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Mit vollem Frust voraus

1991 errichtete Siemens den weltweit ersten Windpark auf hoher See. Die Offshore-Sparte des Technologieriesen ist für den Konzern heute ein Geschäftsfeld, das gleichermaßen prestige- wie verlustträchtig ist: Mit diesem Firmenportrait beginnt die fünfteilige Reihe zur Offshore-Branche.

Von Verena Herb | 10.08.2012
    Mit behäbiger Regelmäßigkeit drehen sich die riesigen Rotorblätter im Wind. Das Ufer der knapp drei Kilometer entfernten dänischen Insel Lolland ist deutlich zu sehen. Seit mehr als 20 Jahren wird hier Strom aus Windenergie erzeugt: 1991 errichtete Siemens den weltweit ersten Windpark auf hoher See.

    Vindeby liefert auch heute noch Strom – doch die technischen Gegebenheiten, die Ausmaße heutiger Windparks, haben sich im Laufe der zwei Jahrzehnte verändert. Während Vindeby mit elf Turbinen und einer Gesamtleistung von fünf Megawatt ans Netz ging, liefert heute allein eine Turbine der neuesten Generation eine Leistung von sechs Megawatt. Das reicht für 5500 deutsche Haushalte. Der neueste Auftrag: Mitte Juli hat Dong Energy aus Dänemark 300 dieser Mega-Mühlen bei Siemens bestellt, die zwischen 2014 und 2017 vor der britischen Küste errichtet werden sollen. Gesamtkapazität: 1800 Megawatt. Branchenkenner schätzen den Kaufpreis auf 2,5 Milliarden Euro.

    Heutzutage sorgen insgesamt 820 Turbinen des Konzerns auf hoher See für sauberen Strom – 1200 weitere High-Tech-Türme mit mehr als 4,4 Gigawatt Leistung sind bestellt.
    Die Branche denkt in Superlativen – die größten Turbinen, die größten Rotorblätter... doch den besten Umsatz hat Siemens in den ersten drei Quartalen dieses Jahres nicht machen können. Im Sektor Renewable Energies hat Siemens einen Auftragsrückgang von 40 Prozent zu verkraften. Während der Umsatz zwar von 2,7 auf 3,7 Milliarden Euro kletterte, fiel das Gesamtergebnis eher enttäuschend aus: Minus 34 Prozent in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres.
    Da kommt der Auftrag von Dong Energy vom Juli also gerade recht. Denn in einer anderen Unternehmenssparte sieht es noch düsterer aus: im Bereich der Transmission Solution, die das Geschäft mit der Stromübertragung zu Land und zu Wasser bündelt. Seit Juli 2012 ist Tim Dawidowsky für diesen Bereich zuständig und erklärt, welche Lösung Siemens für die Stromübertragung vom Meer ans Land anbietet:

    "Die beste Möglichkeit, dies zu tun, ist, eine Plattform im Meer zu errichten, die genau diese Energie bündelt und dann über eine bestimmte Technologie, die nennen wir HGÜ, oder Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung über ein Seekabel dann an Land bringt und in das bestehende Netz einspeist."

    Seit Mai 2011 wird auf der Nordic Yards Werft in Wismar gehämmert und geschraubt, geschweißt und gebohrt. Dort lässt Siemens die HGÜ-Umspannplattformen herstellen. In einer der riesigen Fertigungshallen liegt die Helwin 1 auf dem Dock. Sie soll vor der Küste Helgolands in Betrieb gehen, erklärt Michael Suhr, bei Siemens verantwortlich für den Bau der Offshore-Plattformen:

    "Die Halle ist 355 m lang und das Dock selbst 305 Meter."

    Sieben Decks hat der Rohbau der stählernen Plattform, die hier im Trockendock errichtet wird. Es ist heiß, die Luft ist stickig – ein anstrengender Job für die Werftarbeiter, die in Arbeitsmontur und Sicherheitshelm über die Baustelle wuseln. Michael Suhr geht über eine Metalltreppe auf das Dock. Er selbst ist beeindruckt von der Größe dieses Koloss:

    "Die Legs und die Topside zusammen fasst 16, 17.000 Tonnen Gewicht. Davon größtenteils Stahl. Wirklich im Schiffbau schon eine Hausnummer. Und das Tolle ist: Was Sie hier sehen, das schwimmt später auch. Und wird nachher mit Schleppern nach draußen gebracht."

    17000 Tonnen Stahl: Das ist ungefähr so viel wie 50 Airbus A 380. Zugegeben: Gewaltige Dimensionen. Vier Umspannplattformen hat Siemens in den Vertragsbüchern. Im Sommer 2013 soll Helwin I aufs Meer gezogen werden, 2014 in Betrieb gehen. Das Projekt ist schon jetzt eineinhalb Jahre in Verzug. Ebenso wie Borwin II, ein weiteres schwimmendes Umspannwerk, das vor Borkum ans deutsche Stromnetz angeschlossen werden soll. Drei der vier von Siemens belieferten Windparks hinken dem Zeitplan hinterher. Die Kosten für den Technologiekonzern: bislang eine halbe Milliarde Euro.

    Die Branche unkt: Siemens hat sich überschätzt. Vier Aufträge dieser Art hat der Konzern an Land gezogen – ohne genau zu wissen, was auf ihn zukommt. Konzernchef Peter Löscher fand deshalb bei der Vorstellung der Zahlen für das zweite Quartal im April deutliche Worte, als er allein in diesem Zeitraum einen Verlust von 278 Millionen Euro verbuchen musste. Man hätte nicht vier Plattformen in die Bücher nehmen dürfen. Eine hätte gereicht, so der Vorstandsvorsitzende:

    "Ganz klar haben wir da auch eine falsche Einschätzung gemacht dieser ganzen Projekte."

    Die Dimensionen wurden unterschätzt, die Kompetenzen überschätzt:

    "Das ist am Ende des Tages ja auch ein hochkomplexer Schiffsanlagenbau. Das sind Ingenieurskompetenzen, wie man eine solche Blaupause erarbeitet. Das ist natürlich kein Projekt, was wir in der Art und Weise mit Fixpreisen und Garantien der zeitlichen Abnahme heute in der Art und Weise leisten können."

    Trotz der roten Zahlen hält Siemens an dem Geschäftsfeld fest. Tim Dawidowsky:

    "Wir sehen uns ja als wesentlichen Spieler in diesem Markt, und da sehen wir natürlich ein riesiges Marktpotential, an dem wir auch teilnehmen wollen."

    Zumal die Zahl der Wettbewerber im Plattformgeschäft derzeit überschaubar ist. Allein der Schweizer Konzern ABB verfügt noch über das Know-how zum Bau von HGÜ-Plattformen.
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