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Mitford Sisters
Eine schrecklich exzentrische Familie

Seit den 30er Jahren festigten die "Mitford Sisters" den Ruf Englands als Heimat besonders schrulliger Exzentriker. In Deutschland erlangten die sechs Schwestern aus gutem Hause zweifelhafte Prominenz: die eine war ein Hitler-Groupie, die andere Kommunistin. Eine Biografie des Mitford-Clans stellt nun die ganze Familie vor.

Von Rainer Burchardt | 29.09.2014
    Welch eine Familie: Das Elternhaus, eine Bastion der englischen Upper-Class, sechs Töchter, eine verrückter als die andere, wie Vater Mitford einmal meinte, ein Sohn dazu, der kurz vor Kriegsende starb. In den Nachrufen auf die Hauptfigur in diesem Buch, Jessica Mitford, genannt "Decca", schwanken die Charakterisierungen von berühmt berüchtigt bis verrufen und rebellisch. In Großbritannien seien die Mitfords so bekannt wie bei uns die Familie Mann, nur noch berüchtigter, schreibt Susanne Kippenberger:
    "Vor allem in den 1930er Jahren sorgten sie ständig für Skandale und Schlagzeilen.(...) Ihre Geschichte ist auch eine Mediengeschichte. Denn wer glaubt, die Promiberichterstattung sei eine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts, wird von den Mitfords eines Besseren belehrt. Sensations- und glamourlüsterne Journalisten stürzten sich in Horden auf die Schwestern."
    Die Autorin stammt übrigens aus einer ähnlichen Familie, sie wuchs in Köln mit vier Schwestern und einem Bruder auf. Letzterer war der viel zu früh verstorbene Martin Kippenberger, eine Berühmtheit in der deutschen Malerszene. Ihre eigene Familiengeschichte hat Susanne Kippenberger fraglos zu der Biografie über die Mitfords motiviert.
    "Wir kommen zwar auch aus einer ganz großen Familie, und das war sicherlich ein ganz wichtiger Grund, warum ich das Buch angefangen habe. Aber wir sind sehr, sehr harmlos gegenüber dem, was die einander geboten haben und der Welt auch geboten haben. Das war eine absolute Ausnahmefamilie, würde ich sagen, und gilt auch als solche in Großbritannien. In Großbritannien sind die Mitfords wirklich wahnsinnig bekannt und werden auch immer so gesehen, als die Familie, die das 20. Jahrhundert in sich verkörpert wie keine andere."
    Das kann man wohl sagen. Während die Hauptfigur Jessica Mitford, die sich im spanischen Bürgerkrieg auf die Seite der Republikaner geschlagen hatte, sich zu einer kämpferischen Kommunistin entwickelte, und nach ihrem Umzug in die USA Anfang der 50er Jahre auch in die Fänge des Linken-Jägers McCarthy geriet, hatte ihre Schwester Unity sich gewissermaßen als "Groupie" an Adolf Hitler herangewagt, wurde von ihm tatsächlich als Freundin akzeptiert. Unity Mitford wurde gar als seine englische Geliebte öffentlich gehandelt, doch Beweise für diese Behauptung gibt es nicht. Ihre Schwester Diana heiratete den Führer der britischen rechtsnationalen Bewegung Osvald Mosley; Trauzeugen waren Adolf Hitler und Joseph Goebbels.
    Das rote Schaaf der Familie
    "Ich kenne keine Adelsfamilie in Deutschland und auch keine andere Familie, die das in dieser Konsequenz mit so vielen Geschwistern gelebt hat. Also, dass vielleicht ein, zwei Figuren exzentrisch sind, ok, aber dass alle so sind - und die Eltern waren ja schon sehr exzentrisch."
