Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Mit Einsparungen und Leistungsreduzierungen reagieren"

Der Deutsche Städtetag erwartet wegen der Folgen der Wirtschaftskrise weitere harte Einschnitte bei den Kommunen. So müssten Investitionen in die Infrastruktur deutlich zurückgefahren werden, sagte das geschäftsführende Präsidiumsmitglied des Städtetages, Stephan Articus. Deutliche Gebührenerhöhungen lehnte er jedoch ab.

Stephan Articus im Gespräch mit Jasper Barenberg | 13.01.2010
    Jasper Barenberg: Vor dem endgültigen Kollaps warnen die einen; nach einem Rettungsschirm nach Art der Bankenhilfe rufen die anderen. Scheinbar alle Bürgermeister landauf, landab aber scheint in diesen Tagen eines zu einen: der Alarmruf, dass die Folgen der Wirtschaftskrise die Städte und Gemeinden finanziell austrocknen, ja in den Ruin treiben und dass die Politik der Bundesregierung diese schwierige Lage noch weiter verschärft.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Stephan Articus, den Geschäftsführer des Deutschen Städtetages. Einen schönen guten Morgen, Herr Articus.

    Stephan Articus: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Einige Beispiele haben wir gerade erwähnt. Müssen wir uns insgesamt in Deutschland auf ein Jahr harter Einschnitte einstellen?

    Articus: Davon gehen wir auf jeden Fall, was die Kommunen anbetrifft, aus. Die Steuern sind infolge der Wirtschafts- und der Finanzkrise stark zurückgegangen, was die Kommunen betrifft etwa sieben Milliarden allein im letzten Jahr. Das wird weiter so gehen. Die Sozialausgaben wachsen. Das heißt, wir können gar nicht anders, als mit Einsparungen und Leistungsreduzierungen reagieren.

    Barenberg: Auf welchen Feldern vor allem wird das geschehen?

    Articus: Man wird das in den Gebieten machen, in denen man gesetzlich nicht gebunden ist. Man kann beispielsweise nicht die sozialen Leistungen – das will auch niemand – kürzen. Man kann nicht die anderen Verpflichtungen etwa in der Betreuung für Kinder und der Hilfe für Jugendliche kürzen. So wird man in die Felder gehen, die gesetzlich nicht normiert sind. Das sind beispielsweise die Investitionen in die Infrastrukturen, in die Straßen, in die Gebäude. Gebäudeinstandhaltung wird weiter leiden, was man ja in den Städten mittlerweile schon an vielen Stellen sieht. Man wird aber auch weiter versuchen, die Personalkosten zu begrenzen durch Überprüfung des Stellenbestandes, wo immer das geht.

    Barenberg: Bedeutet das auch, Herr Articus, dass die Städte und Gemeinden insofern mit voller Absicht die Steuererleichterungspolitik der Bundesregierung über Gebühren wieder einsammeln wollen?

    Articus: Das ist ja eine Behauptung, die im Moment so ein bisschen durch die Medien geht, aber das geht vom Grundsatz her nicht. Da stimmen die Relationen nicht. Die Gebühren werden ja in verschiedenen Bereichen erhoben. Beispielsweise bei der Müllabfuhr, oder bei der Abwasserreinigung haben wir kostendeckende Gebühren. Aber in vielen Bereichen, die sozialpolitisch gesteuert sind, oder die auf Integration ausgelegt sind, werden die Städte wie in der Vergangenheit niemals kostendeckende Gebühren erheben. Das gilt beispielsweise für die Kindergärten, oder für Einrichtungen der Jugendhilfe.

    Verboten ist es den Kommunen, mit Gebühren Gewinne zu machen. Sie dürfen allenfalls bei Gebühren das erheben, was sie an Kosten haben, was sie in den meisten Fällen wie gesagt nicht tun. Deswegen über die Gebühren zu glauben, die Haushalte sanieren zu können, ist ein völlig falscher Ansatz. Deswegen wird das auch nicht geschehen. Dennoch gibt es in vielen Städten – Sie haben ja Beispiele genannt – moderate Gebührenerhöhungen.

    Barenberg: Ich will noch ein weiteres Beispiel hinzufügen aus der Stadt, in der ich lebe, nämlich Köln. Da gibt es jetzt den Beschluss, eine sogenannte Kulturförderabgabe einzuführen, manche sagen dazu Bettensteuer, eine Möglichkeit, die Beschlüsse des Bundes wieder einzusammeln, zurückzudrehen, denn genau die Hoteliers, die entlastet werden durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, müssen jetzt die Hälfte dessen, was da an Geldern erwirtschaftet wird, wieder einsammeln.

    Articus: Ja. Das ist natürlich eine Reaktion darauf, dass der Bund mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Steuersenkungen beschlossen hat, ohne die Refinanzierung der Steuerverluste, die daraus entstehen, mit zu bedenken und mit zu berücksichtigen.

    Barenberg: Also der Bund denkt nicht über die Folgen der eigenen Gesetzgebung nach? Das ist Ihr Vorwurf?

