Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Mit der verbalen Keule

In diesem Bundestagswahlkampf ist nicht viel von einer zugespitzten inhaltlichen Auseinandersetzung oder von Aufsehen erregenden verbalen Kraftakten zu merken. Doch wie steht es um die politische Streitkultur in Deutschland?

Von Norbert Seitz | 13.09.2009
    Stegner: "Sie gefährden den Gestaltungsanspruch dieser Regierung, ja mehr noch, sie machen das Regieren unberechenbar."

    Carstensen: "Ihrer Restregierung, Herr Ministerpräsident, fehlt die Kompetenz und der Anstand. Sie sind vollständig gescheitert. Der gerade Weg wäre Ihr Rücktritt gewesen, aber dazu Herr Ministerpräsident, hat Ihnen leider das Formalt gefehlt."

    Als der Kieler Landtag im August aufgelöst wurde, war nach solchen Tönen von einer drohenden Zerrüttung der Streitkultur die Rede. Das kann ja heiter werden, dachten viele besorgt mit Blick auf den bevorstehenden Bundestagswahlkampf. Der polemische Superlativ wurde erwartet, im politischen Geschäft auch "Schlammschlacht" genannt.

    Doch weit gefehlt: Was die Bürger in den Wochen danach erleben mussten, glich bis zur Dreierwahl in Sachsen, Thüringen und im Saarland eher der Verhinderung eines Wahlkampfs. Weder konnte von einer zugespitzten inhaltlichen Auseinandersetzung noch von Aufsehen erregenden verbalen Kraftakten die Rede sein.

    Der Freiburger Sprachforscher Hans-Martin Gauger beobachtet seit Jahrzehnten die Entwicklung der Sprache in der Politik. Er kommt dabei zu einem eher ernüchternden Befund.

    Gauger: "Das Niveau ist gesunken nach meiner Meinung, ganz klar. Wir Alten haben ja das Gefühl, alles sei früher besser gewesen, aber ich glaube, was die Rhetorik angeht, die politische Rhetorik, übrigens nicht nur die politische, war es früher sicher besser. Und zweitens haben wir uns eine gewisse Zimperlichkeit angewöhnt."

    Die Streitkultur scheint von der Politischen Korrektheit gefangen genommen worden zu sein. Die Harmoniesucht hat sich offenbar gegen den Polarisierungszwang durchgesetzt.

    Gauger: "Der Konsens ist an sich immer eine gewisse Gefahr, würde ich sogar sagen, in unserem Land gewesen. Und das ist jetzt im Augenblick besonders ausgeprägt."

    Sind die Bürger in ökonomisch schwierigen, gar Existenz bedrohenden Zeiten für eine deutliche Aussprache weniger empfänglich als früher? Oder trifft eher das Gegenteil zu, dass sie sich durch überzogene Polemik und wilde Versprechen nicht ernst genommen fühlen?

    Mitverursacherin einer nur mäßig aufkommenden Wahlkampfstimmung ist die Kanzlerin höchstpersönlich. Ihre Kritiker monieren: Angela Merkel tauche weg, lulle ein, sei feige, eine Art Teflon-Kanzlerin, bei der nichts anbrenne und die im Schlafwagen das Kanzleramt verteidigen wolle.

    Merkel: "Ich will ausdrücklich sagen, ich werde nicht in Lagern denken sondern um die Menschen werben."

    Kritiker weisen darauf hin, dass Angela Merkel mit ihrem Polarisierungsverzicht gleichsam aus der Not, ohnehin keine gute Wahlkämpferin zu sein, eine populistische Tugend mache, die der Politikverdrossenheit und der ausgeprägten Konsenssehnsucht im Volk Tribut zolle.

    Offenbar trifft sie mit ihrer Wahlkampf-Abgeneigtheit ein derzeit herrschendes Bedürfnis in der von Polemik nur genervten Bevölkerung. Die Furcht in ihrer Partei, ihre laue Kampagne mobilisiere zu wenig, ist nicht ganz unbegründet.

