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"Mit Verboten kommt man nicht allzu weit"

Der Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar, forderte einen stärkeren Schutz der persönlichen Daten. Nötig seien dazu internationale Standards, zu deren Einhaltung Unternehmen verpflichtet werden müssten.

Peter Schaar im Gespräch mit Bettina Klein | 02.03.2010
    O-Ton Ilse Aigner: Wie weit sind private Daten auch noch privat und wie weit habe ich eigentlich noch selbst Kontrolle über meine privaten Daten? Das war der Ansatzpunkt, jetzt ausgelöst letztendlich von Google Street View, aber das trifft eigentlich auf alle Themen sonst auch zu, was habe ich für ein Zugriffsrecht auf meine Daten, kann ich sie irgendwann auch wieder löschen und wie wird das auch gewährleistet.

    Bettina Klein: Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) gestern Abend in den "ARD-Tagesthemen". – Mit der Vernetzung und Vermarktung privater Daten ist eine Menge Geld zu verdienen, so beklagt sie und will, dass wir mehr Kontrolle erhalten über unsere Daten, aufgrund derer wir zum Beispiel bei sozialen Netzwerken unsere Spuren hinterlassen, aber auch durch andere Nutzungen des Internets. Internetanbieter wissen so, was wir mögen, wofür wir uns interessieren, was wir kaufen, wohin wir verreisen. Ganze Kundenprofile könnten so erstellt werden.

    Und nun? Guter Rat scheint teuer. Einige Ideen werden diskutiert und darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Peter Schaar. Schönen guten Morgen!

    Peter Schaar: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Eine Idee ist, Unternehmen müssen allen Nutzern Einblick gewähren. Das ist ein frommer Wunsch, oder nicht?

    Schaar: Das ist hoffentlich nicht nur ein frommer Wunsch, sondern eine realistische Forderung, die ja auch immer mehr Anhänger findet. Wir als Datenschützer fordern das ja schon lange, und mit großer Freude habe ich jetzt vernommen, dass auch der Bundesinnenminister durchaus dem positiv gegenübersteht, dass hier nicht der Einzelne immer erst aktiv werden muss, um selbst herauszufinden, wo seine Daten sind, sondern dass die Unternehmen viel aktiver als bisher die Betroffenen darüber unterrichten, dass sie Daten haben über ihn und um welche Daten es sich dabei handelt.

    Klein: Der Bundesinnenminister, Thomas de Maiziére, hat einen jährlichen Datenbrief vorgeschlagen, der eingeführt werden sollte und mit dem Unternehmen alle Kunden, alle Bürger darüber informieren, welche Daten über sie gespeichert sind, und diesem Vorschlag hat sich jetzt auch die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger angeschlossen. Birgt das nicht aber auch Gefahren, wenn diese Daten per E-Mail durch die ganze Republik kreuz und quer geschickt werden?

    Schaar: Zum einen denke ich mal, dass es nicht um die Form erst mal jetzt gehen sollte, sondern um den Grundsatz: Macht es Sinn, dass die Unternehmen von sich aus aktiv die Betroffenen informieren. Da würde ich sagen, ja. Das darf natürlich nicht – und das ist dann die zweite Frage – auf ungesichertem Wege passieren und die entsprechenden Datenauskünfte oder Datenbenachrichtigungen müssen natürlich dann auch wirklich die Betroffenen und nicht irgend jemanden sonst erreichen. Dann wäre das kontraproduktiv. Da liegt der Teufel sicher im Detail, aber ich finde, man sollte in diese Richtung gehen.

    Es gibt auch, sage ich mal, verwandte Möglichkeiten, wie man da rankommen kann, zum Beispiel die Möglichkeit, dem Betroffenen einen Zugriff auf seine Daten im Internet einzuräumen. Aber auch da gilt natürlich, dass der Betroffene sich da identifizieren muss, damit nicht irgendwelche Dritten vorgeben, eine Selbstauskunft zu verlangen, in Wirklichkeit greifen sie die Daten Dritter ab.

