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Mit Popper gegen Beckstein

Bayerns Innenminister Beckstein fordert alle Bürger dazu auf, wachsam zu sein und aktiv mitzuwirken bei der Suche nach verdächtigen islamistischen Terroristen. Diese Aufforderung - so sehr sie einerseits unangenehme Assoziationen an die IMS der Stasi wachruft, anderseits ein Dokument der völlig ratlosen Politik sein mag - könnte fatale Folgen haben.

Von Wilhelm Hindemith | 15.03.2007
    Benjamin Heisenberg hat in seinem Film "Der Schläfer" überzeugend gezeigt, wie riskant solche Laienspionage sein kann. Ein junger Virologe, Johannes, freundet sich mit dem algerischstämmigen Kollegen Farid an, kurz darauf wird er vom Verfassungsschutz angeworben, den neuen Freund auszuspionieren. Liebe kommt dazu, private Motive, das Ganze endet katastrophal. An diesem Film denkt man unwillkürlich, wenn man Becksteins Aufruf auf mögliche Folgen hin bedenkt. .

    Becketts "Warten auf Godot" hat nicht mehr metaphysische Ungewissheit ausgelöst als das heutige Warten auf den ersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland. Terror-Fachleute machen uns Angst und weis, dass, bevor es nicht zu einem Blutzoll komme, sich an der Ahnungslosigkeit der Politik nichts ändern werde.

    Wir sind hin und her gerissen, wer hat recht, diejenigen die zu harten Maßnahmen, Abbau des Datenschutzes, raten wie Beckstein oder die anderen, die abwiegeln und vor Hysterie warnen? Wer beschreibt die unsichere Szene real, wie sie ist?

    Leben wir im Krieg? Sicher ist nur: die Situation ist neu, nicht historisch. Wir können uns nicht an der Geschichte orientieren. Das ist das Problem.

    Kurz: Es ist nicht so einfach, wie es die Volktribunen der harten Linie, der unnachsichtigen Aufsicht aller Verdächtigen glauben, darstellen zu dürfen. In der Wartesituation: wann platzt die ein Massaker auslösende Bombe schließlich bei uns , und wo, bei mir um die Ecke oder doch wieder weiter weg, fehlt plötzlich die schöne begehrte Göttin Vernunft. Überall Ungewissheit. Die desaströse Integrationspolitik hat geschlossene Parallelwelten geschaffen, in die weder professionelle Agenten, noch normale Bürger hineingelangen können.

    Sir Karl Popper hinterließ uns ein Vermächtnis, als er sagte, die offene Gesellschaft muss sich schützen vor ihren Feinden, sie darf ihre höchste Tugend der Toleranz nicht gegen die Intoleranten anwenden. Das ergäbe einen Ausnahmezustand der Offenheit selbst. In diesem Ausnahmezustand befinden wir uns, in einer Krise im Selbstverständnis der offen Gesellschaft. Das zeigen alle Debatten. Nur das ist sicher, alles andere ist ungewiss. Beide Positionen, die einen, die abwiegeln, und die anderen, die zur Kompromisslosigkeit raten , beschreiben die unerkannte Situation, in der wir auf die Katastrophe warten, nicht zutreffend.

    Wenn wir uns tatsächlich in einem neuartigen Krieg befinden mit Partisanen und in Zivilkleidung getarnten Gottes-Kriegern, dann ist es höchste Zeit, alle alten Ressentiments gegeneinander fallen zu lassen und die Debatte aus dem Höllenkreis der Rechthaberei herauszuführen. Auch wenn das manchmal von der Lähmung der Wartesituation ablenken mag. Denn angenommen die Bombe platzt doch, ein schreckliches Attentat wie in London oder Madrid findet statt, trotz aller Sicherheitsstufen und Videoüberwachungen, dann ist das Leid groß und der innere Krieg beginnt erst recht, die Freiheit aber wird wieder ein Stück unsicherer, ärmer und unmöglicher werden. .


    Wir sollten die Gefahr also nicht verkennen, doch den Umgang mit ihr nicht populistisch, sondern sorgsamer und gründlicher planen und bedenken.