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Mit Shakespeare gegen die unerträgliche Welt

Doris Simon: Warum ausgerechnet Shakespeare?

Moderation: Doris Simon | 17.02.2005
    Wolf Biermann: Ach, das ist das Unoriginellste, was man machen kann. Wie Sie schon richtig sagen: Alle versuchen sich - alle Könner und Stümper - an Shakespeare. Diese Sonette, die er uns hinterlassen hat, sind eben die schönsten Gedichte der Welt, könnte man ohne große Übertreibung sagen.

    Simon: Hat es Sie schon lange gereizt, das mal zu vertonen und zu übersetzen?

    Biermann: Im letzten Jahr, als die DDR noch ewig stand, 1988, habe ich angefangen, da hatte ich so schön viel Zeit, weil nichts los war in der Welt. Solche Shakespeare-Sonette kann man nur übersetzen, wenn man viel Zeit hat, weil in der Welt nicht viel los ist und wenn man genug Geld hat, um seine Kinder zu ernähren. Denn man sitzt unglaublich lange an diesen Sonetten. Es ist rein sportlich gesehen das Schwerste, das Allerschwerste, was es in der Dichtung gibt, weil die Form des Sonetts von Shakespeare so scharf, so genau, so vollgepackt und dicht gedichtet ist, wie überhaupt selten irgendwas.

    Simon: Die Shakespeare-Sonette in all ihrer Schönheit, ist das für Sie auch ein bisschen Flucht aus der grauen Gegenwart?

    Biermann: Ach was. Ich habe immer große Gedichte und Lieder aus anderen Sprachen ans deutsche Land gezogen neben meiner eigenen Produktion. Wenn Sie es genau wissen wollen: im Moment schreibe ich etwas ganz anderes, neue Lieder und Gedichte, aber das sind jetzt die frischen Früchte, das, was jetzt fertig ist. Und also muss ich damit zu den Leuten gehen, die sie essen sollen.

    Simon: Aber wenn man die Lieder hört und auch die Texte dazu liest, dann - auch wenn es von Ihnen vielleicht nicht so intendiert war - wirkt es doch so ein bisschen wie eine Gegenbewegung gegen das, was wir in diesem Jahr so erleben. Einmal die Bilder der Vergangenheit, Dresden, Auschwitz, Kriegsende, dann die Debatten der Gegenwart, rechtsextreme Neonazis - ist das ein Zufall?

    Biermann: Nein, das kommt Ihnen so vor. So war die Welt ja immer, in der wir leben. Sie war immer unerträglich, schwierig, kompliziert und widersprüchlich und gleichzeitig stehen wir alle, wenn wir keine Eintagsfliegen sind, auch in der Vergangenheit. Denn jemand, der kein Verhältnis zur Vergangenheit hat - und das bezieht sich auch auf die Dichtung, Literatur und Kultur im allgemeinen - hat auch keine Zukunft und im Grunde auch keine Gegenwart. Das gehört zusammen. Jemand, der sich in den Streit des Tages einmischt, wie ich es immer getan habe und wahrscheinlich auch noch lange tun werde, muss sich ja geradezu festhalten in der Tiefe des geschichtlichen Prozesses, damit er nicht herumtanzt, wie ein Irrwisch.

    Simon: Also mehr ein Rückgriff auf bestehende Traditionen, auf die guten Werte?

    Biermann: Ja und das ist gar nicht so unpolitisch, wie man vielleicht denkt. Shakespeare - das hat mich natürlich begeistert an ihm, dass er nicht die Liebespaare wie ein Voyeur schildert, der hinterm Busch sitzt und zuschaut, wie andere Leute sich küssen, sondern er zeigt die Liebespaare dort, wo sie nicht mich übrigens auch immer am allermeisten interessiert haben, nämlich in großer politischer Landschaft: erst wenn die Liebenden aus zwei verfeindeten Familien kommen, Sie wissen, was ich meine, Romeo und Julia, dann ist der Kuss, den sie sich geben, der Klimmzug am Balkon, wo er hochklettert zu seiner Julia, für uns Zuschauer überhaupt von Interesse. Wir wollen sehen, wie die Menschen in der großen politischen Landschaft, in der sie nun mal leben, sich lieben, weil das ewige Thema Liebe ist nur dann für uns von großem Interesse.

    Simon: Sie sprechen ausführlich über die Liebe in den Shakespeare-Sonetten. Wenn Sie jetzt damit durch die deutschen Städte touren, werden Sie wahrscheinlich auch immer wieder angesprochen auf die aktuelle Politik. Was fällt Ihnen dazu ein?

