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Mit Otto im siebten Himmel

Viele, die es einmal ausprobiert haben, tun es fortan immer wieder: Gleitschirmfliegen. Das Brixental in Tirol ist dafür mehr als gut geeignet. Beim ersten Schwung in die Lüfte setzte Deutschlandfunk-Autorin Kerstin Ruskowski auf einen Tandemflug.

Von Kerstin Ruskowski | 05.05.2013
    Ich stehe auf einer Alm etwa 1800 Meter über dem Meeresspiegel und schaue meinem Fluglehrer Otto Kahn dabei zu, wie er den Gleitschirm auseinanderfaltet. Etwa 20 Meter von mir entfernt steht eine braun-weiß gefleckte Kuh, kaut gemächlich auf einem Büschel Gras und beobachtet uns. Während Otto die letzten Vorbereitungen trifft, erklärt er mir, dass man zum Paragleiten eigentlich nur eines braucht: Den Wunsch zu fliegen.

    "Wer das möchte, kann das erlernen bis ins hohe Alter, möchte ich mal behaupten. Das heißt, mein ältester Schüler momentan, der bei mir in der Ausbildung ist, ist ein deutscher Pilot mit 78 Jahren."

    "Ach, tatsächlich? Der hat auch jetzt erst angefangen?"

    "Ja, der hat mit 76 begonnen und ist jetzt zwei Jahre bei mir, fliegt aber seit diesem Jahr alleine"

    Anders als ich, denn da es mein erster Flug mit einem Gleitschirm ist, mache ich einen Tandemflug. Das heißt, ich setze mich in dem Geschirr, das an den Gleitschirm gehängt wird, praktisch bei Otto auf den Schoß. Dann kann ich die Aussicht genießen und muss nichts weiter tun, denn den Rest erledigt Otto. Wenn ich so ins Tal runterschaue, kann ich mir noch nicht so recht vorstellen, wie sich das gleich in der Luft anfühlen wird. Angst habe ich aber nicht, schließlich weiß Otto, was er tut. Er ist schon seit 23 Jahren Pilot und seit acht Jahren Inhaber der Flugschule Westendorf, die er in den 90er-Jahren selbst mit aufgebaut hat. Bis man alleine fliegen darf, erklärt mir Otto, muss man 40 Flüge mit einer Flugschule machen und eine Menge Theorie lernen. Dieses Wissen wird in zwei Prüfungen abgefragt. Denn die Theorie ist das wichtigste - die Bedienung des Gleitschirms ist dagegen recht einfach.

    "Man könnte folgendes sagen: Paragleiten besteht aus - ich würde sogar sagen 98 Prozent theoretisches Wissen, Strömungslehre, Meteorologie und zwei Prozent Gerätebeherrschung."

    Neben unserem Gleitschirm hat Ottos Kollege Philipp Zellner einen weiteren Gleitschirm ausgebreitet - für sich und Silke. Auch für Silke ist es das erste Mal. Sie hat das Gurtzeug schon angezogen und bekommt von Philipp letzte Anweisungen für den Start.

    "Wenn wir abgehoben sind, sag ich Dir: Jetzt kannst Du Dich hinsetzen und dann machst Du Deinen Rücken rund und gehst ein bisschen in die Knie - mach mal - und dann kannst Du hier die Hände hinmachen."

    "Ah, ok."

    "Ah, besser ist da. So mit dem Daumen reinfahren am besten. Und dann drückst Du das Gurtzeug so nach vorne."

    "Ah, ok. Ja."

    "Das ist wichtig, weil, wenn Du so ein Hohlkreuz machst nach hinten, dann kommst Du nicht rein. Und so kommst Du total einfach rein."

    Dann ruft Otto nach mir. Wir müssen los. Denn so langsam ziehen Wolken ins Tal und ohne Sicht wird es schwierig mit dem Paragleiten. Philipp zieht nochmal Silkes Gurte fest. Ich verabschiede mich.

    "Dann... Hals- und Beinbruch, ne."