    Als abschreckendes Beispiel sei an Österreich 2006 erinnert, wo ein hochfavorisierter und siegesgewisser Kanzler Schüssel die Nationalratswahl verlor, weil er nur freundlich winkend und ohne größeren rednerischen Aufwand durch die Alpenlande gezogen war. Konservative Stammwähler in Tirol oder Oberösterreich fühlten sich nicht zum Urnengang motiviert.

    Natürlich gibt es auch wohltönende Elogen auf Merkels gedämpften Wahlkampf. So kommentierte eine Berliner Tageszeitung:

    Zitat "Berliner Zeitung":
    "Die Macht, die schweigt, ist die Macht, der man vertraut; die Macht, der man vertraut, ist die Macht, der man sich anvertraut."

    Für Politikwissenschaftler hängt der hiesige Wahlkampfverdruss auch mit einem tiefsitzenden Problem zusammen – dem in Deutschland weit verbreiteten Drang zur politischen "Mitte". Sie gilt als Symbol für den Ausgleich von sozialen und politischen Gegensätzen.

    Die Politologin Chantal Mouffe argumentiert vehement gegen die allzu optimistische Diagnose derer, die ein Ende aller widerstreitenden Ideologien behaupten. Demokratie baue ihrer Natur nach stets auf Polarisierung und kollektive Identifikation. Die Abwesenheit des Streits stellt danach nicht einen besonderen Reifegrad, sondern im Gegenteil ein Defizit an Demokratie dar.

    Chantal Mouffe: "Die Besonderheit der modernen Demokratie liegt in der Anerkennung und Legitimierung des Konflikts und in der Weigerung, ihn durch Auferlegung einer autoritären Ordnung zu unterdrücken … Daher sollten wir uns vor der heutigen Tendenz hüten, eine Politik des Konsenses zu glorifizieren, die sich rühmt, die angeblich altmodische Politik der Gegnerschaft von rechts und links ersetzt zu haben."

    Sehnsüchte nach einer rundum befriedeten Welt gab es vor allem nach dem Triumph des Westens über den Sowjetkommunismus zuhauf. Für Chantal Mouffe eine Illusion, denn sie verleugne die von Grund auf antagonistische Struktur alles Politischen und die Interessengegensätze, die ihr innewohnen. Dem weit verbreiteten Harmonieverlangen gegenüber plädiert sie…

    Chantal Mouffe: " … für die "Schaffung einer lebendigen >antagonistischen < Sphäre des öffentlichen Wettstreits…, "in der verschiedene hegemoniale politische Projekte miteinander konfrontiert werden könnten."

    In den legendären 50er Jahren, als die Grundentscheidungen der deutschen Politik – die soziale Marktwirtschaft, Westbindung und Gründung der Bundeswehr - anstanden, ging es häufig viel polemischer zu.
    Dies gilt ebenso für die 70er Jahre, nach der Studentenrevolte, im Kampf für Reformen und um eine neue Ostpolitik. Auch wenn zur onkelhaften Glorifizierung der "guten alten Zeit" im Bundestag wie in Wahlkämpfen keine Veranlassung besteht, so wird dieser Tage gern an die Streitkultur der sprachgewaltigen Urgesteine aus grauen Bonner Vorzeiten erinnert.

    Für den prominenten Ersteintrag in die Polemikgeschichte der gerade gegründeten Bundesrepublik sollte seinerzeit der der SPD-Vorsitzende, Kurt Schumacher mit der Verunglimpfung seines Widersachers Konrad Adenauer sorgen:

    Schumacher: "Der Bundeskanzler dar Alliierten."

    Eine üble Denunziation, gewiss! Dennoch gilt für Historiker als ausgemacht, dass auch solch ausufernder Streit sein Positives hatte bei der Konstituierung demokratischer Verhältnisse im geistig noch weitgehend verwüsteten Nachkriegsdeutschland. Schumacher-Biograf Peter Merseburger hat das bissige Verhältnis der beiden ehernen Rivalen einmal als aufbauend beschrieben:

    Zitat Merseburger: "Es waren Adenauers und Schumachers Feindschaft gegen ein Große Koalition, ihre Furcht vor dem Gespenst von Weimar, die beide zu der Überzeugung brachten, die neugeborene Republik brauche glasklare Fronten im Parlament. Wenn die zunächst ungewohnte, ja anfangs ungeliebte Demokratie langsam im Volke Wurzeln schlug, so hat dies viel mit jener glasklaren Scheidung zu tun, auf die sich beide 1949 verständigt haben."

