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Mit Methadon zurück ins Leben

Etwa 200.000 Menschen in Deutschland konsumieren Heroin. Als Einstieg in den Ausstieg sehen viele Mediziner und Sozialarbeiter Methadon an. Über die Erfahrungen mit der Ersatzdroge wurde auf einem Kongress in München diskutiert.

Von Veronika Bräse | 09.07.2013
    Für schwer Heroinabhängige gibt es am Ende meist nur einen Weg: Sich in ärztliche Behandlung zu begeben, und das Heroin durch eine andere Substanz wie Methadon zu ersetzen, also zu substituieren. Beide Stoffe bedienen dieselben Rezeptoren im Gehirn. Aber Methadon löst keinen Kick aus, also kein plötzliches, intensives Wohlbefinden - eine der Ursachen für die Heroin-Abhängigkeit. Dr. Wolfgang Groothuis ist Allgemeinarzt in Ostfriesland und berichtet von einem schwer kranken Patienten, den er zwei Mal mit Leberkoma ins Krankenhaus einweisen musste:

    "Der nach der zweiten stationären Behandlung, die er nur mit Ach und Krach überlebt hat, seinen Hauptschulabschluss nachgemacht hat, dann in den Realschulabschluss gegangen ist, schließlich noch das Abitur nachgemacht hat und sogar noch studiert hat. Und das nach fast 20 Jahren Drogenabhängigkeit."

    Goothius hatte ihm regelmäßig Methadon verabreicht. Das mindert das Verlangen nach Heroin oder stellt es ganz ab. Der Patient musste auch keine Angst mehr haben, sich durch verschmutzte Spritzen mit HIV oder Hepatitis anzustecken. Er fand zurück in ein normales Leben. Eine positive Entwicklung, die jetzt auch eine bundesweite Studie namens Subscare belegt, bei der Menschen befragt wurden, die schon länger als fünf Jahre substituieren. Ergebnis: Neun von zehn nehmen seither keine Drogen mehr. Die meisten kamen zuverlässig in die Arztpraxis. Kaum jemand wurde wieder straffällig, so der Suchtmediziner Professor Norbert Scherbaum, einer der Verantwortlichen der Studie:

    "Es war ein Ergebnis, dass etwa ein Drittel der untersuchten Patienten in einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit war und dass noch zusätzlich, wenn man die dazu rechnet, die in Ausbildung sind, die als Hausfrauen tätig sind, dass ein Gutteil der Patienten sich in einer sozialen Situation befand, die im weitesten Sinne als normal gelten kann."

    Wer sich stabil fühlt, wagt es manchmal auch, nach den tieferen Ursachen seiner Sucht zu suchen und dagegen anzugehen. Oft haben Suchtkranke Schlimmes erlebt, fühlen sich belastet, gestresst oder hilflos, erklärt der Münchner Therapeut Professor Martin Sack:

    "Mein Eindruck ist, dass das fast immer so ist, dass es einen Belastungshintergrund gibt, der die Suchterkrankung auslöst und dazu führt, dass Betroffene immer weiter das Mittel konsumieren, und dass sich das dann auch verselbstständigt und immer weiter in eine Abhängigkeit gerät."

    Er bietet ein Verfahren an, das bittere Erinnerungen wieder wachruft: die konfrontative Traumatherapie. Dabei empfinden Patienten Schritt für Schritt nach, was damals geschehen ist. Manche wurden von ihren Eltern vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht:

    "Dass das noch mal sehr lebendig wird, dann zu schauen, was gehört alles zur Erinnerung dazu, dass man auch alle Teile noch mal zusammenträgt wie ein Puzzle, das auseinandergefallen ist, das wieder zusammengesetzt werden soll und dann zu schauen, wie sehe ich das aus der heutigen Sicht, was damals war."

    Die Erinnerungen werden ergänzt mit Informationen wie: Meine Eltern waren damals selbst krank und konnten es nicht besser machen. Dadurch wird die Vergangenheit neu bewertet und kann unter anderen Vorzeichen im Gehirn abgespeichert werden:

    "Das besondere an diesen Verfahren ist, dass es nicht wie bei einer normalen Gesprächstherapie über viele Stunden der Reflexion braucht, sondern, dass dieses genaue Hinschauen, was ist, mir damals geschehen, wie sieht das von heute betrachtet aus, aus dem Gefühl Opfer zu sein heraus zu kommen, dass das manchmal in wenigen Sitzungen eine große Lösung bringt."

    Was über viele Jahre das Leben überschattet hat, kann seinen Schrecken verlieren. Für manchen Patienten öffnet sich so ein Tor in Richtung Zukunft.

    Mehr zum Thema:
    Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin