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Mit Kaspar gegen Menschenangst

Technik. - Autistische Kinder werden von der Komplexität menschlicher Gesichter überfordert. Deshalb entwickelten britsche Forscher eine computergesteuerte Puppe mit menschlichen Gesichtszügen und Mimik, die autistischen Kindern helfen sollte, ihre Berührungsängste abzubauen.

Von Ralf Krauter | 16.06.2009
    Kaspar – so heißt die Puppe im Kleinkindformat, die Ben Robins von der Universität Hertfordshire in der Nähe von London entwickelt hat und seit Jahren erprobt. Kaspars Gesichtsausdruck, den der Roboterforscher auf Knopfdruck verändern kann, erinnert an den eines Comic-Helden. Die Mimik ist extrem reduziert, aber im Ausdruck unmissverständlich. Autistischen Kindern gefalle das, sagt Ben Robins.

    "In den vergangenen Jahren bin ich mit Kaspar in verschiedene Schulen gegangen und habe die autistischen Kinder dort mit ihm spielen lassen. Die Erfahrung zeigt: Kaspar kann diese Kinder erreichen und ihnen helfen, einfache Formen sozialer Interaktion zu erlernen. Die Ergebnisse sind sehr viel versprechend. Für wissenschaftlich belastbare Daten fehlen uns aber noch große klinische Langzeitstudien. Bislang haben wir bloß eine Reihe ermutigender Einzelfälle."

    Die Begegnungen zwischen Mensch und Maschine beginnen normalerweise damit, dass Ben Robins die computergesteuerte Puppe auf einen Tisch setzt und über Kabel mit seinem Laptop verbindet. Ein Mausklick und Kaspar verzieht den Mund zu einem breiten Lachen und blinzelt vergnügt. Ein anderer Befehl und die Puppe wirkt todtraurig, mit herab gezogenen Mundwinkeln und zusammen gekniffenen Augen. Betritt ein autistisches Kind den Raum, ignoriert es den fremden Mann hinter dem Laptop normalerweise völlig. Die menschliche Puppe auf dem Tisch weckt aber meist schnell sein Interesse. Robins:

    "
    Kaspars Ausdrucksfähigkeit beschränkt sich auf das Wesentliche. Seine Gesichtszüge sind stark vereinfacht. Wir glauben, es ist diese Reduktion, die Kaspar so anziehend für autistische Kinder macht. Ein echtes menschliches Gesicht überfordert sie. Es bietet zu viele Informationen, die sie nicht verstehen. Kaspars reduzierter Ausdruck macht ihn weniger bedrohlich und damit attraktiv."

    Die surrenden Motoren, die Kaspars Arme und Augen bewegen, seinen Kopf neigen und seinen Mund verziehen, kommen bei Autisten ebenfalls gut an. Die Mechanik suggeriert Berechenbarkeit. Das hilft, Berührungsängste abzubauen. Nach kurzer Zeit beginnen die menschenscheuen Kinder deshalb häufig Kaspar zu berühren, sein Gesicht abzutasten und dessen wechselnde Mimik zu imitieren. Robins:

    "Die Interaktion mit dem Roboter ist der erste Schritt. Aber natürlich geht es uns nicht darum, dass diese Kinder eine Beziehung zu einer Maschine aufbauen. Wir nutzen Kaspar, um sie in Kontakt mit anderen Menschen zu bringen."

    Von der Isolation zur Kommunikation: Unter diesem Titel haben die britischen Wissenschaftler vor wenigen Monaten einen Artikel veröffentlicht, der drei beeindruckende Fallbeispiele beschreibt. Ein sechsjähriges Mädchen, dessen Mutter sicher war, ihre Tochter werde sich überhaupt nicht für Kaspar interessieren, imitierte den Roboter und streckte ihre Hand nach einiger Zeit zu Ben Robins aus, jenem fremden Mann der ihn steuerte. Ein Junge, der in der Schule noch nie aktiv Kontakt zu anderen gesucht hatte, begann während der Begegnung mit Kaspar Blickkontakt zu seiner Lehrerin zu suchen. Ein 16-jähriger Teenager, der sich früher immer von seiner Therapeutin abgewandt hatte, beobachtete sie plötzlich genau und korrigierte sie, wenn sie Kaspars Gesten falsch nachahmte. Solche kleinen Schritte sind aus der Sicht von Eltern und Betreuern große Erfolge. Ben Robins bekommt deshalb regelmäßig Anfragen von Betroffenen. Um sie alle zu befriedigen, müsste Kaspar zur Serienreife entwickelt werden. Bislang gibt es nur einen Labor-Prototypen dessen Mimik und Programmierung die Forscher in den vergangenen Jahren verfeinert haben. Robins:

    "Die Kommerzialisierung der Technologie ist nicht die Aufgabe einer Universität. Natürlich wäre es schön, wenn sich eine Firma fände, die das übernimmt. Eines Tages wird es hoffentlich soweit sein."

    Vor zwei Jahren kündigten die britischen Forscher an, bald eine klinische Langzeitstudie zu starten, die den therapeutischen Nutzen von Kaspar zweifelsfrei belegen sollte. Begonnen hat sie bis heute nicht. Der Antrag für die Finanzierung des Projektes sei eingereicht, sagt Ben Robins. Bewilligt wurde er noch nicht.

    Weblinks

    http://www.zeit.de/zeit-wissen/2007/05/Roboter
    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,569595,00.html
    http://www.aurora-project.com/
    http://www.iromec.org/
    http://homepages.feis.herts.ac.uk/~comqbr/