Donnerstag, 28. März 2024

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Mit Rechten reden
"Eine seltsame Vorsicht der rechten Gewalt gegenüber"

Ob im Bundestag, im Alltag oder in den Feuilletons: Der Umgang mit den neuen Rechten ist ein schwieriges Unterfangen und wird derzeit viel diskutiert. Bei all dem gehe es aber auch darum, "die Achtung vor sich selbst nicht zu verlieren", sagte die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz im Dlf.

Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 24.10.2017
    Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz
    Mit Rechten: reden oder sich weit weg stellen? "Manchmal wird es auch notwendig sein, das Gespräch abzubrechen", sagte die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz im Dlf (dpa / picture alliance / Carmen Jaspersen)
    Maja Ellmenreich: Reden und ausreden lassen, poltern und pöbeln, ignorieren oder argumentieren. So vielfältig die Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Kommunikation sind – so groß ist offensichtlich auch die Verunsicherung darüber, wie man denn nun reden soll mit der neuen Rechten – ob im frisch konstituierten Bundestag mit der AfD-Fraktion, ob im heimischen Wohnzimmer oder auf der nächsten Buchmesse. Am liebsten wäre den meisten, die sich selbst linker als rechts verorten, wohl eine Art Bedienungsanleitung, eine Gebrauchsanweisung mit eindeutigen Handlungsempfehlungen. So etwas in der Art gibt es bereits mit dem vieldiskutierten Leitfaden "Mit Rechten reden". Und auch die Grünen-Politikerin Antje Vollmer gab heute Morgen hier im Deutschlandfunk handfeste Ratschläge. Sie empfahl nämlich als Etikette im neuen Bundestag: "Sehr wache Sinne zu haben, knochentrockene Nüchternheit und Ruhe zu bewahren."
    Drei Anweisungen – klar und deutlich formuliert von Antje Vollmer.
    Während also heute AfD-Parlamentarier im deutschen Bundestag ihre Plätze eingenommen haben, gab in Österreich ÖVP-Chef Sebastian Kurz bekannt, er wolle Koalitionsverhandlungen mit der rechten FPÖ aufnehmen. Mit Rechten reden – und wenn ja, wie? Dazu jetzt ein Gespräch mit der österreichischen Schriftstellerin, Journalistin und Regisseurin Marlene Streeruwitz, die das politische Geschehen in Österreich seit Jahren kritisch kommentiert. Insbesondere seit dem Jahr 2000, in dem die FPÖ nämlich zum ersten Mal an der österreichischen Regierung beteiligt war.
    Frau Streeruwitz, Ihre Kollegin, die Autorin Sibylle Berg, hat am Wochenende in einem Kommentar auf "Spiegel Online" ganz deutlich formuliert: "Die Zeit des Redens sei vorbei" – und dafür erntete sie viel Kritik. Zu welchem Schluss kommen Sie? Mit den Rechten reden oder nicht-reden?
    Eine seltsame Vorsicht der rechten Gewalt gegenüber
    Marlene Streeruwitz: Reden selbstverständlich. Ausreden lassen immer. Größte Korrektheit ist angebracht. Es geht ja darum, die Achtung vor sich selbst nicht zu verlieren. Das ist zumindest eins der großen Ziele, das in diesen Auseinandersetzungen oberstes Gebot sein sollte. Und wenn es korrekt abgeht, kann ja auch korrekt gesprochen werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann sehe ich schon auch so wie Sibylle Berg, dass das sehr sinnlos ist. Ich sehe dann einfach nur, aber auch in aller Ruhe, dass es dann einen Rechtsstaat gibt, der übernehmen muss. Und wenn es sich um Übergriffe handelt, die körperliche Folgen haben, dann wird das einfach an die entsprechenden Institutionen übergeben und da behandelt werden müssen, und da, glaube ich, gibt es ein ganz großes Problem, wie Gewalt hier eingeschätzt wird. Da habe ich das Gefühl, dass der rechten Gewalt gegenüber eine gewisse seltsame Vorsicht herrscht, als würde, wenn ein Rechter jetzt jemanden anderen auf die Nase schlägt, das etwas anderes sein, als wenn das irgendwer anderer mit irgendjemandem tut. Da sehe ich schon lange Linien der Vergangenheit, die sich da wieder zeigen, und das ist einerseits traurig, aber andererseits ein Grund, von Neuem die Aufarbeitung der Geschichte anzugehen und den demokratischen Standpunkt neu zu definieren.
    Ellmenreich: Womit erklären Sie diese Zurückhaltung auf diesem Gebiet? Was ist die Ursache dafür, dass man offensichtlich jetzt in dem Umgang mit den neuen Rechten alles ganz besonders richtig machen möchte, man sich auf gar keine Fälle, so ist es zumindest mein Eindruck, etwas vorwerfen lassen möchte?
    "Behauptung von Unschuld"
    Streeruwitz: Das, glaube ich, hat schon mit der Selbstachtung, mit der neuen, von uns sowohl in Österreich wie in Deutschland neu gelernten demokratischen Selbstachtung zu tun, die uns da nicht selbstverständlich ist, dass wir da als, wie jetzt, wenn ich zum Beispiel in England lebe, Personen aus der Sicherheit einer langen Geschichte heraus handeln, in denen sie ihre Selbstachtung selbstverständlich politisch vertreten sehen, als politische Beschreibung ihrer Person. Das haben wir nicht in dem Ausmaß. Und wir haben es natürlich damit zu tun, dass wir insofern angegriffen werden, als es ja um Holocaust-Leugnung geht. Dafür haben wir ja in Österreich das schöne Beispiel von Jörg Haider, der sich ja deshalb so gut fühlen konnte, weil er sich nie für den Holocaust entschuldigt hat und sich deshalb auch als besserer Deutscher gesehen hat und die Deutschen in toto verachtet hat, weil sie die Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust in Angriff genommen haben.
    Ich glaube, dass das jetzt eine Wiederkehr dieser Aufarbeitung oder Nichtaufarbeitung ist und dass der Versuch, vor diese Zeit zurückzugehen, ein Versuch auf eine neue Unschuld ist, eine Behauptung von Unschuld, und auch das ist nicht so, dass wir sagen können, das steht fest, wir können uns darauf verlassen, dass wir sagen können, es gab den Holocaust, das war so – alles in einer Ungefährheit. Gefahr kommt ja in dieses Wort hinein, das ist alles nur sehr leicht gehalten und wir müssen das doch jeden Tag neu uns vorhalten und selbst durcharbeiten, und da ist schon das Gefühl, dass es ein Angriff ist, und die Frage, kann ich das wirklich, kann ich dem standhalten, ist dann schon berechtigt.
    Und dann kommt ein zweites dazu, und das fügt sich in böser Weise zum anderen, dass ja auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine breite Mehrheit rechte Gewalt durchaus akzeptiert hat und gedeckt hat. Das heißt, es gibt hier eine Fortsetzung, und da haben wir einfach ein gesellschaftliches Schicksal, das wir zu bewältigen haben, und das sehe ich mit einiger Kühle. Es ist nicht schön, dass das nun wieder auftritt; es ist aber eigentlich auch nicht sehr erstaunlich und es ist die nächste Stufe wieder zu erklimmen und daran zu arbeiten. Das ist ja auch in der Frauenbewegung so, und nicht ohne Grund ist die neue Rechte antifeministisch, weil das alles miteinander zu tun hat.