    Auch ein Fließbandpolemiker wie Herbert Wehner wäre heute im Alten Reichstag kaum noch vorstellbar. Die notorischen Zwischenrufer aus dem derzeitigen Bundestag sind dagegen eher wichtigtuerische Hinterbänkler.

    Wehner: "Herr Kollege, was haben Sie eben wieder für ein Zuruf gemacht?"

    Barzel: "Herr Abgeordneter Wehner, ich rüge den Ausdruck Schleimer."

    Auch Joschka Fischer, in der rhetorischen Raufschule von Alt- Achtundsechzig groß geworden, war zu Beginn seines Parlamentarierdaseins an verbalradikaler Streitlust kaum zu bändigen.

    Stücklen: "Herr Abgeordneter Fischer, ich rufe Sie zur Ordnung, Herr Abgeordneter Fischer, ich rufe Sie zum zweiten mal zur Ordnung, Herr Abgeordneter Fischer, ich schließe Sie aus der Teilnahme der weiteren Sitzung aus." (1984)

    Daraufhin machte jener Zuruf des Ausgeschlossenen beim Verlassen des Plenums biografisch Karriere:

    Joschka Fischer: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!"

    Stilist Klaus Bölling kommentierte damals, die These sei gewagt, das Politiker nicht deshalb schlechter Manieren geziehen werden sollten, weil sie sich an den großen Reformator anlehnen, dem Volk aufs Maul zu schauen und dosiert versteht sich, auch verbaler Grobheiten äußern. Den ratlosen Wahlkämpfern der SPD indes scheint in diesen Tagen kein Wirkungstreffer beim Gegner zu glücken. Die Dienstwagen-Affäre von Gesundheitsministerin Schmidt haftete an ihr wie Unrat an den Schuhen. Wegen des bis heute fehlenden Krisenbewusstseins in der Bevölkerung verpuffte auch der Effekt von Tatkraft und Verantwortung, der von Frank-Walter Steinmeiers "Deutschland-Plan" ausgehen sollte. Doch Kritik an seiner mangelnden Angriffslust verbat er sich:

    Steinmeier: ""Angreifen darf man. Aber die Tonlage eines kleinen Hundes, der einem an die Beinkleider geht, kommt bei vielen Wählerinnen und Wählern nicht an."

    Als man sich dann darauf besann, härtere Bandagen anzulegen, löste bereits die schnoddrige Polemik von Parteichef Müntefering, Angela Merkel seien Arbeitslose im Grunde gleichgültig, eine Welle an künstlichem Echauffement aus.

    Gauger: "Wenn man es technisch sieht, was soll er machen, er hat ja das Problem, Leute zum Wählen zu bringen und dies hat er halt mit diesem Mittel versucht, indem er sagt, die Kanzlerin interessiert sich überhaupt nicht für die Arbeitslosen."

    Was also rät unser Sprachforscher der SPD für die Schlussphase im Kampf gegen die fast unangreifbar gewordene Kanzlerin?

    Gauger: "Sie muss nicht säuseln, sie muss aggressiv sein, dass ist ihre eigene Rettung, man muss Möglichkeiten finden, zuzuspitzen, aufzeigen, worum es geht und da haben nun alle Parteien Schwierigkeiten und die liegen wahrscheinlich in der Situation."

    Zuspitzung ist in jedem Fall notwendig. Worin liegt ihre Kunst? Was muss dabei als Erfolgskriterium beachtet werden? Wo sind die Grenzen zu ziehen? Der frühere Vordenker der SPD, Peter Glotz, hat das Prinzip Zuspitzung einmal zu definieren versucht:

    Peter Glotz: "Zuspitzung (…) heißt (…) nicht Hetze und blinde Konfliktverschärfung, sondern meint die Klärung der Gegensätze, auch die Mobilisierung von verborgenen und verschütteten Wünschen und Bedürfnissen. Politik nicht als Sachgebiet, sondern als Produktionsprozess: Man kann "politischen Rohstoff" bearbeiten, freisetzen und aufschlüsseln. Die Frage lautet: Wie bringst Du es auf den Punkt? Politischer Stoff entsteht sicher auch aus der Tatsache der Freundschaft und Solidarität.
    Aber man muss die grundlegenden Alternativen herausarbeiten."

