Freitag, 19. April 2024

Archiv


Mit dem Mountainbike zum See

Im Chiemgau führt eine Mountainbike-Tour durch Wald Hochmoor hinauf an den Vrillensee. Idyllische Landschaften. Und das Strampeln auf dem Mountainbike ist gar nicht so leicht.

Von Katharina Hamberger | 05.08.2012
    Ja, meine Kondition ist schlechter, als gedacht. Das habe ich bei meiner Mountainbiketour durchs Chiemgau ganz schnell feststellen müssen. Dabei hatte der Tag so schön gemütlich begonnen – von der anstehenden Anstrengung noch keine Spur.

    Am Vormittag im Café Glusthaferl in Inzell starte ich mein Projekt: Mountainbiken im Chiemgau. Warum in einem Café? Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als ich gesehen habe, dass das der Ausgangspunkt für meine Tour sein wird. Das kleine Café liegt mitten im Ortskern vom oberbayerischen Inzell, das eingerahmt ist von einer wunderschönen Bergwelt. Auch der Name "Glusthaferl" deutet zunächst nicht auf sportliche Aktivität hin. Denn ins Hochdeutsche könnte man das vielleicht mit "Leckermäulchen" übersetzen. Das irritiert nicht nur mich, erzählt Daniela Hackl, eine der beiden Besitzerinnen des Cafés:

    "Ja, am Anfang ist es immer so ein bissel ein Überraschungseffekt. Und wenn sie dann mal bei uns waren, dann sagen eigentlich alle: Ja, eigentlich tolle Idee und es passt ja alles zusammen."

    Was alles ist, das sieht man dann, wenn man sich in dem Café umsieht. Denn vom Gastraum weg geht eine Tür in einen Fitnessraum. Dort bietet die studierte Sportwissenschaftlerin Hackl Yoga- und Spinningkurse. Und auf dem Weg zur Toilette hängt auch ein Schild mit der Aufschrift "Garderobe". Dahinter verbirgt sich die Umkleide für die Mountainbiker – denn für die bieten Hackl und ihre Geschäftspartnerin Petra Kamml geführte Touren in die umliegende Bergwelt an. Und auch am Wandschmuck auf dem Weg zur Umkleide ist zu sehen, dass hier nicht nur gegessen, sondern auch Sport gemacht wird: Überall hängen Autogrammkarten und Poster deutscher Eisschnellläuferinnen. Die haben die Sportlerinnen selbst vorbei gebracht, denn die heutige Köchin im Glusthaferl, Kamml, war 20 Jahre Trainerin bei den Eisschnellläufern, die hier in Inzell trainieren. Heute flitzt Kamml nicht mehr übers Eis, sondern nur noch zwischen Küche und Gastraum hin und her. Und manchmal hat sich auch kurz Zeit zu erzählen, was sie so alles zubereitet.

    "- Petra: "Bei uns gibt's Gutes zu Essen, hausgemachte Rösti, Inzeller Schnitzel und super Steaks."

    - Daniela: "Und hausgemachte Kuchen und Apfelstrudel nicht zu vergessen und alles mit natürlichen Produkten. Also, wir kaufen halt in der Region ein, das ist uns ganz wichtig. Hier vom Metzger vor Ort natürlich, weil das ist der Petra ihr Bruder, das Bier kommt aus Teisendorf, die Eier kommen hier aus der Region, das Mehl."

    - Petra: "Und bei uns wird alles frisch gekocht, da kommt nichts aus der Konservendose, da wird alles á la minute gekocht und mit Produkten aus der Region.""

    Davon gibt es für mich jetzt erst mal nichts, denn zu viel essen vorm Sport ist ja bekanntlich nicht gesund und verursacht nur Seitenstechen. Außerdem wartet schon Klaus Petersik, der Mountainbike-Guide für heute. Der früherer Hubschrauber-Pilot ist 62 Jahre alt, seit einiger Zeit pensioniert und seine durchtrainierten Waden verraten schon: Der fährt gern und viel Fahrrad. Sein eigenes hat der gebürtige Wuppertaler schon mitgebracht. Ein schickes Mountainbike, das er sich zur Pension extra hat anfertigen lassen. Erkennungsmerkmal: Auf dem Rahmen steht "klausbike".