    Ellmenreich: Jetzt werden ja immer wieder Muster aufgezeigt, auch nicht zuletzt in so einem Ratgeber beziehungsweise in so einem Leitfaden, wie es der ist, der den Titel trägt "Mit Rechten reden". Da geht es immer wieder um die Muster, dass die Rechtspopulisten provozieren, bis dann irgendwann womöglich das Gegenüber die Fassung verliert, und dann haben die Rechtspopulisten die Möglichkeit, sich selbst als Opfer darzustellen. Kann man denn diesen Mustern nicht irgendwas entgegensetzen?
    "Manchmal das Gespräch abbrechen"
    Streeruwitz: Ja, nicht darauf eingehen natürlich, und zwar in der Rhetorik das von vornherein einbauen. Es ist ja ganz klar, dass dieser Versuch da ist, sich zum Opfer zu machen und daraus die freie Rede für sich in ganz anderer Weise zurechtzubiegen. Das sollten wir jetzt schon langsam gelernt haben. Und manchmal wird es auch notwendig sein, das Gespräch abzubrechen, aber das haben die anderen ja auch immer gemacht. Ich sehe da jetzt keine große Sünde, wenn wir mal kurz sagen, so, da rede ich jetzt nicht weiter, weil das steht für mich jetzt keine Möglichkeit mehr, darüber noch zu reden. Ich denke, dass Sibylle Berg dort angelangt war, wie sie das geschrieben hat.
    Ellmenreich: Zählt dazu auch die mediale Aufmerksamkeit? Denn nach der Bundestagswahl haben einige Stimmen ja in Deutschland gefordert, der AfD eine Aufmerksamkeit zu schenken, die dem Wahlergebnis entspricht. Also: 12,6 Prozent der Wählerstimmen auch nur 12,6 der medialen Aufmerksamkeit.
    Streeruwitz: Ja, das wäre schon hilfreich, und das ist ja nun etwas, worüber eigentlich die Medien sich einmal sechs Wochen zurückziehen sollten und Selbstschau halten, was so – und ich würde jetzt das ganz allgemein sagen – sexy an dieser Sache ist, dass es immer wieder berichtet werden muss. Das hat eine seltsame Lust am Schwatzen, ist nicht ganz verständlich und wird ja auch newswürdig berichtet. Deswegen komme ich auf Haider. Das war ja schon da so. Was war da so interessant an einem Mann, der über, ich glaube, 200.000 Leute regierte? Jeder Bürgermeister in Deutschland hat so viele Leute. Und trotzdem war diese Leugnung der Geschichte doch etwas, was alle gereizt hat, und zwar gereizt, aufgereizt, interessiert. Das ist so wie Kinder, die dann doch immer wieder nach dem Feuer greifen, mit der Lust daran, damit zu spielen, dass es vielleicht doch vergessen werden kann, die Geschichte.
    Die grundlegende Frage, "wie wir demokratisch weiter weiterleben können"
    Ellmenreich: Klingt jetzt aber auch so, als wären da ganz harmlose Argumente im Raum und als müsse man die nur durch Nichtachtung strafen, und dann würden die schon von selbst verschwinden. Vielleicht ist das nicht unbedingt mit dem Wort Sexyness beschrieben, aber vielleicht ist das Aufregerpotenzial ja auch in der potenziellen Gefahr zu sehen, die hinter solchen Aussagen und womöglich hinter solchen Aussagen wie Holocaust-Leugnung zu vermuten ist.
    Streeruwitz: Das ist schon richtig. Aber die zwölf Prozent sind die zwölf Prozent und die Gefahr ist dann eben zwölf Prozent. Und wenn man sie mit 100 Prozent Berichterstattung wertschätzt, ändert man diese Verhältnisse. Das glaube ich schon.