    Biermann: Sie wissen ja, ich habe in der großen Frage von Krieg und Frieden eine andere Meinung als die meisten Leute in Deutschland. Ich bin immer noch der Meinung, dass eine Diktatur, ein totalitäres Regime bekämpft werden muss und zwar auch mit Waffen. Ich kann doch gar nicht alles reden; dass ich hier mit Ihnen am Morgen plaudere im Deutschlandfunk, verdanke ich doch nur der Tatsache, dass Leute mit der Waffe in der Hand Nazideutschland niedergekämpft haben. Mich hätten sie als Kommunistenkind und als Judenkind ja dreimal totgeschlagen. Also kann ich doch nicht so tun, als wüsste ich nicht, dass man zwar immer für den Frieden sein soll, das ist ja auch schön, alle sind für den Frieden, übrigens auch alle, die den Krieg machen. Die meinen immer nur ihren Frieden und deswegen müssen sie leider Krieg machen, aber die Welt ist nunmal so. Mit Tränen und moralischen Appellen allein lässt sich ein totalitäres, brutales, mörderisches Regime nicht niedermachen und jetzt, wo alle so höhnisch sagen 'schaut doch, sie finden überhaupt keine Massenvernichtungswaffen im Irak' - ich bin in diesem Punkt anderer Meinung als die meisten Leute. Die schlimmste Massenvernichtungswaffe des Irak war das Regime von Saddam Hussein. Die haben Millionen Menschen liquidiert und nicht 'bloß' 35.000 wie in dem Dresdener Inferno oder hier in Hamburg, ich war ja mitten im Feuerofen, als Hamburg unter dem Bombenteppich lag. Da sind 60.000 Menschen verbrannt und meine Mutter hat mich auf den Rücken genommen und ist mit mir durch den Kanal durchs Wasser aus dem Feuer rausgeschwommen. Mir muss keiner breitärschig erklären, dass Krieg nicht schön ist und dass Frieden irgendwie besser ist, das ahnte ich selber schon dunkel. Aber ich weiß auch, wem ich es verdanke, dass ich überlebt habe.

    Simon: Wie erleben Sie es in dem Zusammenhang, dass Rechtsextreme versuchen, diese Teile der Geschichte zu besetzen? Wird da bei uns zu wenig drüber geredet?

    Biermann: Ach, sehen Sie sich ein einziges Fußballspiel an, dann wissen Sie bescheid. Jemand haut dem anderen die Beine weg, bringt ihn fast um, um ein Tor zu verhindern und dann beobachten Sie mal, was er dann macht nach dem Hieb. Er reißt seine Arme hoch, dreht den Kopf um zum Schiedsrichter mit der Gebärde des armen Opfers: 'habe ich etwas getan? Ist da irgendwas gewesen? Sollte ich etwa ein Foul begangen haben?' Und die Fouls, die in der Weltgeschichte verübt werden, führen eben nicht zum Elfmeter, sondern zum Massenmord an vielen Menschen und die Leute haben alle diese Angewohnheit, unter uns gesagt ich auch. Wenn ich etwas Schlechtes gemacht habe ist mein erster Gedanke: bin ich schuld? Wolf Biermann, bist du schuld? Nein, äh, doch. Und dann fällt es mir auch schwer, jedem Menschen fällt es schwer, seine Schuld vor sich und vor anderen einzugestehen.

    Simon: Können Sie sich vorstellen am 8. Mai Neonazis mit halberhobenem Arm durchs Brandenburger Tor marschieren zu sehen?

    Biermann: Na, einbilden kann ich mir manches.

    Simon: Können Sie das aushalten?

    Biermann: Nein, aber ich musste schon unheimlich viel aushalten, was ich nicht aushalten kann. Das ist das ganze Leben so. Und wenn ich jetzt demnächst im Berliner Ensemble noch mal diese Shakespeare-Sonette singe (ich habe sie ja dort Ende des vorigen Jahres uraufgeführt und mache es jetzt noch mal und auch in Braunschweig bin ich übermorgen und in Radebeul), dann freue ich mich, dass ich in dieser schrecklichen Welt gleichzeitig diese wunderbaren Liebeslieder zeigen kann. Denn wir können den Schrecken dieser Umstände, in denen wir sind und die uns wehtun und ärgern, überhaupt nur aushalten, wenn wir ruhen in der Liebe zu dem und den Menschen, zu denen wir im allerkleinsten Sinne gehören. Und das ist das Tolle an diesem Shakespeare, dass er diesen Zusammenhang dargestellt hat. Wissen Sie, das habe ich selber gar nicht so gewusst. Ich habe das immer sehr unterschätzt und freue mich, dass der Shakespeare 400 Jahre vor uns schon im Grunde tiefer und klüger bescheid wusste als wir. Und meine Aufgabe ist es, das an Land zu ziehen.