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"Mit der Musik aufhören, das geht gar nicht"

Elvis Costello hat in seiner bisherigen 35-jährigen Musikkarriere mit Stars wie Paul McCartney, Burt Bacharach und Allen Toussaint zusammengearbeitet. Nun war er mit den Hip-Hoppern The Roots im Studio: Das Resultat ist das Album "Wise Up Ghost".

Mit Christian Lehner | 07.10.2013
    Christian Lehner: Hallo Elvis Costello! Danke und willkommen zu diesem Gespräch. Erzählen sie uns doch bitte etwas über ihr neues Album mit The Roots. Wie ist denn das zustande gekommen?

    Elvis Costello: The Roots beherrschen fast alle Genres und sie sind Workaholics. Sie sind auch die Hausband der Late Night Show von Jimmy Fallon auf NBC. Sie spielen dort mit vielen Stargästen zusammen. Vor drei/vier Jahren war ich dran. Ich kannte sie, sie kannten mich, aber wir hatten keine Ahnung, wie sehr wir uns gegenseitig schätzen. Die Typen kannten fast alle meine Platten! Eine Zusammenarbeit war also unausweichlich. Sie warfen den Köder aus, wie sie es formulierten, und ich schnappte einfach zu.

    Lehner: Hatten Sie eine gemeinsame Vision, wie das Album klingen soll? Sie kommen ja eher von der Rockmusik, die Roots vom Funk und Hip-Hop? Gab’s also eine Sound-Idee?

    Costello: Wir sind ohne Konzept und ohne Plattenvertrag ins Studio gegangen. Niemand wusste davon. Der Aufnahmeraum hatte keine Fenster, nicht einmal eine Uhr. Wir wussten also nie, wie spät es ist, hatten aber alle Zeit dieser Welt! Wir haben uns nicht lange mit dem Studioprozedere aufgehalten, sondern legten einfach los. Das funktioniert nur mit klasse Musikern.

    Lehner:"Wise Up Ghost” hat eine ganz eigene Soundästhetik zwischen Rock, Soul und Hip-Hop. Dabei rappen Sie nicht etwa, Sie verwenden vielmehr die Technik des Sampelns. Sie nehmen Textfragmente Ihrer eigenen alten Songs und integrieren sie in die neuen Texte. Warum?

    Costello: Zunächst wollten wir einige meiner alten Stücke neu einspielen. Aber dann hatte ich eine andere Idee: Wir durchforsteten meinen Katalog nach ähnlichen Themen. Ich wollte herausfinden, warum ich bestimmte Dinge gesagt habe. Aus den gesammelten Versen sind Collagen und schließlich völlig neue Songs entstanden.

    Lehner: Was Sie in ihrem alten Material anscheinend gefunden haben, ist sehr dunkel, traurig und teilweise auch zornig. Es sind Textfragmente von Songs aus den 80er-Jahren über Krieg oder persönlichen und politischen Verrat. Wo sehen Sie denn da die Parallelen zur Jetztzeit?

    Costello: Heute wie damals scheint die Welt aus den Fugen geraten. Das Vertrauen der Menschen wird missbraucht. Viele fragwürdige Dinge werden in unserem Namen getan. Man lügt uns ganz offen an. Das sind jetzt keine großen Neuigkeiten, aber ich denke, man muss immer wieder darauf hinweisen, und zwar so lange, bis sich etwas ändert.


    Das Album heißt "Wise Up Ghost", also "Erfrische den Geist" und nicht "Leg dich hin zum Sterben". Es ist vom festen Glauben getragen, dass wir - trotz all der uns umgebenden Spaltung und Manipulation – besser sind, als sich die Welt gerade darstellt. Die größte Gefahr ist meiner Meinung nach die Angst. Sie macht uns offen für Populismus und Fanatismus.

    Lehner: Welche Funktion erfüllt dabei die Musik?

