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Mit dualer Berufsbildung gegen Jugendarbeitslosigkeit

Jeder vierte Jugendliche in Polen ist arbeitslos, viele suchen bis zu zwei Jahre nach Lehrende nach einem Job. Die Einführung der praxisorientierten Ausbildung, dem sogenannten Dualen System, soll nun helfen, die polnische Jugendarbeitslosigkeit zu senken.

Von Sabine Adler | 05.04.2013
    Polens Bildungspolitiker, Arbeitsmarktexperten und Vertreter von Handwerk und Industrie sind sich einig: Die Berufsausbildung muss aufpoliert werden, darf nicht länger das Stiefkind bleiben. Ingenieure, Betriebswirte, Ökologen sind als Ausbilder gefragt, denn die Lehrer, die heute unterrichten, kennen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr den neuesten Stand der Technik.

    Polens Wirtschaft konnte die Krise kaum etwas anhaben, das Wachstum liegt stetig im Plus. Trotzdem steigt die Arbeitslosigkeit. 15 Prozent sind es derzeit, unter Jugendlichen findet jeder vierte keine Stelle. Zwei Millionen Polen, die im Ausland arbeiten, gar nicht mitgerechnet.

    Für den Arbeitsmarktexperten Mieczyslaw Kabaj ist das polnische Berufsbildungssystem schuld daran, dass junge Leute nach der Ausbildung so schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben:

    "Wenn wir ein duales Bildungssystem hätten wie in Deutschland, wäre die Arbeitslosenrate in Polen nur halb so hoch. Grund für die Jugendarbeitslosigkeit ist das schlechte Bildungssystem, die schlechte Ausstattung der Schulwerkstätten und Berufsbildungszentren, das fehlende Geld für deren Modernisierung."

    Benötigt würden zehn bis 15 Millionen Zloty, rund zwei bis drei Millionen Euro. Unternehmer müssen mit in Ausbildung investieren, die gesamte Gesellschaft sei gefordert.

    Die Lehre nach der Schule, die vor allem in Handwerksbetrieben stattfindet, hat in Polen ein schlechtes Image, außerdem werden nur 15 Prozent der Berufsschüler später übernommen.

    Nicht einmal Abiturienten sind bei den Unternehmern gern gesehen. Karol Pufal von der Handwerkskammer der westlichen Region Großpolen erklärt, woran es bei den Gymnasiasten hapert:

    "Sie sind weder für eine Lehre noch für eine Tätigkeit in einem Handwerksbetrieb vorbereitet. Ihnen mangelt es an Disziplin, sie wissen nicht, was sie werden wollen, haben keine handwerklichen Fertigkeiten, weil zu wenige Stunden für praktisches Arbeiten verwendet werden."

    Während deutsche Jugendliche nach der Ausbildung zwei, drei Monate bräuchten, um einen Arbeitsplatz zu finden, dauere das in Polen bis zu zwei Jahre.

    Von dem dualen Berufsbildungssystem wie in Deutschland, wo Betriebe den praktischen, Berufsschulen den theoretischen Teil der Ausbildung parallel absichern, versprechen sich die Polen Rettung. Die Einführung der praxisnahen Lehre funktioniert allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen, warnt der Arbeitsmarktexperte Kabaj:

    "Die Schüler müssen motiviert werden. Ein Berufsschüler bekommt heut 140 Zloty, das sind 35 Euro im Monat. Sein deutscher Altersgefährte erhält 14 Prozent des Lohns, was von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich sein kann, aber deutlich mehr ist. Die Arbeitgeber müssen die Ausbildung finanzieren, wie das in einigen EU-Ländern bereits geschieht. Die Regionalverwaltungen sollten den Berufsschulen eine Perspektive geben, auch wenn sie teuer sind. Das Bildungsministerium muss ein Programm erarbeiten für die Einführung des Dualen Systems."

    Außerdem fehlt eine Berufsberatung. Wer mit 16 Jahren von der Schule geht, hat in aller Regel noch keinen gefestigten Berufswunsch, braucht Orientierungshilfe. Wie ausbaufähig das polnische Berufsschulsystem ist, zeigen die - nach Meinung der Unternehmer - schlecht ausgebildeten Absolventen auf der einen Seite, die leeren Stellen auf der anderen. Maria Montowska von der deutsch-polnischen Industrie- und Handelskammer:

    "Wenn wir die Arbeitslosigkeit beklagen, möchte ich doch zugleich daran erinnern, dass wir heute in Polen 600.000 unbesetzte Stellen haben, für die die Arbeitgeber keine geeigneten Fachkräfte finden."

    Als vor 20 Jahren die Mathematikstunden an den Gymnasien reduziert wurden, ließ das Interesse an den Technik- und Naturwissenschaften spürbar nach. Folglich fehlen heute 60 bis 100 000 Ingenieure.