    Mit Daniela Hackl geht Petersik nun in einen Schuppen neben dem Café und holt die Leihräder. Meines ist ein schönes rotes. Und das wird dann auch gleich an meine Größe angepasst und mir erklärt:

    "So, jetzt werden wir erst mal den Sattel einstellen. Der ist schon mal zu niedrig. Einmal mit dem Po nach vorne rutschen. So. Ja, das ist nicht durchgestreckt, sondern angewinkelt. Jetzt fährst du einfach mal. Wir haben hier eine Gripshiftschlatung – auf deutsch, eine Drehschaltung – hier siehst du die Kettenblätter, hier ist der Zweite drin und hinten hast du Eins bis Acht. Und mit dem Zweier kannst du eigentlich die ganze Palette von Eins bis Acht fahren. Fährst einfach mal da rauf und kommst wieder zurück und sagst mir einfach mal, wie der Sattel taugt. Wenn du meinst, es ist zu niedrig, können wirs noch höher machen. Vielleicht noch ein Stückchen niedrig. Ja, ist kein Problem."

    Bevor es dann endlich losgeht, muss ich mich selbst aber noch ein bisschen aufrüsten. Daniela Hackl hilft mir dabei: Sie füllt eine Flasche Wasser für mich auf – dafür werde ich ihr später noch sehr dankbar sein – und sie leiht mir eine Regenhose – denn gerade zieht sich der Himmel zu und ich möchte in den nächsten drei Stunden keinen nassen Hintern bekommen. Dann noch meinen Fahrradhelm auf den Kopf, den Rucksack auf den Rücken und die Turnschuhe angezogen. Guide Petersik verspricht auch: Die Strecke ist für Anfänger gut geeignet.

    " Im Angebot hätte ich heute die Runde durch die Filzen durch, zur Max-Aicher-Arena, dann zum Vrillensee, wo alles begonnen hat mit dem DSC, mit Eisschnelllaufen. Und dann Adelgaß, eventuell Beckeralm, hätte ich insgesamt 50 Kilometer und so roundabout 700 Höhenmeter, also ist nix dramatisch ganz Steiles dabei."

    Also rauf aus Bike und los geht's: Der Weg führt zunächst durch Inzell - vorbei am Ortswappen und raus aus dem kleinen Chiemgauer Ort. Ein Kiesweg führt in eine interessante Landschaft. Links und rechts vom Weg wachsen Sträucher und Gras ganz wild durcheinander. Besonders auffällig: die vielen Birken. Sie stehen kreuz und quer, manche sind umgefallen und liegen inmitten der Sträucher und Farne. Überall sind kleine Bächlein zu sehen. Das Ganze erstreckt sich auf eine weite Fläche, ganz nah sieht man die Berge, die in den Himmel ragen. Petersik bleibt immer wieder stehen und erklärt, was es mit diesem Stückchen Landschaft auf sich hat.

    " Vor 12.000 Jahren hatten wir die Eiszeit, vor 8.000 Jahren die Mammuts und dann hat sich alles zurückentwickelt, die ganzen Gletscher. Und entsprechend hat sich dann dieses Hochmoor hier gebildet. Und auch für die Bevölkerung war das sehr ertragreich. Man hat den Torf genommen als Brennmaterial, man hat Holz geschlagen, hat das Holz genommen, auch zum Verkaufen. Also, man hat regelrecht davon gelebt auch und man hat dann bis 2003 versucht, es trocken zu legen – ich weiß nicht, was sie vorgehabt haben, ob sie es mal als Bauland ausweisen wollten, wenn es trocken ist. Und dann hat man sich "back to the root" erinnert und gesagt, jetzt machen wir die ganzen Entwässerungskanäle, die wir mal gebaut haben, die machen wir jetzt zu und überlassen es sich selbst wieder. Und versuchen es in den nächsten Jahrhunderten wieder so herzustellen, wie es mal gewesen ist. Gut, fahren wir weiter."

