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Mitarbeit ist Pflicht

In der kleinen Schweiz, die im vergangenen Jahr durch den Wegfall der Buchpreisbindung Schlagzeilen machte, hat sich auf dem literarischen Markt Großes getan. Im Herbst schlossen sich fast zwei Dutzend unabhängige Verlage zur Plattform Swips zusammen. Was an eine Sektlaune denken lässt, ist ernst gemeint und steht für Swiss Independent Publishers.

Von Nils Kahlefendt | 30.01.2008
    Sie gelten als eines der auffälligsten Buchmarktphänomene der letzten Jahre: Junge unabhängige literarische Verlage, mit knappen Mitteln gegründet, aber reich an "Fantasiewerten". Die Probleme, mit denen sich die Independents herumschlagen, sind alles andere als neu. Meist geht es um praktische Fragen: Wie begegnet man der aggressiven Rabattpolitik der großen Barsortimente? Wie kommt man auch mit kleinem Werbebudget in die Medien und in den Buchhandel?

    Hierzulande haben die Davids der Branche erkannt, dass sie enger zusammenrücken müssen, um in der Buchhandelslandschaft nicht nur als freundlich geduldete Exoten wahrgenommen zu werden. So hat sich etwa die im Jahr 2000 unter der Ägide des damaligen Kulturstaatsministers Michael Naumann gegründete Kurt-Wolff-Stiftung die Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene in der Bundesrepublik auf die Fahne geschrieben. Daneben, ohne Satzung und Namen, organisiert ein loser Kreis junger Independent-Verlage seit zwei Jahren Gemeinschaftsauftritte, Partys und gemeinsame Buchmesse-Zeitungen. Nun hat sich auch in der kleinen Schweiz, die im letzten Jahr durch den Wegfall der Buchpreisbindung Schlagzeilen machte, Großes getan. Im Herbst schlossen sich fast zwei Dutzend unabhängige Schweizer Verlage zur Plattform Swips zusammen. Was an eine Sektlaune denken lässt, ist ernst gemeint und steht für Swiss Independent Publishers. Ricco Bilger, als Buchhändler, Verleger und Begründer des Literaturfestivals Leukerbad auch über die Schweizer Szene hinaus bekannt, gehört zu den Initiatoren des Vereins.

    "Im Moment sind wir 22 Verlage, die jetzt in diesen zweieinhalb Monaten diese Swips-Plattform gegründet haben. Das Spektrum reicht von Neugründungen, wie zum Beispiel der junge, ambitionierte Salis Verlag, pudelundpinscher, noch ein kleinerer Verlag, die wunderbare, großartige, spannende Literatur verlegen, über Verlage, die doch schon was auf dem Buckel haben, auch ein eigenes Renommee haben, eine eigene Haltung in den letzten Jahren aufgebaut haben über, wie sie als Verlage funktionieren, aber auch über ihren Inhalt. Dazu zähle ich jetzt mal Verlage wie die Edition Epoca oder Urs Engeler Editor oder auch meinen eigenen Verlag. Und dann die dritte Ebene, das ist die Ebene derer, die eigentlich schon seit 20, 30 oder noch mehr Jahren hier vor Ort aktiv ist und wirklich über ein großes Durchhaltevermögen hier wirklich auch Verlags- und Literaturgeschichte geschrieben haben. Dazu zähle ich jetzt als Beispiel, die man natürlich in Deutschland auch kennt, den Limmat Verlag, den Lenos Verlag, aber auch so einen alten wirklich Haudegen wie Beat Brechbühl aus dem Waldgut Verlag. Das sind dann jene, die wirklich schon seit langen, langen Jahren hier aktiv tätig sind."

    Am Anfang stand kein Manifest, sondern ein Fest: Rund 400 Besucher, darunter viele bekannte Gesichter aus der Schweizer Literaturszene, waren bei der Swips-Gründungsparty im Zürcher Theater am Neumarkt dabei. Ob Lese-Marathon, "Lotto im Säli", eine Schweizer Bingo-Variante, in der Verlage ausgefallene Preise stifteten, oder ein riesiger Büchertisch, der von Buchhandels-Lehrlingen aus allen Landesteilen betreut wurde: Das Fest zeigte, dass die Independents aus der Alpenrepublik über ausreichend Biss und Fantasie verfügen, ihr Anliegen und ihre Bücher in die Öffentlichkeit zu tragen. Noch haben vor allem Deutsch-Schweizer Verlage angedockt, künftig will man sich auch den anderen Sprachräumen öffnen. Swips nimmt Fahrt auf: Als nächstes sind Auftritte zur kleinen Messe "Luzern Bucht" Ende Februar, zu den Solothurner Literaturtagen und in Leukerbad geplant. Zum Welttag des Buches am 23. April stellen die Aktivisten um Bilger eine "besonders spektakuläre Aktion" in Aussicht. Mit brav zahlenden, sonst aber in Deckung abwartenden "Karteileichen", da ist der Verleger sicher, lässt sich das nicht bewerkstelligen.