    Ellmenreich: Ist so ein Gespräch, wie wir es jetzt gerade miteinander führen, eigentlich auch schon wieder zu viel des Guten Ihrer Meinung nach?
    Streeruwitz: Nein, das ist ganz sicher nicht so, weil es geht wirklich grundlegend um die Frage, wie wir demokratisch weiter weiterleben können. Das ist ja gar keine Frage. Das ist natürlich alles höchst gefährlich. Es hat nur keinen Sinn, Alarmismus zu betreiben, wenn es gerade erst beginnt. Die Diagnose stellen und die Maßnahmen treffen, das haben wir jetzt gerade besprochen. Mehr ist es nicht und weniger aber auch nicht. Und es ist natürlich bedrückend. Es erfasst uns natürlich in einer schrecklichen Art und Weise. Wenn ich jetzt sehe, das ist ja nun international, dass in Rom der Fußballclub Lazio Roma auf die Gegner alle das Gesicht von Anne Frank ein Foto geshoppt hat, um sie einerseits zu Juden zu machen und andererseits abzuwerten, das ist etwas, da sitz ich mal sehr lange und da weine ich auch. Das ist entsetzlich. Aber trotzdem hat es keinen Sinn, da jetzt in die Depression zu verfallen und aus der Depression heraus eine Hysterie zu entwickeln, sondern es muss mit Ruhe und Bedacht vorgegangen werden. Als Feministin lebe ich in diesem Zustand des ständigen in Frage gestellt seins. So gesehen kann ich da jetzt auch nicht ganz schreckliche Hast und Eile entwickeln. Aber natürlich ist es ein tiefgehendes Problem und wir könnten jeden Tag darüber reden und es wäre berechtigt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.