    Berühmt-berüchtigte Beispiele der Zuspitzung kennt die bundesdeutsche Wahlkampfgeschichte genug: Bei der Union die antikommunistischen Wahlkampfkeulen – von Adenauers "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau" über die Totschlagparole "Freiheit statt Sozialismus" aus den 70er Jahren bis zu Peter Hintzes "Rote-Socken"- Campagne nach der Deutschen Einheit.

    In der Auseinandersetzung zwischen Kanzler Helmut Schmidt und Herausforderer Franz Josef Strauß ging es 1980 sogar um nichts weniger als um Krieg oder Frieden.

    Schmidt: "Ich will Ihnen und seiner ganzen Partei wirklich nicht absprechen, dass sie den Willen zum Frieden haben, aber ich muss sagen, die Fähigkeit zur guten Nachbarschaft, die Fähigkeit, sich zu vertragen, dies alles ist bei jenen Herren nur äußerst mangelhaft entwickelt. Die Fähigkeit zum Frieden, die reicht nicht aus."

    Strauß: "Helmut Schmidt hat vieles getan, um den Schatten Moskaus über Europa länger zu machen und seine verhängnisvolle Aussage, dass wir am Abgrund eines Krieges stünden zeugt ebenso von seiner totalen Unkenntnis der politischen Lage wie von der Unkontrolliertheit seiner politischen Methoden."

    Starker Tobak fürwahr, um vor den Wählern vergessen zu machen, das die beiden Heroen trotz aller Klischees sich im Grunde ihrer Seele nicht ganz unähnlich waren und politisch auch nicht so meilenweit entfernt auseinander lagen, wie sie den Wähler gerne glauben machen wollten.

    Wo aber liegen die Grenzen zwischen plakativer Zuspitzung und erlaubter Vereinfachung zum einen sowie billiger Polemik oder Demagogie zum anderen?

    Im Bundestagswahlkampf 2005 lieferte Kanzler Gerhard Schröder zwei Beispiele des Übergangs von einer zwar grenzwertigen aber erfolgreichen zu einer absolut kontraproduktiven Zuspitzung.

    Da war zunächst die Attacke gegen Professor Paul Kirchhof, den politischen Quereinsteiger in Merkels Schattenkabinett. Hierbei bediente sich Schröder während seiner Aufholjagd eines anti-akademischen Ressentiments, um den Steuersenkungsexperten zum ebenso fremden wie ahnungslosen Mysterium zu stempeln.

    Schröder: "Jener Professor aus Heidelberg, der hat mit der Lebenswirklichkeit der Mehrheit unserer Menschen nichts zu tun, und weil die jetzige Opposition ihn unterstützt, muss sie, soll sie Opposition bleiben. Meine Damen und Herren, das ist die logische Konsequenz."

    Am Wahlabend jedoch schlug Schröders Polemik ins selbstzerstörerische Gegenteil um. Angestachelt von der Euphorie über immer günstiger werdende Hochrechnungen und gereizt von respektlos empfundenen Fragen des Moderators, überzog der leidenschaftliche Streiter beträchtlich sein polemisches Soll.

    Schröder: "Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, in dem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Ich meine, wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen."

    Selten war die Meinung über die Entgleisung eines Kanzlers so einhellig wie nach diesem Auftritt. Die Auguren waren sich hinterher einig, dass der nur knapp Unterlegene damit seiner angeschlagenen Herausforderin das politische Überleben und damit auch die Kanzlerschaft rettete.

    Denn nach einer solch unfairen Attacke war Solidarität auf Unionsseite die logische Konsequenz.

    Dagegen entfaltete der Bundestagswahlkampf bislang nur ein laues Lüftchen. Der hohe Prozentsatz an unentschiedenen Wählern ist aber damit sicher nicht zur Wahlurne zu bewegen. So lassen die großen Aufreger noch auf sich warten.