    "Der Mitgliederbeitrag, den jeder Einzelne bezahlt, ist eigentlich das ganz persönliche, aktive Mitarbeiten auf dieser Plattform. Wenn jemand als Verlag, als Verleger auf diese Plattform kommt und ein halbes Jahr oder dreiviertel Jahr nichts Aktives macht, dann fliegt er eh raus. Das ist etwas, das für uns ganz entscheidend ist und das wir auch ganz pragmatisch angehen. Einen weiteren Verein oder Verband zu gründen, das ist nicht unsere Absicht. Wir wollen Kräfte bündeln. Und Kräfte bündeln, das heißt aktiv werden, Energie, Substanz investieren - letztendlich das, was uns ausmacht."

    Dass der Schulterschluss die Kleineren auch ökonomisch stark machen kann, zeigt den Swips-Aktivisten der Blick nach Großbritannien: Dort sorgt die von Faber-Chef Stephen Page und weiteren sieben Kollegen schon 2005 angestoßene Independent Alliance für einiges Aufsehen. Im ersten Jahr kletterte der kumulierte Umsatz der Vertriebs- und Marketingkoalition um 25 Prozent; als Einzelfirma stünde der Verbund damit auf Nummer sechs der englischen Verlagscharts, größer als Schwergewichte wie Bloomsbury oder Simon & Schuster. Das Erfolgsgeheimnis: Die Verlage mit den kommerziell erfolgreichsten Titeln wirken als Brückenkopf für die anderen. Mittlerweile haben die britischen Independent-Verleger ihre Allianz auf den unabhängigen Buchhandel ausgedehnt - Rückenwind für jene also, die seit dem Fall der Preisbindung in Großbritannien mit dem Rücken zur Wand stehen. Von solchem Erfolg können Bilger und die Seinen vorerst nur träumen, dennoch möchten sie künftig als feste Größe im Schweizer Kulturleben wahrgenommen werden. Seit 30 Jahren gab es keinen derartigen Zusammenschluss mehr. Agieren, nicht reagieren, lautet nun die Devise.

    "Entscheidend ist, denke ich, die Haltung von Swips, dass da nicht eine Plattform geschaffen wird, die herauskommt, und die sich darüber manifestiert, dass sie sagt, wie schlecht es ihr geht und was für arme Kerle wir sind, und überhaupt ist die Welt schlecht. Und wir kriegen nichts und sind nichts und so. Genau das Gegenteil ist es, für uns war immer klar: Wir kommen an die Öffentlichkeit, wir präsentieren uns über alles, was wir haben an Qualität, an Engagement, an Leidenschaft, an Euphorie, auch an Übersteigertheit, auch an ungewöhnlichem Sich-Verhalten, in welcher Form auch immer.

    Also es geht darum, dass Leute, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, in die Öffentlichkeit, in diesen öffentlichen Raum, auf diese Plattform stellen und agieren. Auch bereit sind, im Interesse dieser ganzen Plattform aktiv zu werden, ohne dass das immer von allen abgesegnet werden muss - das ist eine Geschichte von Vertrauen."

    Swips ist als Verein organisiert, in der Schweiz mit ihrer traditionell starken Vereinskultur ein wichtiger formaljuristischer Schritt. Natürlich hat ein ordentlicher Verein auch einen Präsidenten. Doch wer Ricco Bilger, den umtriebigen Zampano und Hans-Dampf kennt, vermutet zu recht, dass es ihn vor solch nüchtern-korrekten Ehrenamtsbezeichnungen graust. So hat der frisch gekürte Chef die ersten Swips-Kommuniques als "El Presidente" unterzeichnet - mit selbstironischem Augenzwinkern, aber schwungvoll-angriffslustig. Eine Haltung, die auch hierzulande Schule machen darf.

    "Wenn ich Ihnen sage, dass ich jetzt mit meinen 52 Jahren noch nie in meinem Leben in einem Verein war; auch noch nie ein Amt in einem Verein wahrgenommen habe - und jetzt selber einen mitbegründet habe und gleich auch 'El Presidente' bin - dann sagt Ihnen das natürlich schon ziemlich klar aus, dass es damit eine ganz besondere Bewandtnis haben muss, weil: Jetzt auf das mittlere Alter hin auch noch Vereinsleidenschaften zu entwickeln, das ist nicht das, was mich interessiert. Ich bin ein Mensch, der vielleicht nicht immer ganz korrekt und ganz lupenrein formuliert oder sich äußert. Ich bin auch nicht immer politisch korrekt in all diesen Geschichten, ich bin manchmal auch wahnsinnig ausschweifend. Ich meine, mein Bruder im Geiste ist der große Corto Maltese, der große Kapitän ohne Schiffe, der rund um die Welt durch alle Literaturen und in alle Herzen der Liebe reist, immer auch präsent ist wo es brennt, an allen Orten der Weltgeschichte, und daraus heraus eine Haltung manifestiert. Ich hätte auch sagen können, ich heiße nicht El Presidente, sondern man nennt mich El Capitan. Also, es wäre in etwa dieselbe Haltung. Ich denke, da wir alles auch Menschen sind, denen die Sprache ganz wichtig ist - wir arbeiten ja in der Literatur ,- darf man auch bei diesen Bezeichnungen neue Wege gehen, nicht weil das jetzt vordergründig nur ist, oder weil das substanziell etwas bewegen soll, sondern um auch eine andere Haltung zu manifestieren."