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Mit stiller Wut

Sein Buch "Gomorrha" machte Roberto Saviano zu einem berühmten Autor und zu einem Verfolgten der Camorra. Doch Saviano lässt sich den Mund nicht verbieten und macht das, was er kann: Er schreibt weiter. Auch in dem neuen Band "Das Gegenteil von Tod" arbeitet Saviano mit authentischem Material, und wieder tut er das, was die Qualität von "Gomorrha" ausgemacht hatte: Er rückt dicht an die Menschen heran, ohne ihnen ihre Würde zu nehmen.

Von Maike Albath | 21.04.2009
    Roberto Saviano hält an seiner Mission fest. Der 29-jährige Schriftsteller wird nicht müde, seine Feinde anzuklagen und die Zustände in seiner Heimatregion zu schildern - allen Anfechtungen zum Trotz. Mit Mopedfahrten durch Neapel, einem Kaffee in irgendeiner Bar am Stadtrand oder Spaziergängen im Gewühl der kleinen Gassen ist es seit zweieinhalb Jahren vorbei. Ein Dutzend Mal hat Saviano die Wohnung gewechselt; seine Eskorte ist auf fünf Carabinieri und zwei gepanzerte Wagen angewachsen. Jede Reise ist eine logistische Herausforderung, denn fremde Leibwächter oder ein neues Auto bedeuten ein unkalkulierbares Risiko.

    Obwohl Roberto Saviano ein erbärmliches Leben führt, hagelt es Angriffe. Man neidet ihm die Publizität, die Fernsehauftritte, die hohen Verkaufszahlen und die internationale Berühmtheit. Er sei ein Nestbeschmutzer und solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, heißt es häufig.

    Einer der traurigsten Vorwürfe ist der des Journalisten Simone Di Meo, der seinen Kollegen Saviano des Plagiats bezichtigt und Klage gegen ihn eingereicht hat. Vor vier Wochen wurde der Prozess eröffnet. Ein lächerlicher Vorwurf, zumal Saviano von Anfang an betonte, dass die harten Fakten und die Geschichten, die er in "Gomorrha" erzählt, jedem Polizeireporter bekannt waren. Jeder wusste Bescheid, nur hat Saviano daraus einen literarischen Stoff gemacht.

    Auch die Camorristi werden nicht müde, ihn zu verleumden. Im März 2008 ließen die Bosse aus der Camorra-Hochburg Casal di Principe vor dem Berufungsgericht von Neapel einen Brief verlesen. Eine Drohgebärde. Man warf dem Schriftsteller unlautere Methoden vor. Der "Pseudojournalist" Saviano übe Druck auf das Gericht aus, hieß es in dem Schreiben, und versuche, den so genannten Spartakus-Prozess zu beeinflussen. Der 1998 begonnene Maxiprozess gegen die Camorra wurde vier Monate später endgültig abgeschlossen - 3900 Seiten umfassen die Akten, es kam zu fünfundneunzig Verurteilungen, einundzwanzig Clanmitglieder verbüßen lebenslänglich.

    Der Kronzeuge Carmine Schiavone ließ kürzlich in einem Interview verlauten, dass die Camorra Saviano jetzt nicht umbringen werde, er sei viel zu berühmt, das käme einer Heiligsprechung gleich. Man werde ihn töten, wenn er in Vergessenheit geraten sei. Aber Saviano lässt sich den Mund nicht verbieten und macht das, was er kann: Er schreibt weiter. Im Laufe der letzten zwei Jahre entstanden Texte für das Magazin L'Espresso und die Tageszeitung La Repubblica. Zwei Erzählungen, die er in Italien mit großem Erfolg auf Literaturfestivals vorgetragen hat, sind jetzt auf Deutsch erschienen. Mit seiner stillen Wut und der kämpferischen Haltung ist Roberto Saviano längst zu einem Symbol seiner Generation geworden.

    Auch in dem neuen Band "Das Gegenteil von Tod" arbeitet Saviano mit authentischem Material, und wieder tut er das, was die Qualität von "Gomorrha" ausgemacht hatte: Er rückt dicht an die Menschen heran, ohne ihnen ihre Würde zu nehmen. Die Titelgeschichte erzählt von dem Schicksal der knapp achtzehnjährigen Maria, einem kindlichen jungen Mädchen, das sich mit Stofftieren und Barbiepuppen umgibt und gerade Witwe geworden ist. Ihr Verlobter ist in Afghanistan gefallen. Aus Mangel an beruflichen Perspektiven verpflichten sich vor allem Süditaliener für die Einsätze in den Krisengebieten, obwohl sie wissen, dass sie dort das finden können, was auch auf den Straßen ihrer Heimatstädte zum Alltag gehört - den Tod.

    In den Bars von Casal di Principe, Torre Annunziata oder Giugliano trifft man viele Kriegsveteranen. Von ihrem Freund Gaetano ist Maria nur noch die Erkennungsmarke geblieben, ein verbogenes, verkohltes Metallplättchen, das sie wie ein Schmuckstück um den Hals trägt. Diese Marke ist sogar zu einem Kennzeichen der jungen Männer aus diesem Landstrich geworden; vielen stellen den Anhänger extra zur Schau. Es ist eine Rappermode. Beim Sex fällt die Marke der Geliebten leicht ins Gesicht, und die Jugendlichen brüsten sich mit den angeblichen Beißspuren ihrer unzähligen Freundinnen. Kommt jemand in Afghanistan oder im Irak zu Tode, dient das Plättchen zur Identifikation des Leichnams. Düsternis, Aussichtslosigkeit und eine dumpfe Schicksalsergebenheit machen sich in der Erzählung breit. Auf subtile Weise parallelisiert Saviano die Rechtlosigkeit und den verdeckten Kriegszustand in seiner Heimatregion mit der Lage in dem kriegsgezeichneten Afghanistan. Die Trauer der kleinen Witwe bekommt etwas Universelles und wirkt wie die Trauer um eine verlorene Generation und ein verlorenes Land.

    Die zweite Geschichte "Der Ring" ist autobiographisch inspiriert und handelt von den Anmaßungen der Norditaliener gegenüber dem Süden. Wieder tritt Saviano als Ich-Erzähler in Aktion. Im Teenageralter hatte er Besuch von einer Freundin aus dem Norden bekommen und durch einen Ring dafür gesorgt, dass sie auf einer Hochzeit nicht als Freiwild galt. Jahre später kehrt diese Freundin, inzwischen Journalistin, in die Gegend zurück, sieht ein Foto von damals und fällt ein Pauschalurteil über zwei Hochzeitsgäste, gemeinsame Bekannte, die inzwischen von der Camorra ermordet wurden. Wenn man sie umgebracht habe, seien sie wohl auch Camorristi gewesen, mutmaßt sie, ohne die Verhältnisse zu kennen. Denn der einzige Fehler der jungen Männer bestand darin, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Aber, und das deutet sich mit einem fast antiken Fatalismus an, vielleicht ist man in Kampanien schon durch seine Geburt ein Verdammter. Zarte Momente und die bitteren Auswüchse der Wirklichkeit prallen in der Erzählung "Der Ring" besonders krass aufeinander: Es klingt, als habe Saviano diese Seiten mit zusammengebissenen Zähnen geschrieben. Seine Sprache ist knapp, konzentriert und von einer zupackenden Kraft. Wieder zeigt uns Roberto Saviano, wie es in Süditalien wirklich aussieht. Es ist ein Land, das Raubbau an sich selbst betreibt.

    Roberto Saviano: Das Gegenteil von Tod
    Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß. Hanser Verlag München 2009, 71 Seiten, 10 Euro.