er unter einer Art von Hausarrest in seiner Villa, ganz der Verarbeitung seiner Erkenntnisse hingegeben, die er im Blick durch das ketzerische Perspektiv des Fernrohrs gewonnen hatte.

    Aber was schenkte denn dieser durch geschliffene Linsen verstärkte Einblick in die Weiten des Weltalls dem neugierigen Auge dieses frühmodernen Forschers? Horst Bredekamp, seines Zeichens Kunsthistoriker an der Humboldt-Universität in Berlin, gibt darauf eine unerwartete Antwort, in der kunst- und mediengeschichtliche Paradigmen sich verbinden: Der neue optische Beobachtungsapparat erweitert den Horizont der Datenerhebung, wie es heute genannt wird. Aber die eigentliche Auswertung dieser Daten zur Information, das heißt zur Formulierung eines Erkenntnisgewinns, erfolgt auf dem Wege der Darstellung des Gesehenen, und zwar einer durchaus im künstlerischen Sinne zu verstehenden zeichnerischen Darstellung. Und in dieser Hinsicht entdeckt Bredekamp einen neuen, einen unbekannten Galilei, nämlich Galilei den Künstler.

    Dass der Mathematiker und Physiker, ja Astronom Galileo Galilei als Mensch der Spätrenaissance bzw. des Manierismus nicht frei vom kultur- und vor allem kunstgeschichtlichen Kontext seiner Zeit verstanden werden kann, war schon 1954 von Erwin Panofsky in seiner Arbeit zur Rolle Galileis als Kunstkritiker formuliert worden. Bredekamp folgt diesem Weg, um der künstlerischen Wendung neue Dimensionen abzugewinnen, die vor allem den Bereich der zeichnerischen Eigenleistung des Theoretikers bei der Vermittlung seiner astronomischen Einsichten erkunden. Im Mittelpunkt steht eine einfache, aber verblüffende Überlegung zu den berühmten Darstellung des Mondes: dass nämlich der Blick durchs Fernrohr niemals das in den Veröffentlichungen des Wissenschaftlers dann dargebotene Bild des Erdtrabanten geliefert hat, sondern nur Details, wertvoll vergrößerte Details, die erst in der zeichnerischen Kompositionen zum Gesamteindruck zusammengesetzt werden mussten. Und an dieser Stelle kommt der kunsthistorische Aspekt voll zum Tragen, wird Galilei als eigener, ja eigenhändiger Produzent der Mondbilder zum Künstler, der mit seiner - wie es explizit heißt - "motorischen Intelligenz" in der Tradition der Renaissance-Malerei mit ihren Grundsätzen des "disegno" und "concetto" sowie des "paragone", das heißt des Wettstreits zwischen Idee und Abbildung steht. Medientheoretisch interessant ist dabei besonders der schon im Untertitel von Bredekamps Buch genannte Aspekt der Hand. In ihr verkörpert sich so etwas wie eine Materialität des Wissensprozesses, der durchaus an Momente der konkreten Herstellung gebunden ist und in der Beherrschung der manuellen Praxis des Visualisierens erst sich manifestiert. Bredekamp hält sich dabei zugleich an die kulturhistorische Tradition der so genannten Spurensicherung, die seit der gründlichen Erforschung durch den italienischen Historiker Carlo Ginzburg an Vorläufer wie Morelli oder Freud mit ihrer Besessenheit von unbedeutenden und unscheinbaren Details der Darstellung anschließen kann. Die umfangreiche und gründlich recherchierte Studie, die zugleich an die Reihe anderer Vorarbeiten des Autors nämlich zu den visuellen Denkformen der modernen Naturwissenschaft, Staatstheorie und Philosophie bei Hobbes und Leibniz als den großen Verneinern der ikonoklastischen Züge einer mathesis universalis anknüpft, bietet zugleich eine erste Dokumentation der zahlreichen Zeichnungen Galileis von seinen Mondansichten in verschiedensten Phasen und seine Entdeckungen der Sonnenflecken. Bredekamp kann sich dabei überraschenderweise auf eine von ihm entdeckte Ausgabe des "Sidereus Nuncius" von 1610 beziehen, die Galileis eigene Handzeichnungen als Autographen aufweist.

    Das Besondere von Bredekamps monumentaler und gründlich recherchierter Studie bleibt aber der kunsthistorische Tenor, der im Herzen der wissenschaftlichen Wissensbildung das kreative Moment künstlerischer Gestaltung samt der Beschleunigung des überregionalen Austausches visueller Mitteilung ausmacht. Dazu gehören auch die kulturhistorisch höchst aufschlussreichen Ausführungen zur typologischen Gleichsetzung des Naturwissenschaftlers Galilei mit dem in seinem Geburtsjahr verstorbenen Geniekünstler Michelangelo bis hin zur mythologischen Unterstellung einer Seelenwanderung. Die Fülle an Informationen zur Ausbildung des auch wissenschaftlichen "Genies" im Umfeld der spätrenaissancehaften Institutionen wie der "Accademia del Disegno" erinnert zugleich an die hierin sich verkörpernde Tradition des Michelangelo-Schülers Vasari, der am Moment der Zeichnung das Gemeinsame von künstlerischer Praxis und wissenschaftlicher Konzeption wie in einer Vorwegnahme des heutigen Begriffs vom Wissensdesign als "Einsatz des die Natur erforschenden Auges" (S. 327) festmachte. Galilei, so ist zu erfahren, bekennt sich nicht nur ausdrücklich zu diesem Kontext, sondern bezieht in diesem zugleich eine dezidierte Position, die sich offen gegen die dekadenten Tendenzen des Manierismus seiner Zeit ausspricht. Bredekamp beleuchtet diesen Gegensatz plastisch am literarischen Widerwillen Galileis als Bewunderer von Ariost kritischem Purismus gegen die verwilderte Verspieltheit eines Torquato Tasso, bei dem die Bindung von Worten und Sachen eher zufällig erscheint. Galilei versteht sich so als Begründer der modernen Tradition einer an Klarheit und Evidenz orientierten empirischen Wissenschaft. Bredekamp schreibt dazu:

    "Es war dieser Anspruch der Präzision, der die Welt durch geometrisch geschulte Augen aufzuschlüsseln vermochte. Dies war die Lehre von Galileis Studienzeit im Umkreis der Accademia del Disegno, die in der Praxis bewiesen, aber auch erweitert oder gar, wie es Galileis fortifikatorische Kompositbilder bewiesen, konterkariert wurde." (S. 82)

    Neben den zahlreichen, von der immensen Forschungsarbeit des vorliegenden Bandes neu edierten Mondbildern gibt es auch eine Fülle von Abbildungen der gerade erst entdeckten Sonnenflecken. Das Buch gibt alle Bilder in hervorragender Qualität wieder und bietet daher auch einen optischen Genuß. In einem abschließenden Kapitel beleuchtet Bredekamp noch einmal das Verhältnis Galileis zu den befreundeten Künstlern seiner Zeit und zu den Malereitheorien, die ihn beeinflußt haben bis hin zu den frühen Experimenten mit der camera obscura. Diese Darstellung Galileis als Künstlers ist wirklich eine erstaunliche und auch in jeder Hinsicht erbauliche Entdeckung, der man nur viele Leser wünschen kann.

    Horst Bredekamp: Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand. Akademie Verlag Berlin 2007, 517 S., 44.80 Euro