    Otto wird langsam unruhig, also ziehe ich schnell das Gurtzeug an, verstaue mein Aufnahmegerät im Rucksack und dann stolpere ich auch schon über den Acker, dem Tal entgegen. Gar nicht so einfach, zu laufen, wenn einem jemand förmlich direkt auf den Fersen ist. Doch dann fängt sich der Wind im Gleitschirm und meine Füße verlieren den Kontakt zum Boden.

    Wenige Augenblicke später sind wir in der Luft. Hat man sich einmal an die luftige Aussicht gewöhnt, ist es ganz gemütlich und auch gar nicht so kalt und zugig wie man vermuten könnte. Tatsächlich ist es ziemlich friedlich. Ich habe das Gefühl, eins zu sein mit der Natur, denn ich schwebe lautlos durch die Luft - ohne Motor, ohne Fensterscheibe. Otto gesteht mir, dass er eigentlich ja unter Höhenangst leidet. Für einen, der sein Leben dem Paragleiten verschrieben hat, ziemlich unglaubwürdig. Allerdings: Man hat tatsächlich kein besonders mulmiges Gefühl. Der Wind bläst kräftig in den Gleitschirm und bringt so die Gewissheit, dass wir weiter langsam ins Tal schweben werden - solange der Gleitschirm hält, versteht sich.

    Aber einfach nur so runterschweben, das wäre doch viel zu langweilig! Otto zieht am rechten Bremsgriff und fängt an, eine Kurve zu fliegen. Dann zieht er am linken Bremsgriff und - lässt ihn nicht mehr los. Während wir uns mit dem Gleitschirm immer schneller ins Tal schrauben, wird mir allmählich doch mulmig. Es ist das gleiche ziehende Gefühl in der Magengegend wie ich es von Kettenkarussells und Achterbahnen kenne. Vor meinen Augen beginnt das Tal zu kreisen - erst langsam, dann immer schneller. Aus dem mulmigen Gefühl wird allmählich Übelkeit. Irgendwie heitere Übelkeit, denn ich muss zwangsläufig lachen, bin aber ganz froh, als Otto den Bremsgriff dann doch wieder loslässt und wir weiter gemächlich dem Tal entgegen gleiten.

    Es dauert eine Weile bis sich mein Adrenalinspiegel normalisiert hat und ich mich wieder auf die Aussicht konzentrieren kann. Wobei das Tal durch die Abwärtsspirale schon merklich näher gekommen ist. Denn das ist der Preis für den Kick: Je doller desto schneller ist auch der ganze Spaß vorbei.

    Nach einer weiteren kleinen Runde berühren meine Zehenspitzen schon fast die Baumwipfel. Wenig später ruft Otto: Füße hoch! - und die Kuhwiese kommt immer näher. Dann setzen wir fast geräuschlos auf - nur der Gleitschirm raschelt dem Boden entgegen.

    1000 Höhenmeter haben wir in der letzten Viertelstunde zurückgelegt. Otto erklärt mir das nochmal genauer.

    "Wir sind jetzt ungefähr 12 bis 15 Minuten in der Luft gewesen. Das ist bei 1000 Meter, bei einer Sinkgeschwindigkeit von 1,4 bis 1,7 Meter pro Sekunde, aber wir haben natürlich dann auch unsere Spirale noch gemacht, die uns ungefähr zehn Meter pro Sekunde gebracht hat an Sinkgeschwindigkeit bei einer Rotationsgeschwindigkeit von nahezu 80 bis 90 km/h. Das hat Dein Magen dann auch gespürt."

    "Ja, allerdings."

    Auch Silke und Phil sind schon gelandet - und zwar ganz sanft, was Silke dann doch überrascht hat.

    "Also, da hatte ich ja n bisschen Bammel vor, dachte, da musst Du jetzt irgendwie laufen und brichst Dir dann noch alle Haxen, aber es hieß einfach nur "Füße hoch!" und dann ganz sanft, noch nichtmal mit dem Po irgendwie aufgeklatscht, sondern dann saß man und ja - war gut."