    Articus: Ja, das kann man schon so sagen. Die Verluste in den Steuereinnahmen durch dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz für die Kommunen liegen bei mehr als 1,5, 1,6 Milliarden Euro, und wenn man sich nicht darum kümmert, woher denn dann diese Verluste ausgeglichen werden sollen, dann kommt es zu solchen Reaktionen wie hier in Köln.

    Barenberg: Die Absicht der Bundesregierung, Herr Articus, ist es ja, die Wirtschaft anzukurbeln und dadurch gerade die Steuereinnahmen langfristig wieder zu erhöhen, wovon dann auch die Städte wieder profitieren würden. Warum geht diese Rechnung aus Ihrer Sicht nicht auf?

    Articus: Sagen wir mal, der Versuch, der Ansatz, die Aufmerksamkeit darauf, dass der Staat seine Steuern, mit denen er die Einkommen der Menschen und die Wirtschaftserfolge der Unternehmen begrenzt, der ist ja grundsätzlich richtig. Aber ob man das ausgerechnet in einer Zeit tun muss, wo die öffentliche Hand infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise wirklich mit zwei- und dreistelligen Milliardenbeträgen belastet ist, die so groß sind, dass viele Bürger schon gar nicht mehr verstehen, wie das überhaupt noch geht - ich finde, diese Frage kann schon gestellt werden.

    Barenberg: Nun zeichnet sich die finanzielle Misere in den Städten, in den Gemeinden ja nicht erst seit gestern ab. Die Finanzkrise, die Wirtschaftskrise ist gewissermaßen noch erschwerend hinzugekommen. Ist der Bund, sind die Länder alleine Schuld an der Misere, in der die Städte sich jetzt befinden?

    Articus: Das ist eine schwierige Frage am frühen Morgen. Vielleicht beantworten wir sie so und schauen, was sind denn die Ursachen. Die Kommunen sind eigentlich schon seit der deutschen Einheit in der Situation, dass sie gegenüber dem Bund und den Ländern beklagen müssen, dass sie für ihre Aufgaben, die ihnen übertragen werden, nicht genügend Mittel haben. Zu diesen Aufgaben, die unterfinanziert sind, gehören insbesondere alle Aufgaben aus dem großen Bereich der Sozialpolitik. Bund und Länder scheuen sich nicht, mit immer neuen Versprechungen, mit immer neuen Initiativen, für die man auch an vielen Stellen in der Sache absolut Verständnis haben kann und haben muss, beispielsweise im Ausbau der Ganztagsbetreuung für Kinder oder bei den Aufgaben der Integration, sich gegenseitig zu übertreffen mit immer neuen Maßstäben für den Ausbau dieser sozialen Dienstleistungen.

    Aber sie sind ziemlich konsequent in der fehlenden Aufmerksamkeit dafür, diese Leistungen, die in den Kommunen, in den Kreisen, in den Gemeinden und in den Städten, für die ich spreche, geleistet werden, auch hinreichend auszustatten. Das geschieht eigentlich durchgehend nicht. Die zwei großen aktuellen Beispiele sind die Kosten der Unterkunft bei dem SGB II, die die Kommunen zu tragen haben, die von 2005 bis dieses Jahr 2010, von 8,5 auf 11 Milliarden gestiegen sind, und gleichzeitig senkt der Bund seine Mitfinanzierung dieser Kosten der Unterkunft ab. Das andere Beispiel ist der Ausbau der Betreuungseinrichtungen für Kinder im vorschulischen Alter. Dort werden immer neue Maßstäbe gesetzt, wie schnell der Rechtsanspruch erfüllt werden soll, aber die dafür notwendigen Mittel werden durchweg vom Bund und von den Ländern nicht hinreichend zur Verfügung gestellt.

    Barenberg: Weswegen Sie sagen, Herr Articus, dass dieser Rechtsanspruch nicht zu halten ist, und Sie fordern, ihn einzuschränken. Kann das der richtige Weg sein, wenn wir alle wissen, dass Bildung, Familie, Kinderbetreuung wichtige Zukunftsthemen sind?

    Articus: Das ist nicht der richtige Weg. Wir stellen die Forderung auch nicht. Ihre Frage ist absolut richtig. Wir stellen nicht die Forderung, das Ausbauziel zu reduzieren. Dazu ist diese Aufgabe viel zu wichtig. Wir haben es viel zu spät erkannt, welchen Stellenwert die vorschulische Betreuung von Kindern hat. Der Ausbau ist notwendig, quantitativ und qualitativ, aber er muss auch solide finanziert werden.

    Barenberg: Was sagt denn die neue Familienministerin Köhler dazu?

    Articus: Wir haben mit ihr darüber noch nicht gesprochen, aber wir werden das in den nächsten Wochen tun.

    Barenberg: Und Sie hoffen auf mehr Geld?

    Articus: Wir brauchen mehr Geld, ja.

    Barenberg: Stephan Articus, der Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, heute Morgen im Gespräch im Deutschlandfunk. Danke schön!

    Articus: Danke auch.