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Mitten ins Herz

Geowissenschaften. - Ein neues Großbeben an der San Andreas-Verwerfung in Kalifornien ist nur eine Frage der Zeit. Um mehr darüber zu lernen, was bei einem Beben im Untergrund passiert, wurde im Rahmen eines internationalen Bohrprogramms eine über drei Kilometer tiefe Bohrung mitten in die San-Andreas-Störung hinein geführt. Mit dieser Bohrung erkunden die Geologen das Geschehen direkt am Herd - und gewinnen dabei ungewöhnliche Erkenntnisse.

Von Dagmar Röhrlich | 04.06.2008
    Auf dem Straßenschild von Parkfield, Kalifornien, wird die Einwohnerzahl mit 18 Personen angegeben. Das ist nicht viel für einen Ort, der Geologie-Geschichte schreibt. Denn in diesem Dorf zwischen San Francisco und Los Angeles ist eine Tiefbohrung mitten durch die berühmt-berüchtigte San Andreas-Verwerfung hindurch abgeteuft worden. Oliver Ritter vom Geoforschungszentrum Potsdam:

    " Der Bereich ist ein ganz besonderer, weil die San Andreas Verwerfung unterschiedlich sich verhält. Südlich dieses Bohrpunktes gibt es einen Bereich, in dem es selten Erdbeben gibt, und wenn sie auftreten, sind es sehr, sehr starke. Nördlich davon kommt es zu dem sogenannten fault creep, wo also Platten aneinander vorbei kriechen und es zu häufigen, aber eigentlich sehr, sehr kleinen Erdbeben kommt. Und dieser Bereich um Parkfield, da gibt es sozusagen beides, relativ häufig mittelstarke Erdbeben und auch häufig kleinere Erdbeben. "

    Im Lauf der Jahrmillionen haben sich die Pazifische und die Nordamerikanische Erdkrustenplatte diesseits und jenseits der Störung um mehrere hundert Kilometer gegeneinander bewegt- begleitet von zahllosen kleinen und großen Erdbeben. Die Bohrung zielte genau ins "Herz" dieser Störung: Mehr als drei Kilometer tief wurde sie vorgetrieben, zunächst senkrecht durch die Pazifische Platte, dann schräg durch die Verwerfung in die nordamerikanische Platte hinein. Die eigentliche Nahtstelle ist ein Band, in dem durch die ungeheuren Reibungskräfte neue Minerale entstehen. Diese neuen Minerale machen das Gestein in einer schmalen Zone elastisch. Es verbiegt sich eher, als dass es bricht. Ganz anders reagieren die Steine direkt nebenan:

    " In unmittelbarer Nähe, in der Zerrüttungszone dieser Störung, hat es eben charakteristische Beben, also kleine Erdbeben, die dort regelmäßig vorkommen, gegeben. Es war eigentlich eine ganz neue Erkenntnis, dass solche Vorgänge gleichzeitig an einem Ort stattfinden können. "

    Neu war für die Forscher auch eine andere Beobachtung: Während im Norden von Parkfield die Platten mit vielen kleinen Beben aneinander vorbei kriechen, so dass sich kaum hohe Spannungen aufbauen, gibt es im Süden etwas bislang Unbekanntes: den "nicht-vulkanischen-Tremor". Was dieses Zittern genau ist, weiß man noch nicht. Die sogenannten vulkanischen Tremore entstehen, wenn Magma tief in der Erde in Bewegung gerät. Nun gibt es um Parkfield kein Magma - aber trotzdem verzeichnen die Instrumente identische Signale. Sie stammen anscheinend aus etwa 20 bis 40 Kilometern Tiefe:

    " Man sieht, dass es eine ganz klare Korrelation gibt zwischen den Tremoraktivitäten aus großer Tiefe und eigentlicher Erdbebenaktivität. "

    Dieser Tremor tritt nur südlich von Parkfield auf, in der Zone der San Andreas-Verwerfung, wo sich über lange Zeit hinweg sehr große Beben aufbauen. Was dort dieses Zittern an der Grenze zwischen Erdmantel und Erdkruste verursacht, dazu gibt es bislang nur eine Hypothese:

    " Die Idee ist, dass vermutlich Fluide, Gesteinswässer aus dem Bereich des oberen Mantels, dort unten eingeschlossen sind durch geologische Besonderheiten. Wenn es eventuell dort größere Mengen an Fluiden gibt, die eingeschlossen sind, wo sich größerer Druck aufbaut, könnte es einen kausalen Zusammenhang geben zwischen Bruchbeben und diesen Tremorsignalen, aber das ist sehr spekulativ. "

    Geochemische und geophysikalische Messungen zeigen, dass Flüssigkeiten - wenn es sie gibt - auf der Seite der Nordamerikanischen Platte eingeschlossen sein könnten - und zwar nur dort. Die Pazifische Platte scheint "frei" zu sein:

    " Was man wirklich in den letzten Jahren sehr viel mehr verstanden hat, ist, wie wichtig es ist, die unterschiedlichen Segmente einer solchen Verwerfungszone zu verstehen und auch auseinander zu halten. Das ist zwar insgesamt ein Gebilde, was mehrere hundert oder tausend Kilometer lang ist. Aber diese einzelnen Segmente, die haben offensichtlich eine ganz andere Charakteristik und offensichtlich entstehen auch Erdbeben ganz anders. "

    Vielleicht kommt man mit der Kontinentalen Tiefbohrung durch die San Andreas-Verwerfung also tatsächlich dem großen Ziel etwas näher: der Vorhersagbarkeit von Erdbeben.