    Costello: Musik spendet Trost. Musik richtet auf. Das ist wörtlich zu verstehen, denn Musik erhöht die Herzschlagfrequenz. Wenn du es zulässt, kann sie dich auf andere Gedanken bringen. Bei mir funktioniert das sehr gut mit Instrumentalmusik. Es mag anmaßend klingen, aber Musik spricht zu deiner Seele. Daran haben die Menschen eigentlich schon immer geglaubt.

    Lehner: Herr Costello, ist der Albumtitel "Wise Up Ghost" selbstreferenziell? Wollen Sie sich damit auch selbst Mut zusprechen?

    Costello: Ursprünglich sollte das Album nicht von mir handeln. Aber das Leben hatte anderes vor. Mein Vater ist gestorben. Der Verlust eines Elternteils ist für jeden Menschen eine schwerwiegende Sache. Plötzlich standen neben den Themen aus den Nachrichten und der Politik persönliche und private Gedanken zum Tod. Ich habe diese Verse dann in bereits bestehende Texte integriert und sie ein wenig umgeschrieben. Ich kannte meine musikalischen Partner natürlich nicht so gut. Aber ohne gegenseitiges Vertrauen wäre das gar nicht möglich gewesen.

    Lehner: Ich kenne kaum einen zweiten Rockmusiker, der so viel mit anderen Musikern zusammenarbeitet wie Sie. Was motiviert Sie denn da eigentlich?

    Costello: Ich bin neugierig! Wenn ich die Gelegenheit habe, mit Paul McCartney oder Burt Bacharach zusammenzuarbeiten, sage ich sicher nicht Nein. Das sind Menschen, deren Musik ich ein Leben lang bewundert habe. Das ist immer bereichernd. Ich spreche hier nicht von Geld, sondern von Erfahrung. Und vielleicht kommt etwas Wunderbares dabei raus. Ich kann noch immer kaum glauben, dass ich mit den beiden insgesamt jeweils zwölf Songs aufgenommen habe!

    Lehner: Als sie in den 70er-Jahren angefangen haben, da haben Sie sich als eine Art Rock 'n' Roll Clown dargestellt. Zu große Brillen, schlecht sitzende Anzüge, erratische Bühnenshows. Heute würde man Sie wohl als Rock 'n' Roll Geek bezeichnen.

    Costello: Man muss damit arbeiten, was einem die Natur mitgegeben hat. Bevor ich es mit der Musik probierte, habe ich in einem Büro gearbeitet. Brillen trage ich seit meinem 17. Lebensjahr. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, wenn man in einer Rock’n’Roll-Band spielen will. Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als diesen langweiligen Look etwas schriller zu gestalten und zu meinem Markenzeichen zu machen. Zuerst war da bloß ich, dann wurde es zum Image, mit dem es sich mittlerweile hervorragen spielen lässt.

    Lehner: Sie haben so ziemlich alle Musiken gespielt, die es gibt und Sie haben mit sehr vielen namhaften Musikern zusammengearbeitet. Haben Sie denn nie Lust, einfach aufzuhören und in Rente zu gehen?

    Costello: Nein, mit der Musik aufhören, das geht gar nicht. Aber natürlich kann die Welt entscheiden, dass es keinen Platz mehr für dich gibt und dass du nicht mehr von deiner Musik leben kannst. Und ja, ich habe die letzten paar Jahre öfter daran gedacht, mit dem Veröffentlichen neuer Musik aufzuhören. Es ist anstrengend und verschlingt so viel Zeit. Ich habe ja auch eine Verantwortung mir gegenüber und gegenüber meiner Familie. Ich spielte also mit dem Gedanken, etwas kürzer zu treten und ab und zu Konzerte mit meinem bestehenden Repertoire zu bestreiten. Aber dann kommt eine Band wie The Roots daher und schon sitze ich wieder in einem Aufnahmestudio!
    Aber es ist gut zu wissen, dass man kein Anrecht auf diese Dinge hat. Nur weil man eine gute Platte gemacht hat, heißt das noch lange nicht, dass man zwölf gute machen kann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.