    Hans-Martin Gauger, unser Nestor der deutschen Sprachforschung, gibt der verschlafenen Politikerkaste ein paar Regeln an die Hand, wie eine streitbare Rede im Wahlkampf auszusehen hätte.

    Gauger: "Die Redner sollten vor allem lebendig sein, sie sollten reden, wie sie reden, normalerweise nicht wie geschrieben wird und sie sollten vor allem adressatenbezogen reden, also sich einstellen auf das jeweilig Publikum."

    Darüber hinaus sollte die gebotene Ernsthaftigkeit nicht in Bierernst umschlagen. Unterhaltsam und witzig sollte eine Wahlrede schon sein und dies nicht nur auf Kosten des politischen Gegners.

    Gauger: "Den Humor sollte man nicht vergessen, er putz ganz ungemein."

    Eine weitere Regel bezieht sich auf die Pflege der Sprechkultur und die Notwendigkeit des Schauspielerischen – gerade in Zeiten der totalen Medialisierung von Politik. Zu einer guten Performance gehört vor allem die Beherrschung der Stimmlagen.

    Gauger: "Ich halte für sehr wichtig die Variabilität, also dass man im Ton abwechselt. Die meisten haben nur einen Ton drauf, das gilt fast für alle, das gilt für Steinmeier, das gilt für Westerwelle as gilt auch für die Kanzlerin."

    Wichtig ist auch ein Hauch von Selbstkritik. Wer zu perfekt wirkt, keine Schwäche zulässt, kommt nicht gut rüber. Der Politiker als Besserwisser und Datenhengst gibt eher eine vermeidbare Figur ab. Dazu Gaugers Regel:

    Gauger: "Man soll Unsicherheiten nicht verschweigen, ich glaube das käme ganz gut an, wenn die Politiker manchmal sagen, dass weiß ich nicht genau."

    Dass Gaugers informelles Regelwerk nicht päpstlich sein will, sondern auch technische Kniffe durchaus mit einschließt, beweist die folgende Regel:

    Gauger: "Man muss das selbe sehr oft sagen. Du musst es dreimal sagen, heißt es im Faust, aber dreimal reicht noch gar nicht."

    Und wenn es noch eines Vergleichs bedurft hätte. Die aktuellen Anwürfe der Sozialdemokraten gegen den nobilitierten Alpen-Messias der Wirtschaftspolitik, Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg, muten geradewegs wie seichtes Geplätscher an gegen jene scharfzüngige Polemik, die der junge SPD- Bundestagsabgeordnete namens Helmut Schmidt-Hamburg vor genau 50 Jahren dem Großvater des heutigen Wirtschaftsministers im 3. Deutschen Bundestag zuteil werden ließ. Man beachte dabei eine parlamentarische Rarität: Polemik mit Ansage!

    Diese wirkte wie die letzte revolutionäre Zuckung der deutschen Sozialdemokratie knapp eine Woche vor Verabschiedung des Godesberger Programms.
    Helmut Schmidt (1959): "Hören Sie mir doch mal zu, ich bin ja noch gar nicht polemisch, das kommt noch verehrter Freund. Es fällt schwer, nicht zu beklagen, dass die Deutschen niemals eine Revolution zustande gebracht haben, die dieser Art von Großgrundbesitzern die materielle …"

    Der Rückblick mag zeigen, wie sehr die politische Klasse von heute Risiken scheut oder nicht in der Lage ist, eine deutlichere Sprache zu führen und handfeste Probleme und Zukunftssorgen anzusprechen.

    Dies mag mit der geringeren intellektuellen und politischen Qualität des Spitzenpersonals zusammenhängen. Man sollte aber nicht marottenhaft alles auf die Politiker schieben. Denn wir haben es mit hochkomplexen globalen Problemlagen in Wirtschaft und Gesellschaft zu tun, die nur schwer analysierbar sind und deren Prognosen raschen Verfallsdaten unterliegen.

    Und vergessen wir nicht den Souverän, die Wählerschaft, die sich mit der unübersichtlichen Situation arrangiert zu haben scheint und in angespannter Erwartung nach vorn blickt. Unter solchen Auspizien treibt eine Kultur des Streitens kaum eine Stilblüte mehr.