    Danach verlassen wir das Hochmoor und kommen kurz auf eine kleine Straße, links und rechts davon weite Felder. Immer wieder dreht sich der Guide um, um zu fragen, ob es mit der Geschwindigkeit in Ordnung ist. Er könnte auch langsamer. Aber noch geht es. Schließlich machen wir auch immer wieder kurze Pausen, um zu erfahren in welcher Gegend wir hier eigentlich unterwegs sind. So halten wir auch an einer unauffälligen Hütte, die aussieht, wie eine Bushaltestelle. Dabei sind hier Überreste eines der wichtigsten Wirtschaftszweige der Region zu sehen: lange, hohle Baumstämme.

    "Man hat ja in Reichenhall das Salz gehabt und wollte das auch nach Traunstein transportieren und dafür hat man diese Leitungen gebaut und die hat man von Hand ausgehöhlt."

    Dann nähern wir uns der ersten richtigen Steigung. Sie verbirgt sich direkt hinter dem ehemaligen Arbeitsplatz der "Glusthaferl"-Köchin Kamml: der neuen Eishalle in Inzell.

    "Da kommen alle zum Trainieren, weil die hier das beste Eis haben, also nicht zu schlecken, sondern um Schlittschuh draufzufahren. Weil sie haben schon ein besonderes Händchen hier, das Eis herzustellen, um auch gewissen Rekorde fahren zu können. Und so hat man sich entsprechend in der Nähe des Zwingsees, der kommt hier rechts, 1963/64 dazu entschieden, eine Eissport-Arena, erstmal eine geöffnete hinzubauen. Und erst in den letzten Jahren komplett renoviert, neugebaut und das ist das Produkt jetzt."

    Die neue Halle ist in einem modernen Architekturstil gebaut. Die Wände sind hauptsächlich aus Glas und als Dach wölben sich zehn weiße Kuppeln in den Inzeller Himmel. So ist die Arena schon von der Straße aus deutlich zu erkennen. Mit 90 mal 200 Meter ist sie fast so groß, wie zwei Fußballfelder. 7000 Menschen finden darin Platz. Wir fahren aber erstmal nur vorbei.

    "So jetzt geht's bergauf, jetzt gehen wir mal aufs kleine Kettenblatt vorne, hinten gehen wir ein bisschen höher rauf. Warte … So jetzt. So und jetzt kannst du nur mit dem rechten ..."

    Das sieht im ersten Moment ja nicht so schlimm aus: Ein schmaler Kiesweg geht nach oben in einen Wald hinein und ist sozusagen der unterste Punkt des Berges. Also erster Gang auf dem vorderen Ketten, unten dritter auf dem hinteren und dann hinaufstrampeln. Dabei immer schön bis in den ganz ersten Gang nach unten schalten. Am Anfang geht's noch gut, dann aber dreht ganz schnell mein Hinterrad durch und das Vorderrad stellt sich auf. Nicht aufstehen, Hintern vorne auf den Sattel, ruft Petersik – aber es hilft nix. Ich muss absteigen und neu ansetzten. Irgendwann bin ich dann auch oben und erst mal außer Atem. Aber es geht gleich weiter und nach einem eher flacheren Stück bergauf, werden die ersten Strapazen auch belohnt.

    Wir lehnen die Räder an einen Baum und steigen über eine schmale Holztreppe auf einen Steg hinunter. Der führt auf einen See hinaus.

    "Das ist der Falkensee, der ist auch sehr schön idyllisch gelegen."

    Und damit hat Klaus Petersik recht. Der Falkensee ist nicht besonders tief, aber das Wasser ist wunderbar klar und er liegt ganz ruhig in verschiedenen Grün- und Blautönen vor uns. An allen Seiten des Sees geht es steile Felswände hinauf.

    "Das sind die Ausläufer vom Falkenstein, der dort recht um die Ecke ist und dann geht's weiter Richtung Zwiesel, Gamsknogel, Stauffen."
    Wir gehen zurück zu den Fahrrädern mit dem Versprechen:

    "Jetzt wird's gleich ein bisschen mountainbikemäßiger. Jetzt starten wir Richtung Vrillensee, so eine Dreiviertelstunde in etwa."