    Jessica Mitford alias "Decca" zählte nach ihrer Übersiedlung nach Oakland zum kalifornischen Protest-Establishment der fünfziger und sechziger Jahre. Kippenberger zeichnet nach, wie sie nach ihrer Ankunft in New York zunächst als einfache Modeverkäuferin arbeitete. Einen Schulabschluss konnte sie nicht vorweisen, in den feinen englischen Kreisen wurden Lesen und Schreiben privat gelehrt und gelernt, ohne bürgerliche Zertifikate, versteht sich. So mag sich Jessica danach in Kalifornien als kommunistische Außenseiterin in der Protestbewegung der aufbegehrenden Jugend am richtigen Platz gefühlt haben. Im Mai 1960 kam es im Rathaus von San Francisco zu Übergriffen der Polizei auf Studenten, die gegen den alltäglichen Rassismus protestierten. Die Autorin schildert, wie die Ereignisse auf ihre Protagonistin gewirkt haben.
    "Decca war elektrisiert. Der 13. Mai 1960 signalisierte für sie das ersehnte Ende der sogenannten 'Silent Generation', jener Jugend, die weder diskutierte noch protestierte – ‚ein unheimliches, unjugendliches Schweigen, das manchen von der älteren Generation gar nicht geheuer war, wie sie schrieb. Sie erkannte sofort, dass dies der Anfang einer großen Bewegung war."
    Decca suchte und fand mit ihrem zweiten Ehemann Bob Treuhaft die Nähe zur Prominenz der US-Protestbewegung wie etwa Angela Davis und zu den "Black Panthers", sie veröffentlichte in vielen amerikanischen Printmedien engagierte Reportagen und Kommentare und war alsbald, wie Susanne Kippenberger schreibt, eine namhafte Persönlichkeit der Publizistik. Allerdings weigerte sie sich bis zuletzt, die grausamen Verbrechen des Stalinregimes in der Sowjetunion zur Kenntnis zu nehmen.
    Persiflage des "American Way of Life"
    "Ja, das hat sie einfach ausgeblendet, sie war der Meinung, sie war in Kalifornien und war sehr engagiert dabei, für die Rechte von Schwarzen zu kämpfen, und das haben die auch wirklich unermüdlich getan zu einer Zeit, wo das noch gar nicht glamourös war auf eine Art und Weise wie in den sechziger Jahren; das war in den Fünfzigerjahren. In Oakland haben sie gelebt, wo die Schwarzen total unterdrückt wurden und ständig von der Polizei drangsaliert wurden. Dann hat sie, als herauskam, welche Verbrechen Stalin begangen hat, hat sie einfach gesagt oder für sich das so erklärt: Also wir sind hier in Kalifornien und wir machen diese Basisarbeit und die machen wir gut und das geht uns gar nichts an und wir wollten sowieso immer eine separate amerikanische kommunistische Partei haben- so wie die Franzosen und Italiener auch ihren eigenen Weg gegangen sind."
    In ihren letzten Lebensjahren hat Jessica Mitford gewissermaßen als Persiflage auf den "American way of Life" einen Bestsellererfolg mit ihrem Buch "The American way of Death" erzielt. Darin mokiert sie sich nicht ohne Zynismus und Sarkasmus über die US-Bestattungsindustrie mit Leichenkosmetik und Einbalsamierungen. Die Verschönerung der Leichen bis zur Unkenntlichkeit mag für sie ein Sinnbild der Verlogenheiten in der amerikanischen Gesellschaft gewesen sein. Ironischerweise blieb auch ihr dieses Schicksal bei ihrem Tod anno 1996 nicht erspart.
    Mit diesem Porträt der Mitford-Sisters, vor allem des „roten Schafs" der Familie, Jessica, ist Susanne Kippenberger ein beeindruckendes angel-sächsisches Sittengemälde vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des 20. Jahrhunderts gelungen.
    Susanne Kippenberger: "Das rote Schaf der Familie. Jessica Mitford und ihre Schwestern." Hanser Verlag, 624 Seiten, 26,00 Euro.