    Klein: Wird es denn da reichen, auf eine freiwillige Selbstverpflichtung zu setzen, oder muss der Gesetzgeber handeln?

    Schaar: Ich denke mal, es gibt schon heute einige Unternehmen, die das ermöglichen. Das sollte man ausbauen. Aber ich denke auf der anderen Seite, so eine Art datenschutzrechtliche Grundversorgung muss der Staat sicherstellen und das bedeutet, dass er den Bürger auch davor schützen muss, dass hinter seinem Rücken Daten verarbeitet werden. Das bedeutet in der Konsequenz, dass diese Benachrichtigungspflichten im Gesetz auch noch verstärkt werden.

    Klein: Rechtlich ist es problematisch, diese Datenweitergabe zu verbieten, wie wir an dem umstrittenen Angebot Street View gesehen haben. Das ist nicht grundsätzlich zu verhindern?

    Schaar: Das ist richtig. Mit Verboten kommt man nicht allzu weit, zumal in einem Umfeld, das international geprägt ist, das durch elektronische Vernetzung hervorsticht, und das sind ja Entwicklungen, die sich noch weiter verstärken. Das heißt, hier ist einerseits darauf zu achten, dass man auch international so etwas wie Standards, Datenschutzstandards festlegt und dass man dann auch Strategien, Umsetzungsstrategien nicht nur auf nationaler Ebene entwickelt, sondern dass man sie versucht, eben auch europaweit und möglicherweise auch international durchzusetzen. Ansätze dafür gibt es schon. Es gibt Kooperationen zwischen Datenschützern zum Beispiel in Europa und zwischen europäischen Datenschützern und der Handelsaufsicht in den Vereinigten Staaten. So was muss man ausbauen.

    Klein: "Gebt nicht so viel von euch preis!" Auch das ist ein Appell der Politiker. Wir hören noch mal die Verbraucherschutzministerin.

    O-Ton Ilse Aigner: Es kann von einem Verbraucher eigentlich ja auch keiner erwarten, dass er jeden Tag morgens sich erst mal Gedanken darüber macht, wer hat neue Daten von mir, und ich krieg es auch vielleicht gar nicht mehr heraus. Deshalb halte ich den Vorschlag einer freiwilligen Selbstverpflichtung von Thomas de Maiziére als sehr unterstützenswert.

    Klein: Ja. – Und was ist mit dem Vorschlag, jeder muss eben auf sich selbst aufpassen, wir müssen mehr Eigenverantwortung zeigen und müssen darauf achten, dass wir nicht allzu viele Daten preis geben? In einem Zeitalter, Herr Schaar, wo jeder Reisen über das Internet bucht und auch bei der Suche über Google Spuren hinterlässt, ist das nicht ein bisschen naiv?

    Schaar: Ich denke mal, dass sich das ja gar nicht ausschließt. Wenn wir mal das Bild des Straßenverkehrs nehmen, da ist es natürlich notwendig, dass der Einzelne nach links schaut und nach rechts schaut, ob da gerade ein Auto kommt. Aber das ist ja kein Argument gegen Bremsen, die in Autos eingebaut werden. Also muss man dafür sorgen, dass Unternehmen auch bestimmte Datenschutzstandards berücksichtigen, und wenn sie das nicht tun, dass es dann gegebenenfalls auch sehr negative Folgen haben kann bis hin zu, sage ich mal, wirtschaftlichen Einschnitten, die eben doch sehr tief gehen.

    Klein: Die Überarbeitung des Datenschutzgesetzes, eine weitere Anregung. Mit welchen Veränderungen kann dieses Gesetz der neuen Lage angepasst werden?

    Schaar: Entscheidend ist für mich, dass man weg kommt, diese oder jene einzelne Technik regeln zu wollen, die morgen oder übermorgen schon überholt ist, sondern dass man wesentlich stärker auf Grundsätze und Ziele setzt, die man dann aber konkretisieren kann. Zum Beispiel diese Forderung, jeder muss selbst am besten kontrollieren können, welche Daten über ihn dort kursieren, das ist ja etwas anderes im Internet als in der Offline-Welt. Im Internet beispielsweise wäre es ja sehr sinnvoll, dass der Betroffene eben dann, wenn er Daten gegebenenfalls abgegeben hat, auch die wieder zurückholen kann auf elektronischem Wege. Das ist mit vielen technischen Schwierigkeiten verbunden, dessen bin ich mir völlig bewusst, aber Technik sozusagen einzusetzen, um die durch Technik verursachten Datenschutzrisiken zu beherrschen, das ist, glaube ich, die große Herausforderung.