    Wir fahren also wieder zurück durch den Wald. Ein Stückchen bergab und dann wieder ein kleines Stückchen bergauf. Nun zeigt sich auch die Sonne. Links und rechts Wiesen und Berge – es könnte idyllischer nicht sein. An einem einsamen Bauernhof halten wir kurz, ich trinke einen großen Schluck und muss mich nun meines Pullovers entledigen – es ist mir mittlerweile ziemlich warm geworden – und wir haben nun das härteste Stück vor uns. Wieder im Wald geht es auch wieder bergauf. Immer schon zwei Meter vorausschauen und nicht auf den Reifen – so wie ich es gelernt hab – denke ich mir und jetzt weiter nach unten schalten. Schon habe ich mich verschaltet. Statt in den ersten habe ich in den fünften Gang geschaltet und muss wieder absteigen und neu starten. Gar nicht so leicht – am Berg. Aber Klaus Petersik gibt gute Tipps und es klappt wieder. Immer schön vorausschauen. Noch 50 Höhenmeter ruft der Guide von weiter oben. Aber langsam geht mir die Puste aus. Ich muss absteigen. Aber man darf ein Mountainbike auch mal schieben, sagt Petersik. Und ich nehme mir das jetzt zu Herzen. Die letzten Meter fahre ich dann doch wieder. Dann zeigt sich vor uns schon unser Ziel.

    Über einen Holzsteg schieben wir unsere Räder in die Mitte eines ganz klaren Sees, der Vrillensee.

    "In den 50er-Jahren hat sich der deutsche Eissportverband Gedanken darüber gemacht, wo sie demnächst ihre Wettkämpfe austragen könnten. Und da ist man auf die Idee gekommen, weil es hier sehr kalt ist, nordseitig auch, eingebettet vom Gebirge und relativ hoch, 924 Meter hoch, sehr flaches Wasser hat. Ist man auf die Idee gekommen, hier ein Eissportzentrum zu bauen. Und so ist es dann 1959 auch gekommen. Dadurch, dass die Winter immer sehr hart waren hier und immer sehr viel Schnee fiel, musste der natürlich vor den Wettkämpfen von dem See heruntergeschafft werden – alles händisch. Teilweise war es bis zu einem dreiviertel Meter Schnee, gerade auf dieser großen Fläche ist das schon sehr mühsam. Und auch für die Sportler wegen der Temperaturen, 10, 15, 20 Grad minus war das nicht angenehm."

    Heute ist es aber sehr angenehm. Alles ist ganz ruhig – und auch sauber. Denn hier wird extrem darauf geachtet, dass keiner seinen Müll einfach liegen lässt. Auch das Baden ist verboten, um den See nicht zu verunreinigen. Wir schieben die Räder ans Ufer. Dann setzten wir uns auf eine Bank und schauen einfach nur über das Wasser.

    "- "Hast was zum Essen dabei – magst einen Müsliriegel?"
    - "Gerne."
    - "Teilen wir.""

    Nach einer halben Stunde Ruhe geht es dann wieder zu den Rädern. Kurz schlägt Petersik noch eine weitere Tour vor, aber ich muss dankend ablehnen. Ich würde ja gerne – aber meine Kondition sagt: nein, danke.

    Nun den richtigen Gang fürs Bergabfahren eingelegt und runter geht's. Nicht zu schnell, aber mir angenehm kühlenden Fahrtwind geht es durch den Wald auf die Straße und immer schön entlang an einem Gebirgsbach. Bis wir dann wieder am Glusthaferl angekommen sind. Jetzt heißt es ersteinmal saubermachen: zunächst die Räder. Und dann mich selbst – in der Dusche bei den Umkleiden in dem Inzeller Café. Drei Stunden waren wir unterwegs und auch wenn ich so außer Atem bin – es hat riesigen Spaß gemacht – und jetzt freu ich mich auf einen großen Teller Spaghetti.