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"Mit den echten Diplomabschlüssen sind wir viel besser gerüstet"

An einigen deutschen Hochschulen bekommen Master-Ingenieure auch zusätzlich den Diplomgrad ausgestellt. Der Akkreditierungsrat will das unterbinden. Professor Bernhard Kempen, Präsident des Hochschulverbandes, lehnt diesen "überbürokratischen Schreibtischwahnsinn" ab.

Bernhard Kempen im Gespräch mit Manfred Götzke | 14.06.2011
    Manfred Götzke: Manchmal sind Etiketten genau so wichtig wie das, was eigentlich dahintersteckt. Nehmen wir mal das Etikett Diplom - damit versehen einige Universitäten in Deutschland Studiengänge, die eigentlich Masterstudiengänge sind. An der TU München zum Beispiel bekommen Master-Ingenieure auch noch zusätzlich den Diplomgrad ausgestellt, das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat diese Option vor ein paar Monaten sogar ins Hochschulgesetz geschrieben. Hintergrund natürlich die weltweit bekannte Marke: Deutsches Diplom gleich deutsche Markenarbeit. Der Akkreditierungsrat, die Institution, die all die neuen Masterstudiengänge zugelassen hat, hält das ganze allerdings für Etikettenschwindel und will den Studiengängen mit Pseudodiplom die Akkreditierung entziehen. Darüber möchte ich jetzt mit Professor Bernhard Kempen sprechen, er ist Präsident des deutschen Hochschulverbandes. Guten Tag, Herr Kempen!

    Bernhard Kempen: Guten Tag, Herr Götzke!

    Götzke: Herr Kempen, der Beschluss des Akkreditierungsrates ist eindeutig. Was muss jetzt passieren? Muss der wieder eingeführte Diplomgrad abgeschafft werden?

    Kempen: Ich denke, da sollte man jetzt auch die Suppe nicht heißer essen, als sie gekocht wird. Da werden Gespräche geführt werden müssen, denn immerhin gibt es ein Bundesland, das erst vor Kurzem per Gesetz beschlossen hat, dass es auch weiterhin den Ingenieurtitel, den ingenieurwissenschaftlichen Diplomtitel verleihen will. Und das macht dieses Bundesland - es geht um Mecklenburg-Vorpommern - nicht irgendwie aus Widerspenstigkeit oder Uneinsichtigkeit, sondern, weil es ein Einsehen in die Bedürfnisse der Absolventen hat. Es sind die Absolventen, die bei den Hochschulen auf der Schwelle stehen und sagen: Warum gebt ihr uns diese relativ blassen und nichtssagenden Masterabschlüsse, wenn ihr doch auch schöne Diplomabschlüsse geben könntet, wie das ja auch andere Länder in der großen Bologna-Welt tun? Denn mit diesen Abschlüssen, mit den echten Diplomabschlüssen sind wir national und international viel besser gerüstet, das ist aussagekräftiger! Wir werden mit diesem Titel im Wettbewerb besser dastehen!

    Götzke: Aber es sind ja keine echten Diplomabschlüsse, das sagt ja auch der Akkreditierungsrat, der sagt: Man könnte das Diplom ja ruhig wieder einführen, aber dann auch mit dem entsprechenden Studiengang, und nicht mit einem Masterstudiengang dahinter.

    Kempen: Ja, so getrost wieder einführen, da gibt es allerdings wirklich Hemmnisse, weil da die Kultusministerkonferenz ja sagt: Nein, unter Bologna-Bedingungen dürft ihr nicht mehr zurückkehren zu den alten, nichtkonsekutiven Diplomstudiengängen. Das geht nicht. Aber was schon ginge, und was ja nicht nur an der TU München, sondern auch in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern eben praktiziert wird, ist, dass man den Diplomtitel am Ende geben kann, auch wenn das Studium in Wahrheit ein Masterstudium war. Das kann man so definieren, man kann das so praktizieren, und ich denke, wir sollten alles tun, was hier wirklich unseren Absolventen dient. Und ich darf bei der Gelegenheit noch mal sagen: Wenn wir über den Bolognaprozess und seine vielen Facetten reden, dann sollten wir im Auge behalten, dass es eigentlich nur einen einzigen Maßstab gibt für den Erfolg dieser Reform, und das ist, ob es unseren Studierenden und Absolventen besser geht als vorher. Und wenn wir ihnen den Diplomtitel vorenthalten, dann geht es ihnen eben nicht so gut, das muss man einfach mal so sehen! Das hat ja einen Grund, warum die - und nicht nur die studierenden Absolventen, sondern übrigens auch die Ingenieursverbände - ganz lautstark danach rufen, dass bitte der alte Diplomtitel wieder da sein muss.

    Götzke: Was passiert denn, wenn der Rat demnächst tatsächlich Studiengängen die Akkreditierung entzieht, wie letzte Woche angekündigt?

    Kempen: Da passiert gar nicht viel, denn man muss sehen, dass auch heute eine Vielzahl von Studiengängen bisher gar nicht akkreditiert ist, und die laufen trotzdem ganz erfolgreich, und die Absolventen sind trotzdem gute und hoch qualifiziert ausgebildete Studenten - also, da bricht die Welt jetzt auch nicht zusammen -, sondern dadurch, dass in einem Studiengang Studierende immatrikuliert sind und studiert wird und der Studienbetrieb läuft und Prüfungen abgenommen werden, werden auch Fakten geschaffen, und da kann der Akkreditierungsrat noch so laut meckern, letzten Endes wird das nicht viel ändern.

    Götzke: Das heißt, wir brauchen diesen Akkreditierungsrat gar nicht?

    Kempen: Den brauchen wir gar nicht, sondern wir bräuchten stattdessen ein sehr modernes - und zwar auch in der Autonomie der Hochschulen liegendes - Qualitätssicherungssystem, dass nicht potemkinsche Dörfer bestaunt, sondern ganz dicht an den Studiengängen dran ist und dann auch ganz handgreiflich nach Verbesserungen im Studium forscht und diese Verbesserungen sehr schnell einführt. Das brauchen wir, und nicht diesen überbürokratischen Schreibtischwahnsinn, den wir mit den Akkreditierungsagenturen veranstalten.

    Götzke: Klare Worte von Professor Bernhard Kempen, dem Präsidenten des deutschen Hochschulverbandes. Vielen Dank für das Gespräch!

    Kempen: Ich danke Ihnen!