    Klein: Kann ich es denn jetzt eigentlich schon in irgendeiner Weise kontrollieren, was mit den von mir hinterlassenen Spuren geschieht?

    Schaar: Das europäische Datenschutzrecht sieht einen kostenlosen Auskunftsanspruch vor. Das heißt, jeder kann sich an Unternehmen und auch an staatliche Stellen wenden und sagen, ich möchte wissen, welche Daten über mich gespeichert sind, und diese Unternehmen, oder auch staatlichen Stellen müssen dann auch antworten. Das gibt es schon heute und ich würde mich darüber freuen, wenn viel mehr Menschen von diesem Recht, von diesem Bürgerrecht auch wirklich Gebrauch machen könnten.

    Klein: Und da kann ich auch erfahren, welche Daten zum Beispiel von Google oder anderen Unternehmen an andere, weitere Unternehmen weitergereicht werden, zum Beispiel was sind meine Interessen, meine bevorzugten Reiseziele?

    Schaar: Grundsätzlich gilt dieser Auskunftsanspruch auch hinsichtlich der Datenübermittlung, ja. Man muss dann die Probe aufs Exempel machen und das ist natürlich schwer durchsetzbar bei Unternehmen, die ihren Sitz nicht in Deutschland oder Europa haben, aber gleichwohl: Sie haben ja hier Niederlassungen und da gibt es Datenschutzaufsichtsbehörden und ich weiß, dass mein hamburgischer Kollege da sehr aktiv ist, gerade wenn es jetzt um das genannte Unternehmen Google geht, hier diese Datenschutzrechte auch durchzusetzen.

    Klein: Wird denn von dieser Möglichkeit überhaupt schon Gebrauch gemacht?

    Schaar: Es wird Gebrauch gemacht, aber verhältnismäßig wenig.

    Klein: Herr Schaar, es werden eine Reihe von Aspekten diskutiert, die sich alle auf den Datenschutz beziehen, und es ist inzwischen auch, ich sage mal, common sense, dass es einer Gesamtstrategie bedarf, auch von Seiten der Politik, die die Veränderungen in unserer Welt insgesamt in den Blick nehmen. Nun kommt die Information, die die Deutsche Presseagentur heute verbreitet, dass die Bundestagsfraktionen - wohl mit Ausnahme der Linken - eine Expertengruppe einsetzen wollen, eine Enquete-Kommission mit dem schönen Namen "Internet und digitale Gesellschaft", die sich der ganzen Problematik annimmt und in einem Gesamtpaket klären soll, welche rechtlichen Veränderungen notwendig sind. Ist das aus Ihrer Sicht ein probates Mittel?

    Schaar: Ich finde es richtig, dass sich die Politik dieses Themas verstärkt annimmt und da nicht herumdiletiert. Es hat die eine oder andere Maßnahme in den letzten Jahren gegeben, wo ich sagen würde, da ist man in die falsche Richtung gegangen. Ich denke hier an die Vorratsdatenspeicherung, heute ja ein ganz wichtiges Thema, weil das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden wird. Ich denke aber auch an diese sogenannten Internet-Sperren. Da hat man einfach ziemlich schnell bestimmte Regelungen erlassen und hat nicht bedacht, welche Konsequenzen das hat. Und wenn man jetzt in Zukunft stärker, sage ich mal, in diesem Gesamtkontext sich bewegen will und auch sich bewusst sein will, welche Nebenwirkungen einzelne Entscheidungen haben, dann kann ich das nur begrüßen.

    Klein: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk heute Morgen. Ich bedanke mich, Herr Schaar.

    Schaar: Vielen Dank, Frau Klein.